Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.unter Zwergen.
Schon war sie zu weit gegangen, um umkehren zu können, aber sie hätte es gern gethan. Sie fühlte, je länger sie in diese Hütte schaute, tiefer und tiefer die Ohnmacht ihres fürstlichen Vermögens, die Nichtigkeit der reichen Gaben, mit denen sie nahte, und daß sie den staubigen Boden dieser armen Hütte nicht anders betreten dürfe, als in aller Demuth und als eine um Vergebung Bittende.
Der Raum, welchen sie übersah, war niedrig, aber nicht gerade klein, und empfing durch zwei einander kreuzende Lichtströmungen eine seltsame, ungleichmäßige Beleuchtung. Die eine fand ihren Eingang durch die Thür, die andere durch eine Oeffnung in der altersschwachen Decke des Zimmers, welches noch niemals so viele und so verschiedenartige Gäste beherbergt hatte als heute.
Aller Aufmerksamkeit richtete sich auf eine von dem Thürlichte hell beleuchtete Gruppe.
Auf dem staubigen Boden des Gemachs kauerte ein altes Weib mit verwitterten, dunklen Zügen und wirren, längst ergrauten Haaren. Ihr schwarzblaues, hemdenartiges Baumwollenkleid war geöffnet und ließ auf ihrer verdorrten Brust einen blauen, ihr eintätowirten Stern sehen.
In ihrem Schooße lag das von ihren Händen gestützte Haupt eines Mädchens, dessen schlanker Leib auf einer schmalen, zerrissenen Matte regungslos ruhte. Die kleinen, weißen Füße der Kranken berührten beinahe die Schwelle der Thür. Neben ihnen hockte ein alter, freundlicher Mann, der nur mit einem groben Schurze bekleidet und in sich zusammengesunken, sich dann und wann vorbeugte, um die Fußsohlen des Mädchens mit seinen mageren Händen zu reiben und leise Worte vor sich hin zu murmeln.
Die Leidende trug nichts als ein kurzes Röckchen von grobem, hellblauen Stoff. Ihr im Schooße der Alten ruhendes Antlitz war zart und ebenmäßig geformt, ihre Augen waren halb geschlossen, wie die der Kinder, deren Seele ein süßer Traum umfängt, aber an ihren schön geschnittenen Lippen zeigte sich von Zeit zu Zeit ein schmerzliches, fast krampfhaftes Zucken.
Volles weiches, aber ungeordnetes, rothblondes Haar, in dem einige verdorrte Blumen hingen, floß von ihrem Scheitel über den Schooß der Alten und die Matte hin, auf der sie lag. Ihre Wangen waren weiß und rosenroth, und wenn der junge Arzt Nebsecht, der neben seinem blinden, dumpfe Litaneien singenden Gefährten an ihrer Seite saß, das zerrissene Tuch, welches man über ihren jungfräulichen, von dem Rade des Wagens verletzten Busen gelegt hatte, lüftete, oder wenn sie ihren zarten Arm erhob, so zeigte es sich, daß sie an schimmernder Weiße jenen Töchtern des Nordlandes glich, die unter den Kriegsgefangenen des Königs nicht selten nach Theben kamen.
Zur linken Seite des Mädchens saßen auf einem kleinen Teppich die beiden aus dem Setihause hieher gesandten Heilkünstler. Von Zeit zu Zeit legte der eine oder der andere seine Hand auf die Stelle des Herzens der Leidenden, oder behorchte ihren Athem, oder öffnete seinen Arzneikasten, um den Umschlag auf ihrer leidenden Brust mit einem weißlichen Heilmittel zu befeuchten.
In weiterem Kreise, in der Nähe der Wände des Raumes hockten mehrere jüngere und ältere Weiber, Freundinnen des Paraschitenhauses, die von Zeit zu Zeit durch ein gellendes Jammergeschrei der Tiefe ihres Mitgefühls Ausdruck gaben. Eine von ihnen erhob sich in regelmäßigen Zwischenräumen und füllte das irdene Becken zur Seite der Aerzte mit frischem Wasser. So oft die Kühle eines neuen Umschlags die heiße Brust der Kranken erschreckte, öffnete sie die Augen und wandte sie sodann, – immer nur, um sie bald wieder auf längere Zeit zu schließen, – erst überrascht, dann aber mit frommer Ehrfurcht nach einem bestimmten Punkte hin.
Diese Blicke waren bisher unbemerkt geblieben von Demjenigen, auf den sie sich richteten.
An die rechte Wand des Zimmers gelehnt, stand in seinem langen, schneeweißen Priesterkleide der auf die Prinzessin harrende Pentaur. Sein Scheitel berührte die Decke des Zimmers und der durch die Oeffnung in der letzteren strömende schmale Lichtstreifen umfloß sein schönes Haupt und seine Brust, während Alles, was ihn umgab, von dämmerndem Dunkel bedeckt war.
Wieder erhob sich der Blick der Kranken und begegnete dießmal dem Auge des jungen Priesters, der alsbald seine Hand erhob und halb mechanisch mit leiser Stimme einige Worte des Segens sprach, dann aber von Neuem unverwandt auf den dunklen Boden der Hütte herniederschaute, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Vor mehreren Stunden war er gekommen, um, gehorsam dem Befehle des Oberpriesters Ameni, der Prinzessin einzuschärfen, daß sie sich durch die Berührung des Paraschiten beflecke und nur durch die Hand der Priester die Reinheit zurückzuerlangen vermöge.
Ungern hatte er die Schwelle des Paraschiten betreten und wie ein Unglück bedrückte ihn der Gedanke, daß gerade er auserlesen worden sei, um eine Handlung edler Menschlichkeit zu brandmarken und ihre Thäterin dem strafenden Richter zu überweisen.
Pentaur hatte im Verkehr mit seinem Freunde Nebsecht manche geistige Fessel abgeworfen und manchem Gedanken Raum gegeben, den seine Meister für sündhaft und aufrührerisch erklärt haben würden, und dennoch erkannte er die Heiligkeit der alten Satzungen an, welche diejenigen schirmten, die er als die von Gott bestellten Hüter des geistigen Besitzes seines Volkes anzusehen gelernt hatte; auch war er nicht frei von jenem Kastenstolz und geistigen Hochmuth, die den Priestern mit klugem Vorbedacht anerzogen wurden. Er stellte den gemeinen Mann, der seine Kräfte einsetzt, um in redlicher, körperlicher Arbeit den Unterhalt für die Seinen zu erringen, den Kaufmann, Handwerker und Bauer, ja selbst den Krieger und vor Allem den der Sinnenlust ergebenen Müßiggänger tief unter die nach geistigen Zielen strebenden Standesgenossen.
Die durch das Gesetz Gebrandmarkten hielt er für unrein, und wie hätte er auch anders gekonnt!
Diese Leute, welche bei der Mumisirung der Todten den Leib des Leichnams öffneten, waren wegen dieses ihres, das heilige Gefäß der Seele schädigenden Berufs geächtet worden 39; aber kein Paraschit wählte freiwillig seinen sich vom Vater auf den Sohn vererbenden Stand, und wer als Paraschit geboren wurde, der hatte, so war er belehrt worden, – eine alte Schuld zu büßen, mit der sich seine Seele, welche damals von einem andern Körper umhüllt gewesen war, vor einer langen Zeitperiode belastet und der Seligsprechung im Jenseits beraubt hatte. Durch viele Thierleiber war sie gewandelt, um nun in dem Paraschitenkind eine neue Laufbahn zu beginnen und sich nach dem Tode von Neuem den Richtern in der Unterwelt zu stellen.
Mit Widerwillen hatte er die Schwelle des Geächteten überschritten, der schon, als er sich seiner Hütte nahte, zu Füßen des leidenden Mädchens gesessen und bei seinem Eintritt ausgerufen hatte:
»Noch ein Weißgekleideter. Wäscht denn das Unglück den Unreinen rein?«
Pentaur hatte dem Alten nichts erwiedert und dieser berücksichtigte ihn nicht weiter, denn er rieb die Fußsohlen der Kranken auf Befehl des Arztes und seine Hände blieben, von zärtlicher Besorgniß getrieben, ohne zu ermüden in steter Bewegung, wie das Schöpfrad im Nil durch den Strom ohne Unterlaß im Gang erhalten wird.
»Wäscht das Unglück den Unreinen rein?« fragte sich Pentaur. »Wohl besitzt es reinigende Gewalt und sollte die Gottheit, die dem Feuer die Kraft gab, das Metall zu läutern, und dem Winde, den Himmel von Gewölk zu befreien, es gewollt haben, daß ein Ebenbild ihres eigenen Wesens, ein Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Ende mit einem unvertilgbaren Makel behaftet sei?«
Er schaute auf den Paraschiten und das Antlitz desselben schien ihm dem seines Vaters zu gleichen.
Das erschreckte ihn.
Als er aber wahrnahm, wie sich die Frau, in deren Schooß das Haupt der Kranken ruhte, so ängstlich wie eine Taube, auf die ein Habicht herniederschießt, über die wunde Brust des Mädchens beugte, um seinen Athem zu belauschen, der ihr zum Stillstand gelangt zu sein schien, da erinnerte er sich an eine Stunde aus seiner eigenen Kinderzeit, in der er, von Fieber geschüttelt, auf seinem Bettchen gelegen hatte. Was damals mit ihm selbst und in seiner Umgebung vorgegangen war, hatte er längst vergessen, aber ein Bild hatte sich tief in seine Seele geprägt und dieß war das des über ihm schwebenden, mit Todesangst erfüllten Antlitzes seiner Mutter, deren Augen doch nicht zärtlicher und besorgter auf ihren kranken Sohn geblickt hatten, als die des geächteten Weibes auf ihr leidendes Kind.
»Es gibt nur eine ganz selbstlose,