Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.gab dem ernsten Gespräch eine heitere Wendung. Jeder bemühte sich, seinen Theil zur Belebung des Frohsinns beizutragen; ja, selbst Darius ließ von seinem gewöhnlichen Ernste, um mit den Freunden, denen jetzt allerlei Speisen und Getränke aufgetragen wurden, zu lachen und zu scherzen.
Als die Sonne hinter dem Mokattam-Gebirge verschwunden war, setzten die Sklaven kostbar geschnitzte Stühle, Fußbänke und Tischchen auf das offene Verdeck, welches die muntere Gesellschaft nunmehr betrat. Ein wunderbar schöner, alle Erwartungen übertreffender Anblick bot sich den überraschten Augen dar.
Das Fest der Neith, welches die Aegypter Lampen brennen nannten und das durch eine große Illumination aller Häuser des Landes gefeiert zu werden pflegte, hatte mit dem Aufgange des Mondes begonnen597. Die Ufer des Riesenstromes glichen unabsehbar langen Feuerstreifen. Jeder Tempel, jedes Haus, jede Hütte war, je nach dem Wohlstande des Besitzers, mit Lampen geschmückt. An den Portalen der Landhäuser, sowie auf den Thürmchen der größeren Gebäude brannten in Pechpfannen helle Feuer und schickten dichten Rauch empor, der sich mit den Fahnen und Wimpeln in der Luft wiegte. Die vom Mondscheine versilberten Palmen- und Sykomorenbäume spiegelten sich, seltsame Gestalten annehmend, in den vom Abglanze der Flammen gerötheten Wellen, welche das Ufer bespülten. Aber all’ das Licht genügte nicht, um auch die Mitte des Riesenstromes, in der sich die Barke der Luftfahrer hielt, zu erhellen. Es war ihnen, als führen sie, von zwei lenchtenden Tagen umgeben, in finsterer Nacht dahin. Dann und wann zeigten sich Barken, die, mit Lampen erleuchtet, wie feurige Schwäne über das Wasser flogen und, wenn sie sich an den Ufern hielten, das Ansehen hatten, als ob sie einen glühenden Eisenguß durchschnitten.
Schneeweiße Lotusblumen wiegten sich auf den Wellen und erschienen den Lustfahrern wie die Augen des Wassers. Kein Laut erreichte von den Ufern her das Ohr der Lauschenden. Die Kraft des vom Nordwinde entführten Schalles war zu gering, um die Mitte des Stromes zu erreichen. Nur der Ruderschlag und der einförmige Gesang der Matrosen unterbrach die tiefe Stille der ihres Dunkels beraubten Nacht.
Lange Zeit schauten die Freunde schweigend auf das seltsame Schauspiel, welches an ihnen vorüberzugleiten schien. Endlich unterbrach Zopyrus die Stille, indem er hoch aufathmend ausrief »Wie beneide ich Dich, Bartja! Wenn es mit rechten Dingen zuginge, so müßte Jeder von uns in dieser Stunde sein geliebtestes Weib an seiner Seite haben!«
»Wer hat Dir verboten, eine von Deinen Frauen mitzunehmen?« antwortete der glückliche Gatte.
»Meine fünf anderen Lebensgefährtinnen,« seufzte der Jüngling. »Hätt’ ich Parysatis, des Oroetes Töchterlein, meinen jüngsten Liebling, allein mit mir zu kommen gestattet, so würde dieser reizende Anblick mein letzter gewesen sein, denn morgen hätte es ein Paar Augen weniger auf der Welt gegeben!«
Bartja nahm Sappho’s Rechte fest in die seine und sagte: »Ich glaube beinah, daß ich mich Zeitlebens mit einem Weibe begnügen werde!«
Die junge Mutter erwiederte den Druck der geliebten Hand und sprach, sich an Zopyrus wendend: »Ich traue Dir nicht, Freund, denn es scheint mir, als fürchtetest Du weniger den Zorn Deiner Gattinnen, als einen Verstoß gegen die Sitten Deiner Heimath zu begehen. Man hat mir schon erzählt, daß man in den Frauengemächern meinen armen Bartja schilt, weil er mich nicht von Eunuchen bewachen läßt und mir gestattet, seine Freuden zu theilen.«
»Er verwöhnt Dich auch schrecklich,« gab Zopyrus zurück, »und unsere Weiber berufen sich schon, wenn wir sie ein wenig kurz halten, auf seine Güte und Nachsicht. In den nächsten Tagen wird an der Pforte des Königs eine Empörung der Frauen losbrechen, und die Achämeniden, welche scharfen Schwertern und Pfeilen entkamen, werden von spitzen Zungen erstochen und von salzigen Thränenfluthen ertränkt werden.«
»O Du unhöflicher Perser,« lachte Syloson, »wir müssen Dir größere Ehrfurcht vor den Ebenbildern Aphrodite’s beibringen.«
»Ihr Hellenen etwa?« fragte der Jüngling. »Beim Mithra, unsere Frauen haben es eben so gut als die euren. Nur die Aegypterinnen leben unglaublich frei!«
»So ist es!« sagte Rhodopis. »Die Einwohner dieses seltenen Landes gewähren seit Jahrtausenden meinem schwachen Geschlechte dasselbe Recht, welches sie für sich selbst beanspruchen. In mancher Beziehung haben sie uns sogar den Vorzug gegeben. Gebietet doch z. B. das ägyptische Gesetz nicht den Söhnen, sondern den Töchtern, die greisen Eltern zu ernähren und zu pflegen. Diese Vorschrift zeigt, wie fein die weisen Väter eines jetzt gedemüthigten Volkes die Natur des Weibes zu beurtheilen verstanden, wie richtig sie erkannt hatten, daß wir euch Männer an umsichtiger Sorge, aufmerksamer Pflege und hingebender Liebe um Vieles übertreffen! – Spottet nicht dieser Thieranbeter, welche ich nicht verstehe und dennoch schon darum tief bewundere, weil mich Pythagoras, der Meister alles Wissens, versichert hat, die in den Lehren der Priester verborgene Weisheit sei so ungeheuer wie die Pyramiden.«
»Und euer großer Lehrer hat Recht!« rief Darius. »Ihr wißt; daß ich seit mehreren Wochen täglich mit Neithotep, dem Oberpriester der Neith, den ich aus seiner Gefangenschaft befreien ließ, sowie mit dem alten Onuphis verkehre, oder besser mich von ihnen unterrichten lasse. Wie viel Neues, nie Geahntes hab’ ich von den Greisen erlernt! Wie viel Trauriges vergess’ ich, wenn ich ihren Lehren lausche! Die ganze Geschichte des Himmels und der Erde ist ihnen bewußt. Sie kennen den Namen jedes Königs, den Hergang jedes bedeutsamen Ereignisses seit viertausend Jahren; sie haben Kunde vom Lauf aller Sterne und den Leistungen aller Künstler und Weisen ihres Volkes seit eben so langer Zeit, denn alles Dies steht aufgezeichnet in großen Büchern, welche zu Theben598 in einem Palaste, den sie ›Heilanstalt der Seele‹ nennen, aufbewahrt werden. Ihre Gesetze sind ein reiner Quell der Weisheit, und die Einrichtungen ihres Staates den Bedürfnissen des Landes mit hohem Geiste angepaßt. Ich wollte, daß wir uns der gleichen Ordnung, der gleichen Regelmäßigkeit in unserer Heimath rühmen könnten! Der Grund ihres Wissens beruht in dem Gebrauche der Zahlen, mit deren Hülfe es allein möglich ist, die Sternenbahnen zu berechnen, das Bestehende genau zu bestimmen und zu begrenzen, ja sogar, durch Verlängerung und Verkürzung der Saiten, die Töne zu regeln599. Die Zahl ist das einzige Gewisse, jeder Willkür, jeder Deutung Spottende. Jedes Volk hat seine eigene Ansicht vom Rechten und Unrechten, jedes Gesetz kann durch Verhältnisse unbrauchbar werden; diejenigen Erfahrungen aber, deren Grundlagen die Zahlen bilden, bleiben ewig unumstößlich. Wer kann bestreiten, daß zweimal zwei vier ausmacht? Die Zahlen bestimmen fest und sicher den Inhalt alles Seienden, jedes Seiende ist gleich seinem Inhalte, darum sind die Zahlen das wahre Sein, das Wesen aller Dinge!«
»In Mithra’s Namen, Darius, höre auf, wenn Du nicht willst, daß ich schwindelig werde!« rief Zopyrus, den Freund unterbrechend. »Wenn man Dich so reden hört, sollte man denken, Du habest Dein Leben lang mit diesen ägyptischen Spintisirern verkehrt und niemals ein Schwert in der Hand gehabt! Was gehen uns die Zahlen an?«
»Mehr als Du glaubst,« sagte Rhodopis. »Auch Pythagoras hat diese Lehren, welche zu dem Geheimwissen der ägyptischen Priester gehören, demselben Onuphis zu danken, der Dich, Darius, jetzt in die Mysterien einweiht. Besuche mich bald einmal und laß Dir berichten, wie wunderbar schön der große Samier die Gesetze der Zahlen mit denen der Harmonieen in Einklang gebracht hat600. – Aber seht nur, seht, da zeigen sich die Pyramiden!«
Die Lustfahrer erhoben sich von ihren Sitzen und schauten sprachlos auf das gewaltige Schauspiel, welches sich ihnen darbot.
Massig und ehrfurchtgebietend, den Boden mit ihrer Wucht erdrückend, lagen am linken Ufer des Stromes, versilbert vom Scheine des Mondes, die uralten Riesengräber gewaltiger Herrscher, beweisend die Schöpferkraft des Menschenwillens, mahnend an die Eitelkeit irdischer Größe. – Wo war jener Chufu, der einen Berg von Steinen mit dem Schweiße seiner Unterthanen zusammengekittet hatte, wo jener langlebige Chafra, der die Götter verachtet und, trotzend auf seine eigene stolze Kraft, die Pforten der Tempel verschlossen haben sollte, um sich und seinen Namen durch