Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Das Ungeheuer stürzte sich auf das blühende Grab seines Opfers, entriß ihm den Sarkophag und zerhieb die Mumie in vierzehn Stücke613, welche er unter Posaunen- und Donnerschall am Rande des Wassers umherstreute.
»Als sich Isis dem Grabmale wiederum näherte, fand sie nichts als verwelkte Blumen und einen leeren Sarkophag; am Ufer des Sees aber flammten an vierzehn verschiedenen Stellen vierzehn Feuer in wunderbaren Farben. Die Beraubte eilte mit ihren Jungfrauen diesen Lichtern entgegen, während sich die Jünglinge mit Horus vereint hatten und, von ihm geführt, am jenseitigen Ufer des Wassers gegen Typhon kämpften.
»Ich wußte nicht, wohin ich meine Augen und Ohren zuerst wenden sollte. Hier tobte unter Donnerschlägen und Trompetengeschmetter eine furchtbare Schlacht, von deren Verlauf ich die Blicke nicht losreißen mochte; dort sangen liebliche Frauenstimmen herzbestrickende Lieder zu zauberischen Tänzen, denn Isis hatte bei jedem der plötzlich entflammten Lichter eins der Glieder ihres Gatten wiedergefunden und feierte jetzt ein Freudenfest.
»Hättest Du doch diese Tänze sehen dürfen, Zopyrus! Ich finde keine Worte, um die Anmuth der Bewegungen jener Mädchen zu beschreiben, und kann euch nicht anschaulich machen, wie schön es war, wenn sie in verworrenem Getümmel umherschwärmten, um plötzlich in makellos gleichmäßigen Reihen einander gegenüber zu stehen und neuen Wirrwarr mit neuer Ordnung pfeilgeschwind zu vertauschen. Dabei zuckten fortwährend blendende Lichtstrahlen aus den wirbelnden Reihen; trug doch jede Tänzerin einen Spiegel614 zwischen den Schultern, dessen Schwingung Blitze erzeugte, dessen Stillstand das Bild der Jungfrauen verdoppelte.
»Kaum hatte Isis das vorletzte Glied615 des Osiris gefunden, als auch vom jenseitigen Ufer des Sees triumphirende Fanfaren und Lieder erklangen.
»Horus hatte Typhon geschlagen und drang nun, um seinen Vater zu befreien, in die offene Pforte der Unterwelt, welche sich auf der Westseite des Sees, bewacht von einem grimmigen weiblichen Nilpferde616, aufthat.
»Jetzt ertönten, näher und näher kommend, liebliche Harfen- und Flötentöne, himmlischer Wohlgeruch stieg auf, ein rosiges Licht verbreitete sich, heller und heller werdend, über den Hain, und an der Hand seines siegreichen Sohnes trat Osiris aus der offenen Pforte der Unterwelt. Isis eilte in die Arme des erlösten, von den Todten erstandenen Gatten, gab dem schönen Horus von neuem, statt des Schwertes, eine Lotusblume in die Hand und streute Blüthen und Früchte aus, während sich Osiris unter einen mit Epheu umrankten Baldachin setzte und die Huldigung aller Geister der Erde und des Amenthes617 empfing.«
Darius schwieg. Rhodopis ergriff nach ihm das Wort und sagte:
»Wir danken Dir für Deine anmuthige Erzählung; würden aber doppelt erkenntlich sein, wenn Du uns den Sinn dieses seltsamen Schauspiels, welches nicht ohne höhere Bedeutung sein kann, mittheilen wolltest.«
»Deine Ahnung betrügt Dich nicht,« antwortete Darius; »ich muß aber das, was ich weiß, verschweigen, denn ich habe Neithotep eidlich versprechen müssen, nicht aus der Schule zu plaudern618.«
»Soll ich Dir sagen,« fragte Rhodopis, »welchen Sinn ich nach allerlei Andeutungen des Pythagoras und Onuphis jenem Schauspiele unterlege? – Isis scheint mir die gütige Erde zu sein, Osiris die Feuchtigkeit oder der Nil, welche dieselbe fruchtbar machen, Horus der junge Lenz, Typhon die Alles versengende Dürre. Letztere vernichtet den Osiris oder die Feuchtigkeit. Die gütige Erde, der Zeugungskraft beraubt, sucht wehklagend den geliebten Gatten, den sie im kühleren Norden, wohin der Nil sich ergießt, wiederfindet. Endlich ist Horus, die junge Triebkraft der Natur, erwachsen und besiegt Typhon oder die Dürre. Osiris war, wie die Fruchtbarkeit, nur scheintodt, entsteigt der Unterwelt und beherrscht mit seiner Gattin, der gabenreichen Erde, von neuem das gesegnete Nilthal.«
»Und weil sich der erschlagene Gott in der Unterwelt löblich aufführte,« – lachte Zopyrus, »so empfing er am Ende dieser wunderlichen Geschichte die Huldigung aller Bewohner des Hamestegan, Duzakh und Gorothman619, ober wie ich diese Wohnungen des ganzen ägyptischen Seelenheeres nennen soll!«
»Sie heißt Amenti!« sagte Darius, auf den heiteren Ton des Zopyrus eingehend; »die Geschichte des Götterpaares versinnbildlicht aber nicht nur das Leben der Natur, sondern auch das der Menschenseele, die, wenn der Leib gestorben, wie der erschlagene Osiris, niemals fortzuleben aufhört.«
»Dank’ schön,« antwortete dieser; »ich will mir’s für den Fall, daß ich in Aegypten sterben sollte, merken. Nächstesmal muß ich übrigens diesem Schauspiele um jeden Preis beiwohnen.«
»Ich theile Deinen Wunsch,« sagte Rhodopis, »denn das Alter macht neugierig.«
»Du bleibst ewig jung!« unterbrach Darius die Greisin. »Deine Rede ist so schön geblieben wie Dein Angesicht, und Dein Geist so hell wie Deine Augen!«
»Verzeih’ mir,« rief Rhodopis, als habe sie diese Schmeichelworte überhört, »wenn ich Dich unterbreche; bei ›Augen‹ fällt mir aber der Augenarzt Nebenchari ein, und mein Gedächtniß ist so schwach geworden, daß ich Dich, eh’ ich es vergesse, nach ihm fragen muß. Ich höre nichts mehr von dem Künstler, dem doch die edle Kassandane so viel verdankt!«
»Der arme Mann!« rief Darius. »Schon auf dem Zuge nach Pelusium mied er allen Umgang und verschmähte es sogar, mit seinem Landsmanne Onuphis zu reden. Nur sein alter, hagerer Gehülfe durfte ihn bedienen und mit ihm verkehren. Nach der Schlacht veränderte sich aber sein ganzes Wesen. Strahlenden Antlitzes trat er vor den König, um ihn zu ersuchen, ihn nach Sais zu begleiten und sich zwei Bürger dieser Stadt als Sklaven auswählen zu dürfen. Kambyses glaubte dem Wohlthäter seiner Mutter keine Bitte abschlagen zu können, und gab ihm die betreffende Vollmacht. In der Residenz des Amasis angekommen, eilte er sofort in den Neithtempel, ließ den Oberpriester, welcher sich überdem an die Spitze der den Persern feindlichen Bürger gestellt hatte, sowie einen ihm verhaßten Augenarzt verhaften und erklärte ihnen, sie würden von nun an, zur Strafe für die Verbrennung gewisser Schriften, zeitlebens einem Perser, an den er sie verkaufen wolle, in der Fremde die niedrigsten Sklavendienste leisten müssen. Ich war Zeuge dieses Auftritts und versichere euch, daß ich vor dem Aegypter erbebte, als er seinen Feinden diese Erklärung machte. Neithotep hörte ihn jedoch ruhig an und sagte, als Nebenchari schwieg: ›Wenn Du, thörichter Sohn, um Deiner verbrannten Schriften willen Dein Vaterland verrathen hast, so handeltest Du eben so ungerecht als unweise. Ich bewahrte Deine kostbaren Werke sorgsam auf, legte sie in unserem Tempel nieder und schickte eine vollständige Abschrift in die Büchersammlung nach Theben620. Wir ließen nichts verbrennen, als die von Amasis an Deinen Vater gerichteten Briefe und eine alte, werthlose Kiste. Psamtik und Petammon sahen dem Feuer zu und beschlossen bei demselben, Dir, zum Dank für Deine Schriften, und als Ersatz für jene Papiere, welche wir, um Aegypten zu retten, leider vernichten mußten, in der Todtenstadt ein neues Erbbegräbniß bauen zu lassen. An seinen Wänden kannst Du in zierlicher Malerei die Gemälde der Gottheiten, denen Du Dich weihtest, die heiligsten Kapitel des Todtenbuchs und viele auf Dich bezügliche schöne Bilder finden621.‹
»Der Arzt erbleichte und ließ sich zuerst seine Bücher, dann seine neue, herrlich ausgestattete Grabkammer zeigen. Hierauf schenkte er seinen Sklaven, welche trotzdem als Gefangene nach Memphis geführt wurden, die Freiheit und ging, wie ein Trunkener taumelnd und fortwährend mit der Hand über die Stirn fahrend, nach Hause. Hier setzte er ein Testament auf, in dem er den Enkel des alten Dieners Hib zum Erben all’ seiner Güter einsetzte, und legte sich, Unwohlsein vorschützend,