Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.zeigen vielleicht an, daß sie von den Todtenrichtern unwerth der Grabesruhe, unwerth der Auferstehung erfunden worden sind, während der Bauherr der dritten, schönsten Pyramide, Menkera, der sich mit einem kleineren Grabmale begnügte und die Thore der Tempel wieder aufthat, ungestört ruhen durfte in seinem Sarge von blauem Basalt602.*
Da lagen die Pyramiden in schweigender Nacht, beglänzt von den Sternen, behütet von dem Wächter der Wüste, der riesigen Sphinx, überragend die öden Felsen der libyschen Steinhügel. Zu ihren Füßen schlummerten in köstlich geschmückten Gräbern die Mumien der Getreuen ihrer Erbauer, und gegenüber dem hohen Denkmale des frommen Menkera erhob sich ein Tempel, in welchem die Priester des Osiris für die Seelen der zahllosen in der Todtenstadt von Memphis beigesetzten Verstorbenen Gebete sprachen. Im Westen, dort wo die Sonne hinter den libyschen Bergen unterging, wo das Fruchtland aufhörte und die Wüste begann, hatten die Memphiten ihre Gräber erbaut, – nach Westen schauten die Lustfahrer und verharrten, von frommem Schauder und ehrfurchtsvollem Staunen erfüllt, in tiefem Schweigen.
Als der Nordwind den fliegenden Kahn an der Stätte des Todes und jenen ungeheuren Dämmen603, welche die Menes-Stadt vor den überströmenden Fluthen sicherten, vorbeigetrieben hatte, als die Residenz der alten Pharaonen immer näher kam und sich endlich Milliarden Lichter, welche zu Ehren der Neith überall und überall angezündet waren, den Nilfahrern zeigten, wich der Bann von ihren Zungen, und laute Worte der Bewunderung ließen sich hören, als sie dem Riesentempel des Ptah604, dem ältesten Bauwerke des ältesten Landes, nahten.
Tausende von Lampen erhellten das Haus des Gottes, hundert Feuer brannten auf den Pylonen, den Zinnen der Mauern und den Dächern des Heiligthums. Zwischen den Sphinxreihen, welche die verschiedenen Thore mit dem Hauptgebäude verbanden, glühten leuchtende Fackeln, und das leere Haus des heiligen Stieres Apis605 strahlte, von bunten Flammen umwallt, wie ein vom tropischen Abendroth beglänzter Kreidefelsen. Ueber diesem leuchtenden Bilde flatterten Wimpel, wallten Fahnen, schlangen sich Blumengewinde, tönte Musik und lauter Gesang.
»Herrlich, herrlich!« rief Rhodopis, begeistert von diesem wunderbaren Schauspiele. »Seht nur, wie die buntbemalten Säulen und Wände strahlen, und welche Figuren die Schatten der Obelisken und Sphinxe auf das gelbe, glatte Pflaster der Höfe zeichnen!«
»Und wie geheimnißvoll,« fügte Krösus hinzu, »dunkelt dort drüben der heilige Hain des Gottes! Niemals sah ich ein gleiches Schauspiel!«
»Ich aber,« versicherte Darius, »habe noch Wunderbareres erschaut. Ihr werdet mir glauben, wenn ich euch sage, daß ich Zeuge einer Mysterienfeier der Neith gewesen bin!«
»Erzähle – erzähle!« riefen die Freunde.
»Neithotep weigerte sich erst, mir Einlaß zu gewähren; als ich ihm aber versprach, mich versteckt zu halten und außerdem die Freiheit seines Kindes zu erwirken, führte er mich auf seine Sternwarte, die einen weiten Rundblick gewährt, und theilte mir mit, daß ich einer Darstellung der Schicksale des Osiris und seiner Gattin Isis beiwohnen werde606.
»Kaum hatte er mich verlassen, als seltsame, bunte Lichter den Hain so hell erleuchteten, daß ich bis in seinen innersten Schooß zu sehen vermochte.
»Vor mir lag ein spiegelblanker, von schönen Bäumen und bunten Blumenbeeten umgebener See607, auf dessen Fläche goldene Boote schwammen, in denen liebliche, schneeweiß gekleidete Knaben und Mädchen, süße Lieder singend, fuhren. Kein Schiffer lenkte die Nachen, und dennoch durchkreuzten sie in zierlichen Wendungen, wie von Zauberhand geleitet, die glatten Wogen. Inmitten dieser Kähne schwamm ein herrliches, großes Schiff, dessen Bord von Edelsteinen erglänzte. Ein schöner Knabe schien sein einziger Leiter zu sein; aber wunderbar, das Steuer, welches er regierte, bestand nur aus einer weißen Lotusblume, deren zarte Blätter die Fluthen kaum berührten. In der Mitte des Fahrzeuges ruhte auf seidenen Kissen ein wunderholdes, mit königlicher Pracht gekleidetes Weib. An ihrer Seite saß ein übermenschlich großer Mann, der eine mit Epheu umrankte hohe Krone auf den wallenden Locken, ein Pantherfell über den Schultern und einen gekrümmten Stab in der Rechten führte. Im Hintertheile des Schiffes stand, unter einem von Rosen, Epheu und Lotusblumen gebildeten Dach, eine schneeweiße Kuh608 mit goldenen Hörnern, über deren Rücken sich eine purpurne Decke breitete. Der Mann war Osiris, das Weib Isis, der Knabe am Steuer Horus, der Sohn des Götterpaares, die Kuh das heilige Thier der unsterblichen Frau. All’ die kleinen Boote fuhren an dem großen Schiffe vorüber, und Jubellieder erklangen, sobald sich die Nachen den Himmlischen näherten, welche Blumen und Früchte auf die holden Sänger und Sängerinnen warfen. Plötzlich ließ sich ein Donner vernehmen, dessen Grollen immer lauter erschallte und zu herzerschreckendem Krachen wurde, als ein furchtbar anzuschauender, mit dem Fell eines Ebers bekleideter Mann, dessen rothes Haar in struppigem Gewirr ein scheußliches Angesicht umgab, aus der Nacht des Haines hervortrat und sich, in den See springend, von siebzig ihm ähnlichen Männern begleitet, dem Schiffe des Osiris näherte609.
»Windesschnell enteilten die kleinen Nachen und die Lotusblume entfiel der zitternden Hand des steuerführenden Knaben. Das scheußliche Ungethüm stürzte sich, schnell wie der Gedanke, auf Osiris, erschlug ihn mit Hülfe seiner Genossen, warf den Leichnam in einen Mumienkasten610 und diesen wiederum in den See, welcher den schwimmenden Sarg, wie durch Zauber, entführte. Indessen hatte sich Isis in einem der kleinen Boote an’s Land gerettet und lief mit fliegendem Haar, laute Wehklagen ausstoßend und von den Jungfrauen, welche, gleich ihr, den Nachen entstiegen waren, begleitet, am Rande des Wassers umher. Sie alle suchten unter seltsam rührenden Tänzen und Gesängen, bei denen die Mädchen mit schwarzen Byssustüchern wunderbare Bogen schwangen und schlangen, den Leichnam des Verstorbenen. – Auch die Jünglinge blieben nicht müßig und bereiteten unter Tänzen und Klapperschlagen einen kostbaren Sarg für die verschwundene Leiche des Gottes. Als er fertig war, vereinten sie sich mit dem weiblichen Gefolge der wehklagenden Isis und schweiften mit ihr, suchend und Schmerzenslieder singend, am Rande des Wassers umher.
»Da plötzlich erhob sich eine leise Stimme von unsichtbarem Munde, welche in einem immer lauter werdenden Gesange verkündete, daß die Leiche des Gottes nach Gebal611 im fernen Phönizien von der Strömung des Mittelmeers getragen worden sei.
»Dieser Gesang, welchen der Sohn des Neithotep, der an meiner Seite weilte, ›den Wind des Gerüchtes‹ nannte, ergriff mir Herz und Seele.
»Kaum hatte Isis die frohe Kunde vernommen, als sie ihre Trauerkleider abwarf und, begleitet von den Stimmen ihres liebreizenden Gefolges, ein helles Jubellied anstimmte. Das Gerücht hatte nicht gelogen, denn die Göttin fand in der That am nördlichen Ufer612 des Sees den Sarkophag und die Leiche ihres Gatten. Sobald beide unter Tanzen an’s Land gebracht worden waren, warf sich Isis über die geliebte Leiche, rief Osiris beim Namen und bedeckte die Mumie des Todten mit tausend Küssen, während die Jünglinge ein wundervolles Grabgewölbe von Lotusblumen und Epheuranken für ihn zusammenflochten.
»Nachdem der Sarkophag beigesetzt war, verließ Isis die Stätte der Trauer, um ihren Sohn aufzusuchen. Sie fand ihn am östlichen Ende des Sees, woselbst ich schon lange einen wunderschönen Jüngling bemerkt hatte, der sich mit zahlreichen Altersgenossen in Waffenspielen übte. Dieser stellte den nunmehr herangewachsenen Horus dar.
»Während