Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.in der Höhe,
Preis’ ich Jenen, der in deiner Nähe,
Der bei Dir, an Deiner Seite weilt;
Der den süßen Ton von Deinem Munde
Saugen darf, und ach die holde Kunde,
Die Dein Liebeslächeln ihm ertheilt.
»Tritt mir solches Bild im Geist entgegen,
Klopft mein Herz die Brust in wilden Schlägen,
Und in meinem Mund erstickt das Wort;
Zähmung fesselt plötzlich meine Zunge,
Und ein Feuer pflanzt mit wildem Sprunge
Sich durch meine Haut und Glieder fort.
»Mein Gesicht hat seine Kraft verloren,
Ein Gebrause tönt in meinen Ohren,
Und vor Zittern kann ich nicht mehr steh’n.
Kalter Schweiß befeuchtet meine Glieder,
Gleich dem Grase sink’ ich welkend nieder,
Könnt’ ich athmen! ’s ist um mich geschehen538!«
»Nun, was sagst Du von diesem Liede? Aber, beim Herkules, Kind, Du bist ganz bleich geworden! Haben Dich die Verse so sehr ergriffen, oder bist Du nur erschrocken von dem treuen Bilde Deines eigenen sehnsüchtigen Herzens? Beruhige Dich, Mädchen! Wer weiß, was Deinen Liebsten zurückhält –«
»Nichts, gar nichts!« rief in diesem Augenblicke eine frische Männerstimme, und wenige Sekunden später lag Sappho an der Brust des geliebten Jünglings.
Kallias spielte den schweigenden Zuschauer und lächelte vor Freude über die wunderbare Schönheit des jungen Paares.
»Nun aber,« rief der Königssohn, nachdem er mit Kallias bekannt geworden war, »muß ich die Großmutter eiligst aufsuchen. Statt in vier Tagen soll heute noch die Hochzeit sein! Jede Stunde des Zauderns kann uns gefährlich werden. Ist Theopompus hier?«
»Ich vermuthe es fast,« – antwortete Sappho; »denn ich wüßte sonst nicht, warum die Großmutter so lang im Hause bleibt. Aber was ist es mit der Hochzeit? Ich meine . . .«
»Laß uns erst hineingehen, meine Liebe; ich fürchte, daß ein Gewitter heraufzieht. Der Himmel verfinstert sich schon, und es fängt an unerträglich schwül zu werden!«
»So kommt schnell,« rief Sappho, »wenn ihr nicht wollt, daß ich vor Neugier vergehe! Vor dem Gewitter braucht ihr euch nicht zu fürchten. Seit meiner Kindheit hat es in Aegypten während dieser Jahreszeit weder geblitzt, noch gedonnert539!«
»Dann wird Dir heut’ etwas Neues begegnen,« lachte der Athener. »Soeben fiel ein schwerer Regentropfen auf mein kahles Haupt, – die Nilschwalben flogen bei meiner Herfahrt ganz dicht über dem Wasser hin, und schon breitet sich eine Wolke über den Mond. Kommet schnell herein, damit ihr nicht naß werdet. He, Sklave, sorge dafür, daß man den Göttern der Unterwelt ein schwarzes Lamm opfert540!«
Im Wohnzimmer der Rhodopis saß Theopompus, wie Sappho richtig vermuthet hatte. Er war eben mit seiner Erzählung von der Verhaftung des Zopyrus und der Reise des Bartja und seiner Freunde fertig geworden.
Je größere Besorgniß in den Beiden wegen dieser Vorgänge erwacht war, desto freudiger wurden sie von der unerwarteten Erscheinung des Königssohnes überrascht, der in geflügelten Worten die Erlebnisse der letzten Stunden wiederholte und Theopompus bat, sich nach einem segelfertigen Schiffe für ihn und seine Freunde umzusehen.
»Das trifft sich herrlich!« rief Kallias. »Meine eigene Triere, welche mich heut’ nach Naukratis brachte, liegt vollkommen ausgerüstet im Hafen und steht Dir zu Diensten. Ich brauche nur dem Steuermanne zu befehlen, die Mannschaft zusammen und Alles fertig zu halten. – Du bist mir nicht verpflichtet; ich muß Dir vielmehr für die mir erwiesene Ehre danken! Heda, Knakias, eile und sage meinem Sklaven Philomelus, der draußen im Vorsaale wartet, er möge sich in den Hafen rudern lassen und meinem Steuermanne Nausarchus befehlen, Alles zur Abreise bereit zu halten. Gib ihm dies Siegel, welches ihn zu Allem bevollmächtigt!«
»Und meine Sklaven?« fragte Bartja.
»Knakias soll meinem alten Schaffner den Auftrag geben, sie zum Schiffe des Kallias zu führen,« erwiederte Theopompus.
»Wenn sie dieses Zeichen sehen, so werden sie ihm unbedingt folgen,« fügte Bartja hinzu und gab dem alten Diener seinen Ring.
Als sich Knakias unter tiefen Verbeugungen entfernt hatte, fuhr der Königssohn fort: »Jetzt aber muß ich Dir, meine Mutter, eine dringende Bitte vortragen.«
»Ich errathe sie,« lächelte Rhodopis. »Du wünschest, daß man die Hochzeit beschleunige, und ich sehe ein, daß ich Deinem Verlangen nachgeben muß!«
»Wenn ich nicht irre,« rief Kallias, »so stehen wir hier dem seltenen Falle gegenüber, daß sich zwei Menschen über eine Gefahr, in der sie schweben, von Herzen freuen.«
»Du magst Recht haben,« gab Bartja, die Hand seiner Geliebten verstohlen drückend, dem Athener zurück. Dann wandte er sich nochmals an Rhodopis und bat sie, ihm ohne Säumen ihr Liebstes, dessen Werth er wohl zu schätzen wisse, anzuvertrauen.
Rhodopis richtete sich hoch empor, legte ihre Rechte auf Sappho’s, ihre Linke auf Bartja’s Haupt und sagte:
»Es gibt eine Sage, ihr Kinder, welche erzählt, daß im Lande der Rosen ein blauer See bald sänftlich ebbe, bald stürmisch fluthe, und daß das Wasser dieses Sees halb süß wie Honig, halb bitter wie Galle schmecke. Ihr werdet den Sinn dieser Sage kennen lernen und in dem erhofften Rosenlande eurer Ehe bald stille, bald bewegte, bald süße, bald bittere Stunden erleben. So lange Du ein Kind warst, Sappho, sind Deine Tage dahingegangen, ungetrübt, gleich einem Frühlingsmorgen; sobald Du zur liebenden Jungfrau wurdest, hat sich Deine Brust dem Schmerze geöffnet, der jetzt durch lange Monde der Trennung ein wohlbekannter Gast in ihr geworden ist, ein Gast, der bei Dir anklopfen wird, so lange Du lebst. Deine Aufgabe, Bartja, wird es sein, den Zudringlichen, soweit es in Deinen Kräften steht, von Sappho fern zu halten. Ich kenne die Menschen und wußte, ehe mich Krösus Deines Edelsinnes versichert hatte, daß Du meiner Enkelin würdig wärest. Darum gestatte ich Dir, mit ihr den Quittenapfel541 zu verzehren, darum übergebe ich Dir ohne Zagen ein Wesen, welches ich bis dahin als ein heiliges, mir anvertrautes Pfand behütet habe. Betrachte Du Dein Weib in gleicher Weise als einen dargeliehenen Schatz, denn nichts ist gefährlicher für die Liebe, als die behagliche Sicherheit des ausschließlichen Besitzes. – Man hat mich getadelt, weil ich das unerfahrene Kind in die den Frauen ungünstigen Verhältnisse Deiner fernen Heimath ziehen lasse; ich kenne aber die Liebe und weiß, da es für eine liebende Jungfrau kein anderes Vaterland gibt, als das Herz des Mannes, dem sie sich hingibt, daß ein von Eros getroffenes Weib kein anderes Unglück achtet, als das, getrennt von dem Manne ihrer Wahl leben zu müssen. Und außerdem frage ich euch, Kallias und Theopompus, sind eure Gattinnen vor denen der Perser so sehr bevorzugt? – Muß die ionische, attische Frau nicht, gleich der Perserin, in den Weibergemächern ihr Leben verbringen und froh sein, wenn man ihr ausnahmsweise gestattet, tiefverschleiert und von mißtrauischen Sklaven begleitet, über die Straße zu gehen? – Was die Vielweiberei der Perser anbelangt, so fürchte ich sie weder für Sappho, noch für Bartja! – Er wird seiner Gattin treuer sein als ein Hellene, denn in Sappho wird er vereint finden, was ihr, Kallias, einerseits in der Ehe, andererseits in den Häusern der gebildeten Hetären542 sucht. Hier Hausfrauen und Mütter, dort geistig belebte und belebende Gesellschafterinnen. Nimm’ sie hin, mein Sohn; ich übergebe Dir Sappho vertrauensvoll und gern, wie ein alter Kämpfer seinem starken