Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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Das Ungeheuer stürzte sich auf das blühende Grab seines Opfers, entriß ihm den Sarkophag und zerhieb die Mumie in vierzehn Stücke613, welche er unter Posaunen- und Donnerschall am Rande des Wassers umherstreute.

      »Als sich Isis dem Grabmale wiederum näherte, fand sie nichts als verwelkte Blumen und einen leeren Sarkophag; am Ufer des Sees aber flammten an vierzehn verschiedenen Stellen vierzehn Feuer in wunderbaren Farben. Die Beraubte eilte mit ihren Jungfrauen diesen Lichtern entgegen, während sich die Jünglinge mit Horus vereint hatten und, von ihm geführt, am jenseitigen Ufer des Wassers gegen Typhon kämpften.

      »Ich wußte nicht, wohin ich meine Augen und Ohren zuerst wenden sollte. Hier tobte unter Donnerschlägen und Trompetengeschmetter eine furchtbare Schlacht, von deren Verlauf ich die Blicke nicht losreißen mochte; dort sangen liebliche Frauenstimmen herzbestrickende Lieder zu zauberischen Tänzen, denn Isis hatte bei jedem der plötzlich entflammten Lichter eins der Glieder ihres Gatten wiedergefunden und feierte jetzt ein Freudenfest.

      Darius schwieg. Rhodopis ergriff nach ihm das Wort und sagte:

      »Wir danken Dir für Deine anmuthige Erzählung; würden aber doppelt erkenntlich sein, wenn Du uns den Sinn dieses seltsamen Schauspiels, welches nicht ohne höhere Bedeutung sein kann, mittheilen wolltest.«

      »Soll ich Dir sagen,« fragte Rhodopis, »welchen Sinn ich nach allerlei Andeutungen des Pythagoras und Onuphis jenem Schauspiele unterlege? – Isis scheint mir die gütige Erde zu sein, Osiris die Feuchtigkeit oder der Nil, welche dieselbe fruchtbar machen, Horus der junge Lenz, Typhon die Alles versengende Dürre. Letztere vernichtet den Osiris oder die Feuchtigkeit. Die gütige Erde, der Zeugungskraft beraubt, sucht wehklagend den geliebten Gatten, den sie im kühleren Norden, wohin der Nil sich ergießt, wiederfindet. Endlich ist Horus, die junge Triebkraft der Natur, erwachsen und besiegt Typhon oder die Dürre. Osiris war, wie die Fruchtbarkeit, nur scheintodt, entsteigt der Unterwelt und beherrscht mit seiner Gattin, der gabenreichen Erde, von neuem das gesegnete Nilthal.«

      »Sie heißt Amenti!« sagte Darius, auf den heiteren Ton des Zopyrus eingehend; »die Geschichte des Götterpaares versinnbildlicht aber nicht nur das Leben der Natur, sondern auch das der Menschenseele, die, wenn der Leib gestorben, wie der erschlagene Osiris, niemals fortzuleben aufhört.«

      »Dank’ schön,« antwortete dieser; »ich will mir’s für den Fall, daß ich in Aegypten sterben sollte, merken. Nächstesmal muß ich übrigens diesem Schauspiele um jeden Preis beiwohnen.«

      »Ich theile Deinen Wunsch,« sagte Rhodopis, »denn das Alter macht neugierig.«

      »Du bleibst ewig jung!« unterbrach Darius die Greisin. »Deine Rede ist so schön geblieben wie Dein Angesicht, und Dein Geist so hell wie Deine Augen!«

      »Verzeih’ mir,« rief Rhodopis, als habe sie diese Schmeichelworte überhört, »wenn ich Dich unterbreche; bei ›Augen‹ fällt mir aber der Augenarzt Nebenchari ein, und mein Gedächtniß ist so schwach geworden, daß ich Dich, eh’ ich es vergesse, nach ihm fragen muß. Ich höre nichts mehr von dem Künstler, dem doch die edle Kassandane so viel verdankt!«


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