Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.wurde der Bote des Oropastes gefragt, ob er den neuen König selbst gesehen habe. Er verneinte dies und fügte hinzu, der angebliche Bruder des Kambyses habe seine Wohnung erst ein einziges Mal verlassen, um sich dem Volke von Ferne zu zeigen. Nunmehr durchschaute Prexaspes das ganze Lügengewebe des Oberpriesters, erinnerte den König an jene unseligen Mißverständnisse, welche durch die wunderbare Aehnlichkeit Gaumata’s mit Bartja herbeigeführt worden waren, und bot schließlich seinen Kopf zum Pfande, wenn sich seine Vermuthung als falsch erweisen sollte. Der geisteskranke König, dem diese Auslegung behagte, hatte von jetzt an nur noch den einen Gedanken, die Magier gefangen zu nehmen und zu tödten.
Das Heer mußte sich marschfertig machen. Aryandes663, ein Achämenide, wurde zum Satrapen von Aegypten ernannt, und die Armee brach ohne Säumniß nach Persien auf. Von seinem neuen Irrwahne getrieben, gönnte sich der König keine Ruhe und machte die Nacht zum Tage, bis sich in Syrien sein von dem ungestümen Reiter gemißhandelter Hengst mit ihm überschlug, und er das Unglück hatte, während des Sturzes von seinem eigenen Dolche schwer verwundet zu werden664.
Nachdem er mehrere Tage lang ohne Besinnung dagelegen hatte, schlug er die Augen auf und verlangte erst Araspes, dann seine Mutter und endlich Atossa zu sehen, obgleich diese Drei schon vor mehreren Monaten abgereist waren. Aus all’ seinen Reden ging hervor, daß er die letzten vier Jahre, von jenem Fieberausbruche an bis zu seiner Verwundung, gleichsam im Schlafe verlebt habe. Alles, was man ihm aus dieser Zeit erzählte, schien ihm neu zu sein und sein Herz mit Kummer zu erfüllen. Nur von dem Tode seines Bruders hatte er vollkommen Kenntniß. Er wußte, daß Prexaspes ihn auf seinen Befehl gemordet und ihm erzählt habe, daß Bartja am Ufer des rothen Meeres begraben liege. – In der diesem Erwachen folgenden Nacht wurde ihm auch klar, daß er lange Zeit vom Wahnsinn befangen gewesen sei. Gegen Morgen verfiel er in einen tiefen Schlaf, der ihm so viel Kraft zurückgab, daß er Krösus herbeirufen und ihm befehlen konnte, ihm ausführlich mitzutheilen, was er in den letzten Jahren gethan habe.
Der greise Mahner gehorchte dem Willen des Königs und verschwieg ihm keine seiner Gewalttaten, ob er auch kaum mehr hoffen durfte, den seiner Fürsorge Anvertrauten auf den rechten Weg zurückführen zu können.
Seine Freude war darum doppelt groß, als er sah, daß seine Worte einen tiefen Eindruck auf die neu erwachte Seele des Königs übten. Mit Thränen in den Augen beklagte Kambyses seine Missethaten und seinen Wahnsinn, bat er Krösus beschämt wie ein Kind um Verzeihung, dankte er ihm für seine Treue und Ausdauer, trug er ihm endlich auf, in seinem Namen besonders Kassandane und Sappho, aber auch Atossa und alle von ihm mit Unrecht Beleidigten um Vergebung zu bitten.
Der greise Lyder weinte bei diesen Worten Freudenthränen und wurde nicht müde, den Kranken zu versichern, daß er genesen und reiche Gelegenheit finden würde, alles Geschehene durch doppelt edle Thaten wieder gut zu machen. Kambyses schüttelte jedoch, bestimmt verneinend, das bleiche Haupt und bat den Greis, ihn in’s Freie tragen, sein Lager auf einen erhöhten Ort stellen zu lassen und den Achämeniden zu gebieten, sich um ihn zu versammeln. Als seine Befehle, trotz des Widerstandes der Aerzte, befolgt worden waren, ließ er sich aufrecht hinsetzen und sprach mit weithin vernehmlicher Stimme:
»Es ist jetzt an der Zeit, ihr Perser, daß ich euch mein größtes Geheimniß entdecke. Von einem Traumgesichte betrogen, aufgebracht und gekränkt von meinem Bruder, hab’ ich ihn im Zorn ermorden lassen. Prexaspes vollbrachte auf mein Geheiß diese Frevelthat, welche mir, statt der Ruhe, die sie mir verschaffen sollte, Wahnsinn und eine martervolle Todesstunde einbrachte. – Dieses Geständniß möge euch überzeugen, daß mein Bruder Bartja nicht mehr unter den Lebenden wandelt. Die Magier haben sich des Thrones der Achämeniden bemächtigt. An ihrer Spitze stehen der von mir als Statthalter in Persien zurückgelassene Oropastes und sein Bruder Gaumata, welcher dem verstorbenen Bartja so ähnlich sieht, daß Krösus, Intaphernes und mein Oheim, der edle Hystaspes, ihn einstmals selbst für den Gemordeten hielten. Wehe mir, daß ich Denjenigen, welcher die mir von den Magiern angethane Schmach, als mein Blutsverwandter, hätte rächen sollen, gemordet habe! Aber ich kann ihn nicht vom Tode erwecken, und darum ernenne ich euch zu Vollstreckern meines letzten Willens. So beschwöre ich euch denn, bei dem Feuer665 meines verstorbenen Vaters und im Namen aller guten und reinen Geister, daß ihr die Regierung nicht in die Hände der falschen Magier fallen laßt. Wenn sich dieselben mit List der Krone bemächtigt haben, so sucht sie ihnen wiederum durch List zu entreißen; brachten sie das Scepter mit Gewalt an sich, so entwindet es ihnen in gleicher Weise. Folgt ihr diesem meinem letzten Willen, dann soll euch die Erde reiche Früchte bringen, eure Weiber und Heerden gesegnet und Freiheit für alle Zeit euer Loos sein; werdet ihr aber die Herrschaft nicht wieder erlangen oder zu erringen streben, dann soll euch das Gegentheil treffen; ja, dann sollt ihr Alle, dann soll jeder Perser ein Ende nehmen wie ich!«
Als die Achämeniden den König nach diesen Worten weinen und kraftlos zurücksinken sahen, zerrissen sie ihre Kleider und erhoben ein Klagegeschrei. Wenige Stunden später gab Kambyses in Krösus’ Armen den Geist auf. In seiner letzten Stunde dachte er an Nitetis und starb mit ihrem Namen auf den Lippen und mit Thränen der Reue in den Augen666.
Nachdem die Perser den unreinen Leichnam verlassen hatten, kniete Krösus vor ihm nieder und rief, seine Hand gen Himmel erhebend: »Großer Cyrus! Ich habe meinen Schwur gehalten und als treuer Mahner bei diesem Unglücklichen ausgehalten bis an sein Ende!«
Am folgenden Morgen begab sich der Greis mit seinem Sohne Gyges nach der ihm gehörenden Stadt Barene667 und lebte dort noch manches Jahr, als Vater seiner Unterthanen, hoch geehrt von Darius und gepriesen von all’ seinen Zeitgenossen.
Nach dem Tode des Kambyses hielten die Oberhäupter der sieben Stämme der Perser668 mit einander Rath und beschlossen sich vor allen Dingen über die Person des Usurpators Gewißheit zu verschaffen; Otanes schickte darum einen treuen Eunuchen in geheimer Sendung zu seiner Tochter Phädime, welche, wie man wußte, mit dem ganzen in Nisäa zurückgebliebenen Harem des Kambyses in den Besitz des neuen Königs übergegangen war. Bevor der Bote wiederkehrte, hatte sich der größte Theil des Reichsheeres zerstreut, denn die Soldaten ergriffen begierig die günstige Gelegenheit, nach mehrjähriger Trennung zu ihren Angehörigen heimzukehren. Endlich kam der lang Erwartete zurück und überbrachte Otanes die Botschaft: Phädime sei von dem neuen Könige nur ein einziges Mal besucht worden; sie habe jedoch seinen Schlaf benützt, um sich mit großer Gefahr zu überzeugen, daß ihm in der That beide Ohren fehlten. Aber selbst ohne diese Entdeckung könne sie mit Bestimmtheit behaupten, daß der Usurpator, welcher übrigens täuschende Aehnlichkeit mit dem Gemordeten habe, Niemand anders sei, als der Bruder des Oropastes, Gaumata. Ihr alter Freund Boges sei wiederum Oberster der Eunuchen und habe sie in das Geheimniß der Magier eingeweiht. Der Oberpriester habe nämlich den Weiberhüter als Bettler in den Straßen von Susa getroffen und ihm mit den Worten. »Zwar hast Du Dein Leben verwirkt, ich bedarf aber Leute Deines Schlages,« seine alte Stellung zurückgegeben. – Endlich bat Phädime ihren Vater, Alles aufzubieten, um den Magier, der sie mit großer Nichtachtung behandle, zu stürzen. Sie sei, so versicherte sie, das unglücklichste aller Weiber.
Obgleich keiner der Achämeniden auch nur einen Augenblick geglaubt hatte, daß Bartja noch am Leben sei und sich in der That des Thrones bemächtigt habe, so waren sie dennoch froh, als sie durch Phädime so bestimmte Kunde von der wahren Person des Usurpators erhalten hatten, und beschlossen, ungesäumt mit den Trümmern des Heeres nach Nisäa zu ziehen und die Magier durch List und Gewalt zu stürzen.
Nachdem sie unangefochten in der neuen Residenz eingezogen waren und gesehen hatten, daß der größte Theil des Volkes mit der neuen Regierung zufrieden sei, gaben sie sich den Anschein, als wenn sie an die Identität des neuen Königs mit dem jüngeren Sohne des Cyrus glaubten und ihm