Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.dem Griechennamen Ehre bringen und dem Griechenthume neue Freunde werben. Ich danke Dir für Deine Thränen, Kind! Ich vermag den meinen zu gebieten, doch habe ich für diese Kunst dem Schicksale Unermeßliches gezahlt! Diesen Schwur, edler Bartja, hörten die Götter. Vergiß ihn niemals und nimm’ sie hin, als Dein Eigenthum, – Deine Freundin, – Dein Weib! – Führe sie fort, sobald Deine Gefährten heimkehren. Die Götter wollen nicht, daß zu Sappho’s Vermählungsfeier der Hymenäus gesungen werde543!«
Bei diesen Worten fügte die Greisin die Hände des Paares in einander, umarmte Sappho heiß und innig und hauchte einen leisen Kuß auf die Stirn des jungen Persers. Später wandte sie sich an die in tiefer Rührung dastehenden hellenischen Freunde und sprach:
»Das war eine stille Vermählung, ohne Sang und Fackelschein. Möge ihr eine um so freudigere Ehe folgen! Geh’ hin, Melitta, und hole das Hochzeitsgeschmeide der Braut, die Armbänder und Halsketten, welche in dem Bronze-Kästchen auf meinem Putztische liegen, damit unser Liebling ihrem Eheherrn, angethan, wie es der zukünftigen Fürstin ziemt, die Hand reichen könne544.«
»Eile Dich,« rief Kallias, der jetzt seine alte Heiterkeit wieder erlangt hatte; »auch darf die Nichte der größten Hymenäen-Sängerin545 nicht ganz ohne Sang und Klang in das Brautgemach treten. Da das Haus des jungen Eheherrn allzufern ist, so nehmen wir an, die leere Andronitis wäre seine Wohnung. Dorthin führen wir die Jungfrau durch die Mittelthür und genießen am Herde des Hauses ein fröhliches Hochzeitsmahl. Herbei, ihr Sklavinnen, und theilt euch in zwei Chöre. Ihr übernimmt den der Jünglinge, ihr den der Jungfrauen und singt uns den Sappho’schen Hymenäus: ›Wie im Gebirge.‹ Ich selbst spiele den Fackelträger546, eine Würde, die mir ohnedem zukommt. Du mußt wissen, Bartja, daß meine Familie das erbliche Recht besitzt, die Fackeln bei den Mysterien von Eleusis zu tragen, weswegen man uns Daduchen oder Fackelträger nennt547. Heda, Sklave! Sorge für Kränze an der Thür der Andronitis und befiehl Deinen Genossen, daß sie uns bei unserem Eintritt mit Zuckerwerk bewerfen548! Ei, sieh’ da, Melitta, wie hast Du die schönen Braut- und Bräutigams-Kronen von Veilchen und Myrten so schnell beschaffen können549? – Der Regen fließt stromweis durch die Oeffnung im Dache! – Sehet, – Hymen hat Zeus überredet, daß er euch zu allen Gebräuchen der Vermählungsfeier verhelfe. Da ihr das Bad, welches Braut und Bräutigam nach alter Sitte am Hochzeitsmorgen zu nehmen pflegen, nicht haben könnt, – so müßt ihr einen Augenblick hierher treten und das Naß des Zeus für geheiligtes Quellwasser gelten lassen! Jetzt aber stimmt den Gesang an, ihr Mädchen! Laßt die Jungfrau den Verlust ihrer Rosenzeit beklagen und die Jünglinge das Loos der Jungvermählten preisen.«
Nun begannen fünf hohe, wohlgeübte Stimmen den Chor der Jungfrau wehmüthig klagend zu singen:
»Wie im Gebirge die Hirten die Hyacinthe mit Füßen
Treten, daß abgeknickt die purpurne Blüthe zur Erde
Hinsinkt, wo sie von Keinem beachtet im Staube dahinwelkt;
Also die Jungfrau, wenn sie der Keuschheit Blüthe geopfert,
Wird von den Knaben verachtet und von den Mädchen gemieden.
Hymen o Hymenäus, o Hymen, komm’ Hymenäus!«
Und der andere tiefere Chor gab in jubelnden Tönen den Mädchen zurück:
»Wie auf kahlem Gefilde die Rebe, die einsam getrauert,
Da sie der Ulme vermählt, sich emporhebt, Ranken und Trauben
Hoch um die Wipfel geschlungen, des Landmanns herzliche Freude;
Also die Frau, die in blühender Jugend den ehelichen Bund schloß,
Wird von dem Manne geliebt und erfreuet die Herzen der Eltern.
Hymen o Hymenäus, o Hymen, komm’ Hymenäus550!«
Nun vereinten sich beide Chöre, um das »Hymen komm’, Hymenäus« sehnsüchtig rufend und doch jubelvoll aber- und abermals zu wiederholen. Plötzlich verstummte der Sang, denn das Licht eines Blitzes, dem ein heftiger Donnerschlag folgte, strahlte durch die Oeffnung im Dache, unter welche Kallias das junge Paar geführt hatte. »Seht ihr?« rief der Daduche, seine Hand gen Himmel erhebend, »Zeus selbst schwingt die Hochzeitsfackel und singt den Hymenäus für seine Lieblinge.«
Als der nächste Morgen graute, traten Bartja und Sappho aus dem Brautgemach in den Garten, welcher nach dem Gewitter, das während der ganzen Nacht in unerhörter Heftigkeit getobt hatte, so heiter und morgenfrisch strahlte wie das Angesicht der Neuvermählten.
Die Beiden hatten sich so zeitig von dem hochzeitlichen Lager erhoben, weil in Bartja’s Seele die Besorgniß um seine Freunde, welche er im Rausche der Zärtlichkeit beinahe vergessen hatte, von neuem, und heftiger als vorher, erwacht war.
Der Garten lag auf einem künstlichen Hügel, welcher die überschwemmte Ebene überragte und einen freien Blick über dieselbe gestattete. Auf dem Spiegel des Nilwassers schwammen weiße und blaue Lotusblumen, am Ufer und über den Untiefen zeigten sich dicht aneinander gedrängt große Schwärme von Wasservögeln. Wie Schneefirnen am Hochgebirge boten sich die am Stromesrande stehenden Schwärme von Silberreihern den Blicken dar. Einsam kreisten breitbeschwingte Adler in der reinen Morgenluft, in den Kronen der Palmen wiegten sich Turteltauben und die Pelikane und Enten auf dem Spiegel des Wassers flogen schreiend und schnatternd in die Höhe, sobald sich das bunte Segel einer Barke zeigte. Ein frischer Nordostwind durchwehte die von dem nächtlichen Gewitter abgekühlte Luft und trieb, trotz des frühen Morgens, eine ziemliche Anzahl von Fahrzeugen über die unter Wasser stehenden Aecker hin. Der Gesang der Matrosen vereinte sich mit dem Plätschern der Ruderschläge und dem Gezwitscher der Vögel, um die einförmige und dennoch bunte Landschaft des überschwemmten Nilthals auch mit Tönen zu beleben.
Das junge Ehepaar stand eng aneinander gelehnt an der niedern Mauer, welche den Garten der Rhodopis umgab, und schaute, zärtliche Worte tauschend, diesem Schauspiele zu, bis Bartja’s scharfes Auge ein Fahrzeug entdeckte, welches, vom Winde und kräftigen Ruderschlägen getrieben, gerade auf das Landhaus der Greisin zusteuerte.
Wenige Minuten später landete das Boot bei der Gartenmauer, und bald darauf stand Zopyrus mit seinen Rettern vor dem Königssohne.
Der Plan des Darius war, Dank dem Gewitter, welches die Aegypter, seiner ungewohnten Zeit und Heftigkeit wegen, erschreckt hatte, wohl gelungen; dennoch durfte keine Zeit verloren werden, denn es stand zu erwarten, daß die Saïten den Flüchtling mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln verfolgen würden.
Nach einem kurzen, aber um so zärtlicheren Abschiede trennte sich Sappho von ihrer Großmutter und bestieg an Bartja’s Hand, von der alten Melitta, die ihr nach Persien folgte, begleitet, den Kahn des Syloson und eine Stunde später die schöngezimmerte Hygieia, das schnell segelnde Meerschiff des Kallias.
Der Athener erwartete die Flüchtlinge an Bord seiner Triere und nahm besonders von Sappho und Bartja herzlichen Abschied. Letzterer hängte dem Alten eine überaus kostbare Kette als Zeichen seiner Dankbarkeit um den Hals, während Syloson dem Darius, zum Andenken an die gemeinsam bestandene Gefahr, seinen Purpurmantel, ein unschätzbares Meisterwerk sidonischer Färberkunst, welches die Bewunderung des Hystaspessohnes erweckt hatte, um die Schultern legte. Darius nahm diese Gabe freudig an und rief dem Bruder des Polykrates beim Abschiede zu: »Erinnere Dich stets daran, hellenischer Freund, daß ich Dir Dank schulde, und gib mir sobald als möglich Gelegenheit, Dir einen Gegendienst zu leisten551!«