Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_fad23315-ed52-58a2-ab24-1525f6e6f543">656, in denen sie ihre eigensten Gefühle wiederfand, mit ihrer reinen, holdselig klagenden Stimme sang, dann glaubte sie mit dem Geliebten in schweigender Nacht unter duftendem Akanthus zu verweilen und vergaß, aus der Wirklichkeit in das Zauberland der Phantasie entführt, der trüben Gegenwart. Und jedesmal, wenn sie das Saitenspiel aus der Hand legte, um sich, tief aufathmend, dem Reiche der Träume zu entziehen, wischte sich Kassandane, obgleich sie die griechische Sprache nicht verstand, eine Thräne aus den Augen, beugte sich Atossa zu ihr nieder, um ihre Stirn zu küssen.

      So waren drei lange Jahre vergangen, in denen sie ihre Großmutter nur selten gesehen hatte; durfte sie doch auf Befehl des Königs, um Parmys’ willen, das Haus der Weiber niemals ohne Kassandane’s oder der Eunuchen Begleitung und Erlaubniß verlassen.

      Jetzt hatte Krösus, der sie nach wie vor gleich einer Tochter liebte, Rhodopis nach Sais beschieden. Sappho konnte nicht in die Ferne ziehen, ohne ihrer treuesten Freundin Lebewohl zu sagen, und fand bei Kassandane wie bei dem greisen Lyder volles Verständniß für diesen Herzenswunsch. Die Wittwe des Cyrus hatte außerdem so viel von der edlen Großmutter ihrer Schwiegertochter gehört, daß sie dieselbe kennen zu lernen wünschte und sie, nachdem Sappho ein zärtliches Wiedersehen mit ihr gefeiert hatte, zu sich entbieten ließ.

      Als die beiden Greisinnen einander gegenüberstanden, hätte ein Fremder nimmer entscheiden können, wer von ihnen die Königin sei; würde er sie doch Beide für Fürstinnen gehalten haben.

      Krösus, welcher der Griechin ebenso nahe stand wie der Perserin, versah das Amt des Dolmetschers und wußte, unterstützt von dem biegsamen Geiste der Hellenin, das Gespräch in ununterbrochenem Fluß zu halten.

      Nachdem Rhodopis mit dem ihr eigenen Zauber Kassandane’s Herz gewonnen hatte, glaubte die Königin, nach persischer Art, derselben ihr Wohlgefallen nicht besser beweisen zu können, als durch die Aufforderung, ihr einen Wunsch vorzutragen.

      Die Hellenin zauderte einen Augenblick, ehe sie, ihre Hände wie zum Gebet erhebend, ausrief: »Laß mir Sappho, den Trost und Schmuck meines Alters!«

      Kassandane lächelte schmerzlich und gab zurück: »Diesen Wunsch vermag ich nicht zu erfüllen, denn unser Gesetz befiehlt, daß die Kinder der Achämeniden an der Pforte des Königs erzogen werden sollen. Ich darf die kleine Parmys, als einzige Enkelin des Cyrus, nicht von mir lassen, und Sappho wird sich, so sehr sie Dich liebt, in keinem Falle von ihrem Kinde trennen. Auch ist sie mir und meiner Tochter so theuer, ja ich möchte sagen nothwendig geworden, daß ich sie, obgleich ich Deine Sehnsucht nach ihr wohl verstehe, niemals von mir lassen würde.«

      Als Kassandane sah, daß sich das Auge der Hellenin mit Thränen füllte, fuhr sie fort. »Aber ich wüßte ein gutes Auskunftsmittel. Verlaß Naukratis und komm’ mit uns nach Persien. Dort sollst Du Deine letzten Jahre mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer Fürstin gehalten werden!«

      Rhodopis schüttelte ihr schönes, greises Haupt und erwiederte mit gedämpfter Stimme: »Ich danke Dir für Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß ich sie nicht anzunehmen vermag. Alle Fasern meines Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem Leben zerreißen, wenn ich mich von ihm für immer abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Austausch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt, würde ich in der Beschränkung des Harems hinsiechen und sterben. Von Krösus auf Deinen gütigen Vorschlag vorbereitet, hab’ ich schwere Kämpfe bestanden, eh’ ich dahin gelangen konnte, mir zu sagen, daß es meine Pflicht sei, mein liebstes für mein höchstes Gut aufzuopfern. So viel schwerer es ist, schön und gut, als glücklich zu leben, so viel ruhmvoller, so viel würdiger des hellenischen Namens ist es, statt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein Herz zieht mit Sappho nach Persien, mein Geist und meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du eines Tages vernehmen solltest, daß niemand außer dem Volke in Hellas regiert, und daß sich dieses Volk vor nichts Anderem beugt, als vor seinen Göttern und Gesetzen, dem Guten und Schönen, dann magst Du denken, daß die Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Besten der Hellenen, ihr Leben setzte, erfüllt sei. Zürne nicht der Griechin, welche, damit ich es nur gestehe, lieber als freie Bettlerin vor Sehnsucht sterben, denn als glücklich gepriesene, aber unfreie Fürstin leben möchte.«

      Kassandane hörte der Greisin staunend zu. Sie verstand sie nur theilweis; fühlte aber, daß Rhodopis edle Worte gesprochen habe, und reichte ihr am Schluß ihrer Rede die Hand zum Kusse. Dann sagte sie nach einer kurzen Pause: »Handle nach Deinem Ermessen, und sei versichert, daß es Deiner Enkelin, so lange ich und meine Tochter leben, nicht an treuer Liebe gebrechen wird.«

      »Dafür bürgt mir Dein edles Angesicht und der hohe Ruf Deiner Tugend!« antwortete Rhodopis.

      »Sowie meine Pflicht, das, was man an Deiner Enkelin verbrochen, nach Kräften wieder gut zu machen.«

      Rhodopis erglühte bei diesen Worten und rief: »Gestattest Du mir, frei zu reden, o Königin?«

      »Sprich ohne Furcht!«


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