Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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den ältesten Sohn des Botschafters, der die Ehrenstelle seines Schenken bekleidete, kommen und erfuhr von ihm, daß sein Vater, ohne Abschied zu nehmen, Memphis verlassen habe. Dann berief er Darius, Zopyrus und Gyges, von denen er wußte, daß sie Bartja am innigsten liebten, und fragte sie, wie sich ihr Freund befinde. Nachdem er vernommen hatte, daß er sich zu Sais aufhalte, sandte er die Jünglinge sogleich dorthin und trug ihnen auf, Prexaspes, wenn sie ihm begegnen sollten, ungesäumt nach Memphis zurückzuschicken. Die jungen Achämeniden konnten sich das sonderbare Benehmen und die Hast des Königs nicht erklären; machten sich aber schnell auf den Weg, weil ihnen nichts Gutes ahnte.

      Indessen konnte Kambyses keine Ruhe finden, verwünschte im Stillen seine Trunkenheit und rührte während dieses ganzen Tages keinen Wein an. Als er im Garten des Pharaonenpalastes seiner Mutter begegnete, wich er ihr aus, weil er fühlte; daß er ihren Blick nicht ertragen würde.

      Auch die folgenden acht Tage vergingen, ohne Prexaspes zu bringen, und erschienen ihm so lang wie ein Jahr. Hundertmal ließ er den Mundschenken kommen und fragte ihn, ob sein Vater noch nicht heimgekehrt sei; hundertmal erhielt er eine verneinende Antwort.

      Als sich die Sonne des dreizehnten Tages zum Untergange neigte, ließ ihn Kassandane bitten, daß er sie besuchen möge. Nun begab er sich sogleich in ihre Gemächer, denn er sehnte sich jetzt darnach, das Angesicht seiner Mutter zu schauen. Ihm war, als müßte ihm sein Anblick den verlorenen Schlaf wiedergeben.

      Nachdem er die Greisin mit einer Zärtlichkeit, welche sie um so mehr überraschte, je weniger sie von seiner Seite an derartige Kundgebungen gewöhnt war, begrüßt hatte, fragte er nach ihrem Begehren und erfuhr, daß Bartja’s Gattin unter seltsamen Umständen bei ihr eingetroffen wäre und den Wunsch ausgesprochen habe, ihm ein Geschenk zu überreichen. Ohne Säumen ließ er sie kommen und erfuhr von ihr, daß Prexaspes ihrem Gatten einen Befehl, nach Arabien zu reisen, überbracht, ihr selbst aber, in Kassandane’s Namen, nach Memphis zu kommen befohlen habe. Der König erbleichte bei dieser Mittheilung und sah das holde Weib seines Bruders mit schmerzlich bewegten Blicken an. Die junge Griechin fühlte, daß in dem Könige etwas Befremdliches vorgehe, und konnte, von schrecklichen Ahnungen geängstigt, ihm nur mit zitternden Händen das Geschenk, welches sie mitgebracht hatte, überreichen.

      »Mein Gatte sendet Dir dies!« sagte sie, indem sie auf das in einer kunstreich gearbeiteten Kiste verborgene Wachsbild der Nitetis deutete. – Rhodopis hatte ihr gerathen, gerade dies Geschenk, gleichsam als Gabe der Versöhnung, in Bartja’s Namen dem Zürnenden darzubringen.

      Kambyses übergab die Kiste, deren Inhalt seine Neugier nur wenig zu erregen schien, einem Eunuchen, rief seiner Schwägerin einige Worte zu, die wie Dank klingen sollten, und verließ gleich darauf das Haus der Weiber, ohne sich nach Atossa, die er ganz vergessen zu haben schien, zu erkundigen.

      Er war der Meinung gewesen, dieser Besuch würde ihm wohlthun und ihn beruhigen, Sappho’s Mittheilung hatte ihm aber die letzte Hoffnung, und somit auch den letzten Theil seiner Ruhe geraubt. Prexaspes mußte den Mord schon begangen haben, oder konnte doch in jedem Augenblicke, vielleicht gerade jetzt, den Dolch erheben, um ihn in die Brust des Jünglings zu stoßen. Wie sollte er nach Bartja’s Tode seiner Mutter gegenübertreten? Was sollte er ihr und den Fragen jenes holden Weibes, welches ihn so ängstlich und rührend mit den großen Augen angeblickt hatte, erwidern?

      Kalte Schauer überfielen ihn, als ihm eine innere Stimme zurief, daß der Mord seines Bruders eine Handlung der Feigheit, der Furcht, der Unnatur und Ungerechtigkeit genannt werden würde. Der Gedanke, ein Meuchelmörder zu sein, schien ihm unerträglich. Ohne Gewissensbisse hatte er schon so manchem Manne den Tod gegeben. aber entweder im ehrlichen Kampfe, oder im Angesicht aller Welt. Er war ja König, und was er that, war gut. Wenn er Bartja mit eigener Hand erschlagen hätte, so würde er mit seinem Gewissen fertig geworden sein; nun er ihn aber heimlich aus dem Wege zu räumen, ihn, nachdem er viele des höchsten Ruhmes würdige Proben männlicher Trefflichkeit abgelegt, zu meucheln befohlen hatte, überkam ihn eine folternde, seinem Herzen bis dahin fremde, mit Ingrimm gegen seine eigene Ruchlosigkeit gepaarte Scham und Reue. Er begann sich selbst zu verachten. Das Bewußtsein, nur Gerechtes gewollt und gethan zu haben, verließ ihn, und er meinte jetzt, daß all’ die auf sein Geheiß getödteten Menschen, wie Bartja, unschuldige Opfer seiner Wuth gewesen wären. Um diese Gedanken, welche immer unerträglicher wurden, zu betäuben, griff er von neuem nach dem berauschenden Saft der Rebe. Diesmal verwandelte sich aber der Sorgenbrecher in einen Qualenbringer für Leib und Seele. Sein vom Trunk und der fallenden Sucht zerrütteter Körper schien jetzt den mannigfaltigen grausamen Erregungen der letzten Monde erliegen zu wollen. Endlich fühlte er sich, bald frierend, bald glühend, gezwungen, sein Lager aufzusuchen. – Während man ihn auskleidete, fiel ihm das Geschenk seines Bruders ein. Augenblicklich ließ er die Kiste holen und eröffnen, befahl den Auskleidern, ihn allein zu lassen, und konnte sich nicht enthalten, beim Anblicke der ägyptischen Malerei, welche den Kasten bedeckte, an Nitetis zu denken und sich zu fragen, was wohl die Verstorbene über seine jüngst vollbrachte That gesagt haben würde. Fiebernd und verworrenen Geistes beugte er sich endlich über die Kiste, entnahm ihr das aus Wachs gebildete schöne Haupt, und starrte mit Entsetzen in die glanzlosen unbeweglichen Augen des Bildwerks. Die Aehnlichkeit war so täuschend, und seine Urtheilskraft durch den Wein und das Fieber so geschwächt, daß er von einem Zauber befangen zu sein glaubte. Dennoch vermochte er nicht, seinen Blick von den theuren Zügen abzuwenden. Plötzlich kam es ihm vor, als wenn das Bildwerk seine Augen bewege. Da faßte ihn ein jähes Entsetzen. Krampfhaft schleuderte er das lebendig gewordene Bild an die Wand, so daß die hohle, spröde Wachsmasse in tausend Stücke zersplitterte, und sank stöhnend auf sein Lager zurück. – Von nun an wurde das Fieber immer heftiger. Der Unglückliche glaubte, in wirren Phantasieen, zuerst den verbannten Phanes zu sehen, der ein griechisches Schelmenliedchen sang und ihn so schändlich verhöhnte, daß sich seine Faust vor Ingrimm ballte. Dann sah er Krösus, seinen Freund und Berather. Derselbe drohte ihm und rief ihm jene Worte abermals zu, mit denen er ihn, als er Bartja um Nitetis willen hinrichten lassen wollte, gewarnt hatte: »Hüte Dich, brüderliches Blut zu vergießen, denn wisse, daß seine Dämpfe aufsteigen zum Himmel und zu Wolken werden, welche die Tage des Mörders verfinstern und endlich einen Blitz der Rache auf ihn hernieder schleudern!«

      Und in seiner Phantasie gestaltete sich dieses Bild zur Wirklichkeit. Er wähnte, daß ein blutiger Regen aus finsteren Wolken auf ihn herniederströme und mit seinem widrigen Naß seine Kleider und Hände befeuchte. Als derselbe endlich aufgehört hatte, und er sich, um sich zu reinigen, dem Ufer des Nils näherte, trat ihm Nitetis mit süßem Lächeln, wie sie Theodorus dargestellt hatte, entgegen. Bezaubert von der lieblichen Erscheinung, warf er sich vor ihr nieder und faßte ihre Hand. Kaum hatte er sie berührt, als sich an jeder ihrer zarten Fingerspitzen ein Blutstropfen zeigte, und sie ihm mit allen Zeichen des Abscheus den Rücken kehrte. Jetzt flehte Kambyses die Erscheinung demüthig an, ihm zu vergeben und zu ihm zurückzukehren; sie aber blieb unerbittlich. Da ergrimmte er und drohte ihr erst mit seinem Zorne, dann mit furchtbaren Strafen, und vermaß sich endlich, als Nitetis seine Worte mit leisem Hohngelächter beantwortete, seinen Dolch nach ihr zu werfen. Da zerstob sie in tausend Stücke, wie das wächserne Bildwerk an der Wand zersprungen war; – das Hohngelächter tönte aber fort und wurde lauter und lauter, und viele Stimmen mischten sich in dasselbe und suchten sich einander in Spott und Hohn zu überbieten. Und Bartja’s und Nitetis’ Stimmen klangen am erkennbarsten an sein Ohr und schienen ihn am bittersten zu höhnen, und endlich vermochte er diese furchtbaren Töne nicht länger zu ertragen und hielt sich die Ohren zu und vergrub, als auch dies nichts helfen wollte, seinen Kopf in brennend heißen Wüstensand und dann in den eisig kalten Nil und wieder in die Gluth und wieder in das frostige Naß, bis seine Sinne schwanden. Als er endlich erwachte, konnte er sich nicht mehr in der Wirklichkeit zurecht finden. Er hatte sich Abends niedergelegt und sah jetzt an der Sonne, welche sein Lager mit ihren letzten Strahlen vergoldete, daß es nicht, wie er erwarten mußte, tage, sondern vielmehr dunkle. Er konnte sich nicht täuschen, denn jetzt vernahm er den singenden Priesterchor, der dem scheidenden Mithra die letzten Grüße zuwarf.

      Nun hörte er auch, wie sich hinter einem Vorhange, den man zu Häupten seines Lagers angebracht hatte, viele Menschen regten. Er wollte sich umwenden, fühlte aber bald, daß ihm dies aus Kraftlosigkeit unmöglich sei. Endlich rief er, nachdem er sich vergeblich


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