Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.vor seine schlaflosen Augen. Die Kraft, seinen schönen Vorsatz festzuhalten, verließ ihn, und dasselbe Wort des Krösus, welches den edlen Gefühlen in seiner Brust den Sieg verschafft hatte, ließ sie jetzt unterliegen: »Ein Herrscher findet jederzeit ruchlose Diener!« Dieser Satz beschimpfte ihn zwar, erinnerte ihn aber, daß, wenn er dem Könige trotzen würde, hundert Andere seinen Befehl zu vollziehen bereit sein würden. Dieser Gedanke beherrschte bald jede andere Erwägung. Er sprang von seinem Lager auf, musterte und prüfte die zahlreichen Dolche, welche wohlgeordnet an der Wand seines Schlafgemachs befestigt waren, und legte den schärfsten auf ein neben dem Divan stehendes Tischchen.
Daraus ging er sinnend auf und ab und trat häufig an die Fensteröffnung, um zu sehen, ob es nicht tagen wolle, und um seine heiße Stirn zu kühlen.
Als endlich das Dunkel der Nacht dem hellen Morgenlichte gewichen war und ihn das die Knaben zum Frühgebet rufende Erz629 von neuem an seine Söhne erinnerte, prüfte er den Dolch zum zweiten Male. Als eine reichgeschmückte Schaar von Höflingen, um sich zum Könige zu begeben, an seinem Hause vorüberritt, steckte er ihn in seinen Gürtel. Als sich endlich das muntere Gelächter seines jüngsten Kindes aus dem Weibergemache vernehmen ließ, setzte er mit einer gewissen Heftigkeit die Tiara auf das Haupt und ging, ohne seinem Weibe Lebewohl zu sagen, von mehreren Sklaven begleitet, zum Nile, warf sich dort in eine Barke und befahl den Ruderknechten, ihn nach Sais zu befördern.
Bartja war wenige Stunden nach dem verhängnißvollen Bogenschießen dem Rathe des Krösus gefolgt und mit seiner jungen Gemahlin nach Sais gefahren. Dort fand er Rhodopis, welche sich, statt nach Naukratis heimzukehren, einem unwiderstehlichen Drange folgend, nach Sais begeben hatte. Nach jener Lustfahrt war Bartja, als er an’s Land stieg, hingefallen, und sie hatte mit eigenen Augen gesehen, daß eine Eule, von der linken Seite her, dicht an seinem Haupte vorübergeflogen war. Wenn diese bösen Vorzeichen schon hinreichten, ihr dem Aberglauben ihrer Zeit keineswegs entwachsenes Herz zu beunruhigen und ihr den Wunsch, in der Nähe des jungen Paares zu verweilen, dringender als sonst einzuflößen, so entschloß sie sich kurz, ihre Enkelin in Sais zu erwarten, als sie aus einem unruhigen Schlaf erwachte, in dem sie eine verworrene Reihe von bösen Träumen gehabt hatte.
Das junge Paar freute sich über den lieben, unerwarteten Gast und führte Rhodopis, nachdem sie mit ihrer kleinen Urenkelin, die den Namen Parmys630 führte, nach Herzenslust getändelt hatte, in die für sie bereit stehenden Gemächer. Dies waren dieselben, in denen die unglückliche Tachot die letzten Monde ihres hinsiechenden Daseins verlebt hatte. Rhodopis betrachtete mit tiefer Rührung all’ jene kleinen Gegenstände, welche nicht nur das Geschlecht und Alter der Dahingeschiedenen, sondern auch ihre Neigungen und ihre Sinnesart verriethen. Da standen zahlreiche Salbenbüchschen und Fläschchen631 mit Wohlgerüchen, Schminken und Oelen auf dem Putztische. In einer Schachtel632, welche die Gestalt einer Nilgans täuschend nachahmte, und einer andern, an deren Seite eine Lautenschlägerin gemalt war, hatte einst der reiche goldene Schmuck der Königstochter gelegen, und jener Metallspiegel, dessen Griff eine schlummernde Jungfrau darstellte633, das schöne, sanft geröthete Gesicht der Verstorbenen zurückgestrahlt. Die ganze Ausstattung des Zimmers, von dem zierlichen auf Löwenfüßen stehenden Ruhebette an bis zu den auf dem Putztische liegenden fein geschnitzten Kämmen634 von Elfenbein, bewies, daß die frühere Bewohnerin dieser Räume die äußere Zier des Lebens geliebt habe. Das goldene Sistrum635 und die schön gearbeitete Nabla, deren Saiten längst zersprungen waren, deuteten auf den musikalischen Sinn der Königstochter, während die in der Ecke liegende zerbrochene Spindel von Elfenbein636 und einige angefangene Netze von Glasperlen637 bewiesen, daß sie weiblichen Arbeiten hold gewesen sei.
Rhodopis musterte all’ diese Gegenstände mit wehmüthigem Wohlgefallen und malte sich, an sie anknüpfend, ein von der Wahrheit nur wenig abweichendes Lebensbild. Endlich nahte sie sich, von neugieriger Teilnahme getrieben, einer großen, bemalten Kiste und öffnete ihren leichten Deckel. Da fand sie zuerst einige getrocknete Blumen, dann einen Ball, der von geschickter Hand mit längst verwelkten Blättern und Rosen umwickelt war, hierauf eine Menge von Amuletten in verschiedener Gestalt, dieses die Göttin der Wahrheit darstellend, jenes ein mit Zaubersprüchen beschriebenes Papyruszettelchen in goldener Kapsel verbergend. Dann fielen ihre Augen auf einige mit griechischen Buchstaben geschriebene Briefe. Sie nahm dieselben und durchlas sie beim Schimmer der Lampe. Nitetis hatte sie aus Persien an ihre vermeinte Schwester, von deren Krankheit sie nichts wußte, geschickt. Als Rhodopis diese Briefe aus der Hand legte, schwammen ihre Augen in Thränen. Das Geheimniß der Verstorbenen lag jetzt offen vor ihren Blicken. Sie wußte, daß Tachot Bartja geliebt, daß sie jene welken Blumen von ihm empfangen und jenen Ball, weil er ihr denselben zugeworfen, mit Rosen umwickelt hatte. Die Amulette waren gewiß dazu bestimmt gewesen, entweder ihr krankes Herz zu heilen, oder Gegenliebe in der Brust des Königssohnes zu erwecken.
Als sie endlich jene Schreiben an ihren alten Platz zurücklegen wollte und einige Tücher, welche den Boden der Kiste auszufüllen schienen, mit der Hand berührte, fühlte sie, daß sie einen harten, runden Gegenstand bedeckten. Nun hob sie die Gewebe auf und fand unter ihnen eine Büste von bunt gefärbtem Wachse638, welche Nitetis so wunderbar ähnlich darstellte, daß sich Rhodopis eines staunenden Ausrufes nicht enthalten und sich lange Zeit an dem köstlichen Kunstwerke des Theodorus von Samos nicht satt sehen konnte.
Dann legte sie sich nieder und schlief ein, indem sie an das traurige Schicksal der ägyptischen Königstochter dachte.
Am nächsten Morgen begab sie sich in den Garten, welchen wir bei Lebzeiten des Amasis schon einmal betreten haben, und fand dort unter einer Weinlaube Diejenigen, welche sie suchte.
Sappho saß auf einem Stuhle von leichtem Flechtwerk. In ihrem Schooße lag ein nackter Säugling und streckte die Händchen und Füßchen bald seinem Vater, der vor dem jungen Weibe auf der Erde kniete, bald seiner Mutter, die sich lachend zu ihm herniederbeugte, entgegen.
Wenn sich die Finger des Kindes in die Locken und den Bart des jungen Helden vergruben, so zog er leise seinen Kopf zurück, damit er die Kraft des Lieblings empfinde und um ihm das Gefühl zu geben, als habe er das Haar seines Vaters tüchtig gezaust. Wenn die wilden Füßchen sein Gesicht berührten, so nahm er sie in die Hand und küßte die rosigen, niedlich geformten Zehen und die Sohle, die noch so weich und zart war wie die Wange einer Jungfrau. Wenn die kleine Parmys einen seiner Finger mit dem Händchen umklammerte, so stelle er sich, als vermöge er sich nicht von ihnen zu befreien, und küßte die runde Schulter oder die Grübchen in dem Ellenbogen oder gar den schneeweißen Rücken des holden Geschöpfes. Sappho theilte die Wonne dieses harmlosen Spiels und war bemüht, die Aufmerksamkeit ihres Lieblings ausschließlich auf den Vater hinzulenken.
Dann und wann beugte sie sich über die Kleine, um den frischen, kaum merklich feuchten Hals oder die rothen Kinderlippen zu küssen, und in solchen Augenblicken geschah es wohl, daß ihre Stirn die Locken ihres Gatten berührte, der dann jedesmal den dem Kinde gegebenen Kuß von ihrem Munde raubte.
Rhodopis sah diesem Spiele lange Zeit im Geheimen zu und betete, mit Thränen in den Augen, zu den Göttern, daß sie ihren Lieben dies große, reine Glück erhalten möchten. Endlich näherte sie sich der Laube, rief dem jungen Paare einen »fröhlichen Morgen« zu und belobte die alte Melitta, welche mit einem großen Sonnenschirm in der Hand gekommen war, um die kleine Parmys zur Ruhe zu bringen und dem greller werdenden Sonnenlichte zu entziehen.
Die alte Sklavin war zur obersten