Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Kriegern angegriffen, überwältigt und mit geknebelten Gliedern in den finstern Raum eines Fahrzeuges geworfen, welches, nach einer Reise von vielen Tagen und Nächten, an einem ihm unbekannten Ufer die Anker auswarf. Nun befreite man den Gefangenen aus seinem Kerker und führte ihn, bei glühender Hitze, durch eine Wüste, an seltsam gestaltetem Gesteine vorbei nach Osten zu. Endlich kam er zu einem Gebirge, an dessen Fuße zahlreiche Hütten gebaut waren, in denen viele Menschen wohnten, die, mit Ketten an den Füßen, alle Morgen in den Schacht eines Bergwerks getrieben wurden, um dort Goldkörner aus dem harten Gefels zu hacken574. Manche der unglücklichen Grubenarbeiter verweilten schon länger als vierzig Jahre an dieser Stätte des Elends; die meisten von ihnen verfielen aber durch die ungeheure Anstrengung, welche man ihnen auferlegte, und die entsetzliche Hitze, die ihnen, sobald sie den Schacht verließen, entgegenstrahlte, einem frühzeitigen Tode.
»Meine Genossen,« so erzählte Aristomachus, »waren theils zum Tode verurtheilte und begnadigte Mörder, theils ihrer Zunge beraubte Staatsverräther, theils dem Könige gefährliche und von ihm gefürchtete Menschen, wie ich. Drei Monate arbeitete ich mit diesem Gesinde, von dem Stocke der Vögte geschlagen, verschmachtend in der Hitze des Mittags, erstarrend, wenn der kalte Thau der Nächte auf meine nackten Glieder herniederfiel, dem Tode erlesen und nur lebend und mich fristend durch die Hoffnung auf Rache an meinen Verfolgern. Da fügten es die Götter, daß sich die Wärter bei dem Feste der Pacht575, wie es Sitte in Aegypten ist, so sehr in Wein übernahmen, daß sie in den starren Schlaf der Trunkenheit verfielen und nicht bemerkten, wie ich und ein junger gefangener Jude, der beschuldigt worden war, bei einem Handel falsches Gewicht gebraucht zu haben, und deßhalb seiner rechten Hand beraubt worden war, die Flucht ergriffen. Zeus Lacedämonius und der große Gott jenes Jünglings standen uns zur Seite und blendeten die Verfolger, deren Stimmen wir oftmals dicht hinter uns vernahmen.
»Mit einem den Wächtern von mir entwandten Bogen schaffte ich uns Nahrung. Wo sich kein Wild fand, aßen wir Wurzeln, Baumfrüchte und Vogeleier. Der Stand der Sonne und der Sterne half uns den rechten Weg zu finden. Wir wußten, daß das rothe Meer nicht fern von den Bergwerken fluthe und daß wir im Süden von Memphis, ja von Theben, verweilt hatten. Bald erreichten wir den Strand und strebten nun unermüdlich nach Norden zu, bis wir mit freundlichen Schiffern zusammentrafen, die uns so lange verpflegten, bis ein arabisches Boot uns aufnahm, welches mich und den Juden, der die Sprache der Seefahrer kannte, nach Ezeongeber, im Lande der Edomiter, brachte. Dort vernahmen wir, daß Kambyses mit einem großen Heere gegen Aegypten heranziehe, und reisten mit einem amalekitischen Reiterzuge, welcher die Perser mit Wasser unterstützen sollte, nach Harma. Von hier aus wanderte ich mit Nachzüglern des großen asiatischen Heeres, die mich aus Mitleiden dann und wann auf ihre Pferde setzten, nach Pelusium und höre jetzt, daß Du dem Großkönige als Kriegsoberster dienst. Ich habe meinen Schwur gehalten und bin treu für die Hellenen in Aegypten eingetreten; jetzt ist die Reihe an Dir, dem alten Aristomachus zu helfen und ihm das Einzige zu verschaffen, wonach er sich sehnt: Rache an seinen Verfolgern!«
»Die sollst Du haben,« rief der Athener und drückte die Hand des Greises. »Ich werde Dich an die Spitze der milesischen Schwerbewaffneten stellen und Dir anheimgeben, gegen unsere Feinde zu wüthen, wie es Dir beliebt! Aber damit hab’ ich meine Schuld noch lange nicht abgetragen, und ich preise die Götter, weil sie mir jetzt schon gestatten, Dich durch ein einfaches Wort glücklich zu machen! Wisse, daß wenige Tage nach Deinem Verschwinden ein spartanisches Ehrenschiff, geführt von Deinem trefflichen Sohne, nach Naukratis kam, um Dich, den Vater zweier olympischer Sieger, auf Befehl der Ephoren576 in die Heimath zurückzurufen.«
Bei dieser Nachricht erbebten die Glieder des Greises, seine Augen füllten sich mit Thränen, und seine Lippen murmelten ein leises Gebet. Dann schlug er sich vor die Stirn und rief mit zitternder Stimme: »Jetzt erfüllt es sich, – jetzt wird es zur Wahrheit! Verzeihe mir, Phöbus Apollo, wenn ich an den Worten Deiner Priesterin zweifelte! Was verhieß das Orakel?
›Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt
Zu den Gefilden des Stroms, welcher die Ebne benetzt, –
Führt Dich der zaudernde Kahn hinab zu jenem Gefilde,
Welches dem irrenden Fuß heimischen Frieden gewährt!
Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt, –
Schenkt Dir die richtende Fünf, was sie Dir lange versagt.‹
»Jetzt erfüllt es sich, was mir der Gott verhieß. Jetzt darf, jetzt will ich heimkehren; erst aber heb’ ich die Hand empor und bitte Dice, die ewigwaltende Gerechtigkeit, daß sie mir die Wonne der Rache nicht versagen möge!«
»Morgen graut der Tag der Vergeltung!« rief Phanes in das Gebet des Alten einstimmend. »Morgen schlacht’ ich meinem Sohne die Todtenopfer und gehe nicht eher zur Ruhe, bis Kambyses mit den von mir geschnitzten Pfeilen das Herz von Aegypten getroffen hat! Komm’ jetzt, mein Freund, und laß Dich zum Könige führen. Ein Mann wie Du schlägt einen ganzen Haufen ägyptischer Schleuderer in die Flucht!«
Die Nacht war hereingebrochen und die persischen Soldaten standen, da ihr unbefestigtes Lager einen Ueberfall der Feinde befürchten lassen mußte, in Reih’ und Glied auf den ihnen angewiesenen Posten. Die Infanteristen lehnten sich an ihre Schilder und Speere, während die Reiter ihre gesattelten und gezäumten Pferde bei den Wachtfeuern hielten. Kambyses ritt an den Schlachtreihen vorüber und begeisterte durch seinen Gruß und Anblick die Schaaren der Streiter577. Nur das Centrum des Heeres hatte sich noch nicht aufgestellt, denn dieses bestand aus den persischen Leibwachen, den Apfelträgern, Unsterblichen und Verwandten des Königs, welche sich erst zugleich mit ihm den Feinden entgegenzustellen pflegten.
Außerdem waren die kleinasiatischen Griechen auf Befehl des Phanes, statt in die Reihen zu treten, zur Ruhe gegangen. Der Athener wünschte seine Streiter frisch zu erhalten und ließ sie, wenn auch in voller Rüstung, ruhig schlafen, während er selbst für sie wachte. Aristomachus war von den Ioniern mit lautem Jubel empfangen, vom Könige freudig begrüßt worden und sollte mit der einen Hälfte der Hellenen zur Linken des Mitteltreffens kämpfen, während Phanes mit dem andern Theile derselben auf der rechten Seite der Garden zu stehen kam. Der König wollte an der Spitze der zehntausend Unsterblichen, denen das blau-roth-goldene Reichsbanner und die Fahne des Kawe voranwehte578, die Schlacht leiten, Bartja sollte das persische Gardereiterregiment (tausend Mann) und die ganz bepanzerte Kavallerie führen.
Krösus befehligte eine Abtheilung des Heeres, welche das Lager, die in ihm befindlichen unermeßlichen Schätze, die Weiber der Großen, die Mutter und Schwester des Königs zu bewachen hatte.
Als sich der leuchtende Mithra zeigte, und die finsteren Geister der Nacht sich in ihre Höhlen verbargen, wurde das heilige Feuer, welches dem Heere von Babylon aus vorangetragen worden war, zu riesenhafter Größe angefacht und von den Magiern und dem Könige mit kostbaren Wohlgerüchen gespeist. Dann verrichtete Kambyses das Opfer und flehte mit hoch erhobener, goldener Schale um Sieg und Ruhm. Hierauf gab er den Persern das Losungswort: »Auramazda, Helfer und Führer«, und stellte sich an die Spitze seiner Garden, deren Tiaren mit Kränzen geziert waren. Auch die Hellenen verrichteten ihre Opfer und jubelten laut, als die Priester verkündeten, daß die Vorzeichen Sieg versprächen. »Hebe« lautete ihre Parole579.
Indessen hatten auch die ägyptischen Priester mit Opfer und Gebet den Morgen begonnen und sich dann in Schlachtordnung aufgestellt.
Dem Mitteltreffen gegenüber hielt Psamtik, der nunmehrige König, auf einem goldenen Fuhrwerke mit Bogenhaltern von demselben Metalle. Seine Rosse waren mit purpurnen Decken und goldenen Schabracken geschmückt und trugen Straußenfedern auf den stolzen Häuptern. Sein Wagenlenker