Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Botschafter, welcher in dem Bedürfniß, sein marterndes Gewissen durch edle Thaten gefährlicher Art zu übertäuben, keine Gelegenheit vorübergehen ließ, welche ihm gestattete, wohlthätig auf den Unglücklichen einzuwirken, antwortete, daß sie ihn in jeder Hinsicht belobten, doch aber meinten, er sei dem Weine zu sehr ergeben.
Nach diesen halb scherzend gesprochenen Worten brauste der Wahnsinnige auf und schrie: »So sagen die Perser, daß mich der Wein um den Verstand bringe? Jetzt will ich zeigen, daß sie selbst verlernt haben, richtig zu urtheilen!« Bei diesen Worten spannte er seinen Bogen, zielte einen Augenblick und schoß dann dem ältesten Sohne des Prexaspes, der im Hintergrunde der Halle, als Schenk, der Winke des Herrschers harrte, in die Brust. Darauf gab er den Befehl, den unglücklichen Jüngling zu öffnen und zu untersuchen. Der Pfeil war mitten in sein Herz gedrungen. Hierüber freute sich der unsinnige Tyrann und rief lachend: »Jetzt siehst Du, Prexaspes, daß nicht ich, sondern die Perser ihren Verstand verloren haben. Wer könnte sein Ziel unfehlbarer treffen als ich?«
Prexaspes sah, gleich der am Sipylus versteinerten Niobe, bleich und regungslos dem entsetzlichen Schauspiele zu. Seine Sklavenseele beugte sich vor der Allmacht des Königs und zwang ihm nicht den Dolch der Rache in die Rechte. Vielmehr murmelte er, als der Wahnsinnige seine Frage zum andern Male wiederholte, indem er die Hand auf sein Herz drückte: »Kein Gott vermöchte sicherer zu treffen653!«
Wenige Wochen später begab sich der König nach Sais. Als man ihm dort die Gemächer seiner einstigen Geliebten zeigte, erwachte die längst vergessene Erinnerung an sie mit neuer Kraft in seiner Seele, und sein getrübtes Gedächtniß mahnte ihn zu gleicher Zeit, daß Amasis ihn und sie betrogen habe. Ohne sich über die einzelnen Umstände Rechenschaft geben zu können, fluchte er dem Verstorbenen und ließ sich tobend zum Tempel der Neith führen, woselbst seine Mumie ruhte. Dort riß er den balsamirten Leichnam des Königs aus dem Sarkophage, ließ ihn mit Ruthen schlagen, mit Nadeln stechen, ihm die Haare ausreißen, ihn in jeder Weise mißhandeln und endlich, gegen das religiöse Gesetz der Perser, welches die Verunreinigung des reinen Feuers durch Leichname für eine Todsünde hielt, verbrennen. Zu gleichem Schicksale verdammte er die Mumie der ersten Gattin des Amasis, welche zu Theben, ihrer Heimath, im Sarkophage ruhte654.
Nach Memphis zurückgekehrt, scheute er sich nicht, seine Gattin und Schwester Atossa mit eigener Hand zu mißhandeln.
Eines Tages hatte er nämlich ein Kampfspiel angeordnet, in welchem unter Anderen ein Hund mit einem jungen Löwen kämpfen mußte. Als der Leu seinen Gegner bewältigt hatte, riß sich ein anderer Hund, der Bruder des Ueberwundenen, von seiner Kette los, stürzte sich auf den Löwen und bezwang ihn mit Hülfe des Verwundeten. Dieser Anblick, der Kambyses große Freude machte, veranlaßte Kassandane und Atossa, welche dem Schauspiele auf Befehl des Königs beiwohnen mußten, laut zu weinen.
Der erstaunte Tyrann fragte sie um die Ursache ihrer Thränen und erhielt von der heftigen Atossa die Antwort, das tapfere Thier, welches für seinen Bruder sein Leben auf’s Spiel gesetzt habe, erinnere sie an Bartja, der ungerochen, sie wolle nicht sagen durch wen, getödtet worden sei.
Diese Worte erregten den Zorn und die schlummernden Gewissensqualen des Rasenden so sehr, daß er die allzukühne Frau mit Fäusten schlug, ja sie vielleicht getödtet haben würde, wenn ihm nicht seine Mutter in den Arm gefallen wäre und sich selbst den Streichen des Tobsüchtigen ausgesetzt hätte655.
Das geheiligte Angesicht und die Stimme der Mutter genügten, seiner Wuth Zügel anzulegen; ihr Blick, welcher ihn voll getroffen hatte, war aber von so brennendem Zorn und so tiefer Verachtung erfüllt gewesen, daß er ihn nicht vergessen konnte, und der neue Irrwahn in ihm erwachte, daß er von den Augen der Weiber vergiftet werden würde. Sobald er von nun an eine Frau erblickte, schrak er zusammen und versteckte sich hinter seine Begleiter, bis er endlich verordnete, daß man alle weiblichen Bewohner des memphitischen Schlosses, seine Mutter nicht ausgenommen, nach Ekbatana bringen solle. Araspes und Gyges erhielten den Auftrag, sie nach Persien zu führen.
Der Reisezug der königlichen Frauen war zu Sais angelangt und dort im Palaste der Pharaonen abgestiegen. Krösus begleitete die Scheidenden bis zu dieser Stadt.
Kassandane hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert. Tiefe, von Gram und Leid gefurchte Falten durchzogen ihr einstmals so schönes Angesicht, während der Schmerz nicht vermocht hatte, ihre hohe Gestalt zu beugen.
Atossa, die Tochter der Greisin, war dagegen, trotz manchen Kummers, schöner geworden, als vorher. Das muthwillige Mädchen hatte sich in ein vollkommen entwickeltes, selbstbewußtes Weib, das ungestüme, trotzige Kind in eine lebhafte, willensstarke Frau verwandelt. Der Ernst des Lebens und drei an der Seite ihres rasenden Gatten und Bruders verbrachte traurige Jahre waren für sie zu trefflichen Lehrmeistern in der Geduld geworden, hatten aber nicht vermocht, sie der ersten Liebe ihres Herzens abwendig zu machen. Sappho’s Freundschaft mußte sie gewissermaßen für den Verlust des Darius entschädigen.
Die junge Griechin war seit dem Verschwinden ihres Gatten zu einem andern Wesen geworden. Der rosige Schein ihrer Wangen und ihr holdseliges Lächeln hatten sie längst verlassen. Wunderbar schön, trotz ihrer Blässe, ihrer gesenkten Wimpern und schlaffen Haltung, glich sie jener Ariadne, welche des wiederkehrenden Theseus harrte. Sehnsucht und Erwartung sprachen aus dem Blick ihrer Augen, dem Ton ihrer leisen Stimme, der Gemessenheit ihres Ganges. Sobald sich Schritte nahten, wenn eine Thür ging oder eine männliche Stimme unerwartet sich hören ließ, schrak sie zusammen, stand auf und lauschte, um sich bald darauf, enttäuscht und doch nicht irre gemacht in ihrer Hoffnung, der Sehnsucht von neuem hinzugeben, und, wie sie schon früher so gern gethan hatte, zu sinnen und zu träumen.
Nur wenn sie mit ihrem Kinde spielte und für dasselbe sorgte, schien sie wieder die Alte zu werden, denn dann färbten sich ihre Wangen mit neuem Roth, ihre Augen erglänzten, und ihr ganzes Wesen schien wieder, statt in der Vergangenheit oder Zukunft, in der frischen Gegenwart zu leben.
Das Kind war ihr Alles. In ihm lebte Bartja für sie fort; auf das Kind konnte sie, ohne dem Verschwundenen auch nur das Geringste zu entziehen, die ganze Liebesfülle ihres Herzens übertragen; mit dem Kinde hatte ihr die Gottheit ein Lebensziel, ein Band geschenkt, welches sie wiederum mit der Welt, deren schätzbarer Theil seit ihres Gatten Verschwinden für sie verloren schien, vereinte. Manchmal dachte sie wohl, wenn sie in die blauen Augen des holden Wesens schaute, die denen seines Vaters so täuschend glichen: Warum ist sie doch kein Knabe? Der würde ihm von Tag zu Tag ähnlicher werden und endlich als ein zweiter Bartja, wenn es überhaupt einen solchen geben könnte, vor mir stehen!
Aber solche Gedanken pflegten nur von kurzer Dauer zu sein und damit zu enden, daß sie die Kleine mit doppelter Zärtlichkeit an ihr Herz drückte, daß sie sich undankbar und thöricht schalt.
Eines Tages hatte Atossa in gleichem Sinne ausgerufen: »O, daß Parmys kein Knabe ist! Der würde seinem Vater ähnlich werden und Persien als ein zweiter Cyrus regieren!« Sappho stimmte der Freundin, wehmüthig lächelnd, bei und bedeckte die Kleine mit Küssen; Kassandane aber sagte: »Erkenne auch darin die Güte der Götter, meine Tochter, daß sie Dir ein Mägdlein bescherten. Wäre Parmys ein Knabe, so würde man Dir Dein Kind, sobald es das sechste Lebensjahr überschritten, fortnehmen, um es mit den Söhnen der anderen Achämeniden erziehen zu lassen, während Dir das Mädchen noch lange Zeit angehören wird.«
Sappho erbebte in dem bloßen Gedanken, sich je von der Kleinen trennen zu müssen, drückte das blonde Lockenköpfchen fest an ihre Brust und hatte von nun an nichts mehr an ihrem kostbaren Schatze auszusetzen.
Atossa’s Freundschaft that dem wunden Herzen der jungen Wittwe wohl. Mit ihr konnte sie, so oft und so viel sie wollte, von Bartja sprechen und war immer einer freundlichen, teilnahmsvollen Zuhörerin gewiß. Auch Atossa hatte den verschwundenen Bruder sehr geliebt. Aber selbst ein Fremder würde den Erzählungen Sappho’s gern zugehört haben, – steigerte sich doch ihre Rede nicht selten zu hohem Schwunge, schien sie doch, wenn sie die Erinnerungen