Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Könige auf den Altan, welcher den riesengroßen, mit Bäumen bepflanzten Schloßhof umgab. Dichtes Blumengebüsch verbarg die Lauscher, welche jede Bewegung der Menschen unter ihnen erkennen und jedes ihrer Worte verstehen konnten. Psamtik stand, von einigen seiner früheren Genossen umgeben, an einen Palmenbaum gelehnt und schaute finster zu Boden, während seine Tochter mit dem Kinde Neithotep’s und anderen Jungfrauen in Sklavenkleidern, gefüllte Wasserkannen tragend, in den Hof schritten. Sobald die Mädchen den König erblickten, erhoben sie ein lautes Klagegeschrei, welches Psamtik aus seinen Träumen weckte. Nachdem er die Jammernden erkannt hatte, beugte er sein Antlitz zur Erde nieder, richtete sich aber bald wieder auf und fragte seine älteste Tochter, für wen sie das Wasser trage? Als er vernommen hatte, daß sie Phanes Sklavendienste leisten müsse, erbleichte er, nickte mit dem Kopfe und rief den Mädchen zu: »Geht!«
Wenige Minuten später traten die Gefangenen, mit Stricken am Halse und Zäumen im Munde, von persischen Wachen geführt, in den Hof589. Dem Zuge voran ging der kleine Necho, welcher seinem Vater die Händchen entgegenstreckte und ihn bat, daß er die fremden, bösen Menschen, die ihn tödten wollten, bestrafen möge. Die Aegypter weinten bei diesen Worten vor übergroßem Schmerz; Psamtik aber beugte sich abermals thränenlos tief zur Erde nieder und winkte dann dem weinenden Knaben mit der Hand ein letztes Lebewohl entgegen.
Kurze Zeit darauf traten die zu Sais Gefangenen durch die Pforte. Unter ihnen befand sich der greise Neithotep. Der frühere Oberpriester war in Lumpen gekleidet und schlich an einem Stabe mühsam vorwärts. Am Thore des Hofes schlug er die Augen auf und erblickte Darius, seinen einstigen Schüler. Alsogleich ging er, ohne sich um seine Umgebung zu kümmern, auf ihn zu, klagte dem Jünglinge seine Noth, bat ihn, ihm zu helfen, und flehte ihn endlich um ein Almosen an.
Darius that seine Hand auf und veranlaßte dadurch die anderen Achämeniden, welche in seiner Nähe standen, den Alten scherzend anzurufen und ihm kleine Münzenstücke zuzuwerfen, die er mühsam und dankend von der Erde auflas.
Sobald Psamtik dies erblickte, weinte er laut, rief den Namen seines Freundes klagend aus und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
Kambyses wunderte sich, als er dieses sah, zertheilte die Blumen, trat an die Brüstung des Altans und rief dem Unglücklichen zu: »Sage mir, Du seltsamer Mensch, warum Du beim Anblicke Deiner unglückseligen Tochter und Deines in den Tod gehenden Sohnes nicht gejammert und geweint, einem Bettler aber, der nicht einmal mit Dir verwandt sein soll, so große Teilnahme erwiesen hast?«
Psamtik schaute zu seinem Besieger hinauf und antwortete: »Meines Hauses Unglück, Sohn des Cyrus, war für Thränen zu groß; das Ungemach eines Freundes aber, der im Greisenalter vom angesehensten, glücklichsten Manne zum elenden Bettler wurde, durfte ich beweinen!«
Kambyses nickte dem Unglücklichen beifällig zu und bemerkte, als er sich umschaute, daß nicht allein in seinem Auge eine Thräne schwamm. Krösus, Bartja und alle anwesenden Perser, ja sogar Phanes, der den beiden Königen als Dolmetscher gedient hatte, weinten laut.
Der stolze Sieger sah diese Thränen gern und sagte, sich dem Athener zuwendend: »Ich meine, hellenischer Freund, daß die uns zugefügte Unbill gerochen ist. Steh’ auf, Psamtik, und suche Dich, wie dieser edle Greis (dabei zeigte er auf Krösus), an Dein neues Schicksal zu gewöhnen. Der Betrug Deines Vaters ist an Dir und Deinem Hause gestraft worden. Dieselbe Krone, welche Amasis der Tochter des Hophra, meiner unvergeßlichen Gattin, raubte, habe ich von Deinem Haupte gerissen. Um Nitetis willen begann ich diesen Krieg; jetzt schenke ich Deinem Sohne das Leben, weil sie ihn liebte. Ungekränkt magst Du von nun ab als Tischgenosse an unserem Hofe leben und die Ehren meiner Großen theilen. Hole den Knaben, Gyges! Er soll, wie Du vor Jahren, mit den Söhnen der Achämeniden erzogen werden!«
Der Lyder eilte, um diesen erfreulichen Auftrag auszurichten, der Thür des Altanes zu; Phanes aber rief ihn, ehe er sie erreichen konnte, zurück, stellte sich in stolzer Haltung zwischen den König und den vor Wonne bebenden Psamtik und sprach: »Dein Gang, edler Lyder, würde vergebens sein; Necho, der Sohn des Psamtik, ist nicht mehr! Deinem Befehle trotzend, mein Herrscher, hab’ ich die Vollmacht, welche Du mir einst gegeben, benutzt, um dem Henker aufzutragen, den Enkel des Amasis als ersten von allen Gefangenen hinzurichten. Jener Hörnerton, den ihr vernommen haben werdet, gab Kunde von dem Tode des letzten am Nil geborenen Thronerben von Aegypten. Ich kenne mein Geschick, Kambyses, und bitte nicht um ein Leben, dessen Ziel erreicht ist. Auch Deinen vorwurfsvollen Blick, o Krösus, verstehe ich. Du beklagst die gemordeten Kinder; das Leben ist aber ein solches Gewebe von Jammer und Enttäuschungen, daß ich mit Deinem Warner Solon Denjenigen für den Glücklichsten halte, dem die Götter, wie einst dem Kleobis und Biton590, einen frühen Tod bescheren. Gestatte mir, wenn ich Dir jemals werth war, wenn mein Rath Dir je zum Heile gereicht, o Kambyses, als letzte Gnade, nur noch wenige Worte reden zu dürfen. Du, Psamtik, weißt, was uns entzweite. Ihr, an deren Achtung mir gelegen ist, sollt es jetzt Alle erfahren. Ich bin von dem Vater dieses Mannes an seiner Stelle zum Befehlshaber der gegen Cypern gesandten Gruppen ernannt worden und errang große Erfolge, wo er Demütigungen erntete; ich wurde ohne meinen Willen zum Mitwisser eines, seine Ansprüche auf den Thron gefährdenden Geheimnisses; ich verhinderte ihn endlich, eine tugendhafte Jungfrau aus dem Hause ihrer Ahne, einer allen Hellenen ehrwürdigen Greisin, zu rauben. – Das ist es, was er mir nicht verzeihen konnte, was ihn bewog, mich, als ich die Dienste seines Vaters verlassen mußte, zum Kampf auf Tod und Leben herauszufordern. Jetzt ist der Streit entschieden. Du hast meine unschuldigen Kinder morden und mich selbst, gleich einem schädlichen Thiere, hetzen lassen; das ist Deine ganze Rache! Ich habe Dich Deines Thrones beraubt und Dich und Dein Volk zu Knechten gemacht. Ich habe Deine Tochter meine Sklavin genannt, habe Deinen Sohn verbluten lassen und mit angesehen,. wie dieselbe Jungfrau, welche Du verfolgtest, zur glücklichen Gattin eines Helden wurde. Du, Gestürzter, Sinkender, sahest mich zum Reichsten und Mächtigsten meiner Landsleute werden; Du, Unglücklicher, mußtest mich – und das war meine schönste Rache – vor unbezwinglicher Rührung über Dein entsetzliches Schicksal weinen sehen! Wer so, wie ich, das tiefste Elend seines Feindes nur um einen Athemzug überleben darf, den preise ich glücklich gleich den seligen Göttern. Jetzt habe ich nichts mehr zu sagen!« –
Phanes schwieg, die Hand auf seine Wunde pressend. Kambyses schaute ihn staunend an, trat einen Schritt vorwärts und wollte eben den Gürtel des Atheners berühren, eine Handbewegung, welche der Unterzeichnung eines Todesurtheils gleichgekommen wäre591, als seine Blicke auf die Ehrenkette fielen, welche er ihm zum Lohn für die Klugheit, mit der er die Unschuld der Nitetis bewiesen, um den Hals gehängt hatte. Die Erinnerung an das Weib seiner Liebe und den Dank, welchen er dem seltenen Manne für zahllose Dienste schuldete, besänftigte seinen Groll und ließ seine zum Zeichen des Todes erhobene Hand sinken. Während einer Minute stand der strenge Herrscher dem ungehorsamen Freunde zaudernd gegenüber, dann erhob er abermals, einer schnellen Eingebung folgend, seine Rechte und wies mit derselben gebieterisch auf den Ausgang des Hofes hin.
Phanes verneigte sich schweigend, küßte das Gewand des Königs und stieg gemessenen Schrittes in den Hof hinab. Psamtik schaute ihm bebend nach und sprang an die Brüstung des Altans, sank aber, eh’ er seine Lippen zu einem Fluche öffnen konnte, kraftlos zusammen.
Kambyses winkte seinem Gefolge und befahl dem Jägermeister, Vorbereitungen zu einer Löwenjagd in den libyschen Bergen zu treffen.
Siebentes Kapitel
Der Nil begann wiederum zu steigen. Zwei Monate, in denen sich Manches zugetragen hatte, waren seit der Flucht des Phanes vergangen.
Sappho war an demselben Tage, an welchem der Athener Aegypten verließ, eines Mägdleins genesen und hatte sich unter der Pflege ihrer Großmutter soweit erholt, daß sie an einer Nilfahrt, welche auf Vorschlag des Krösus am Feste der Neith unternommen wurde, theilnehmen konnte.