Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Brust.
Der Paraschit hatte die Füße der Kranken nicht aus der Hand gelassen, war aber jeder Bewegung der Prinzessin gefolgt und flüsterte jetzt: »Das vergelte Dir Hathor, die Dir Deine Schönheit gegeben.«
Die Königstochter wandte sich ihm zu und sagte, noch immer neben dem Mädchen knieend. »Vergib mir den Schmerz, den ich euch ungern bereitet.«
Da richtete sich der Alte auf, ließ die Füße der Kranken fallen und fragte mit lauter, klangvoller Stimme.
»Bist Du Bent-Anat?«
»Ich bin es,« erwiederte die Prinzessin tief gebückt und so leise, als habe sie sich ihres stolzen Namens zu schämen.
Des Alten Augen flammten auf. Dann sagte er leise, aber bestimmt: »So verlaß meine Hütte, denn sie wird Dich verunreinigen.«
»Nicht, eh' Du mir vergeben hast, was ich ungern gethan.«
»Was Du ungern gethan,« wiederholte der Paraschit, »das glaub' ich! Die Hufe Deiner Pferde wurden unrein, als sie auf diesen weißen Busen traten! Sieh' her,« – und er nahm das Tuch von der Brust der Kranken und zeigte auf die schwere rothe Wunde. »Sieh' her; das ist die erste Rose, die Du meiner Enkelin auf die Brust gelegt hast, und die zweite da, da –«
Der Paraschit erhob seinen Arm, um die Blume durch die Thür seiner Hütte zu schleudern. Aber Pentaur hatte sich ihm genähert und hielt mit einem eisernen Griff die Hand des Alten fest.
»Halt!« rief er dabei mit bebender, aber um der Kranken willen gedämpfter Stimme. »Die dritte Rose, welche diese edle Hand Dir reichte, hat sie Dein gekränktes Herz und Dein blöder Sinn nicht wahrzunehmen vermocht? Und doch! Du müßtest sie kennen, und wär' es nur durch Dein Bedürfniß, durch Deine Sehnsucht nach ihr. Die holde Blume der reinen Menschlichkeit legte diese stolze Fürstin Deinem Kind auf's Herz und Dir zu Füßen. Nicht mit Gold, sondern mit Demuth kam sie zu Dir, und wem die Tochter des Ramses also naht, als wäre er ihresgleichen, der neige sein Haupt und wäre er der erste Fürst dieses Landes! Wahrlich, die Götter werden Bent-Anat solches Thun nicht vergessen; Du aber vergib, wenn anders Du willst, daß Dir die Schuld vergeben werde, die Du als Erbtheil Deiner Väter und durch Deine eigenen Sünden trägst!«
Der Paraschit neigte sein Haupt bei diesen Worten, und als er es wieder erhob, war der Zorn aus seinen fein geformten Zügen verschwunden. Er rieb sein Handgelenk, das Pentaur's eiserne Finger gequetscht hatten, und sagte mit einer Stimme, aus der die ganze Bitterkeit seiner Empfindungen wiedertönte;
»Deine Faust ist hart, Priester, und Deine Worte treffen wie Hammerschläge. Diese schöne Frau ist auch gut und liebreich und sie hat ihre Pferde, das weiß ich, nicht mit Fleiß über die Kleine getrieben, die mein Enkelkind ist und nicht meine Tochter. Wäre sie Dein Weib oder das des Arztes dort, oder das Kind der armen Frau da drüben, die ihr Leben fristet, indem sie die Federn und Füße des Geflügels sammelt, das man bei den Opfern schlachtet, ich würde ihr nicht nur verzeihen, sondern sie trösten, denn sie wäre mir ja ähnlich geworden; das Schicksal hätte sie ohne ihre Schuld zur Mörderin gemacht, wie es mir schon als Säugling den Stempel der Unreinheit aufdrückte. Ja, ich wollte sie trösten! Und ich bin ja auch wenig empfindlich! Heilige Dreiheit von Theben, wie sollt' ich es sein! Groß und Klein geht mir aus dem Weg, um nicht von mir berührt zu werden, täglich wirft man mich, wenn ich verrichtet habe, was meines Amtes ist, mit Steinen. 40 Die Erfüllung der Pflichten, welche Andere nährt, macht ihnen Freude und bringt ihnen Ehre zugleich, mir aber täglich neue Schmach und schmerzende Beulen. Aber ich grolle keinem Menschen und habe vergeben – vergeben – vergeben müssen, bis mir endlich Alles, was man mir anthat, natürlich schien und unvermeidlich und ich's hinnahm wie den Sonnenbrand im Sommer oder den Staub, den mir der Westwind in's Gesicht treibt. Es freute mich nicht, aber was konnt' ich dagegen thun? Allen verzieh ich . . « Die Stimme des Paraschiten war weich geworden und Bent-Anat, die mit Rührung auf ihn herniedersah, unterbrach ihn, indem sie mit Innigkeit rief:
»Und so verzeihe auch mir, Du armer Mann!«
Der Alte schaute geflissentlich nicht auf sie, sondern auf Pentaur hin, als er erwiederte: »Armer Mann! Ja wohl, armer Mann. Ihr habt mich aus der Welt gestoßen, in der ihr lebt. und so gestaltete ich mir in dieser Hütte meine Welt für mich. Ich gehöre nicht zu euch und wenn ich das vergesse, so verjagt ihr mich wie einen ungebetenen Gast, ja wie den Wolf, der in eure Hürden bricht; aber ihr gehört eben so wenig zu mir, nur muß ich's eben dulden, wenn ihr den Wolf spielen und mich überfallen wollt.«
»Als Bittende und mit dem Wunsch, euch wohlzuthun, betrat die Prinzessin Deine Hütte,« sagte Pentaur.
»Das,« rief der Alte, »sollen die strafenden Götter ihr zugute schreiben, wenn sie an ihr heimsuchen, was ihr Vater an mir verbrochen hat. Vielleicht bringt mich's in die Steinbrüche, aber gesagt muß es werden. Sieben Söhne waren mein und alle hat Ramses mir genommen und in den Tod geschickt; das Kind des Jüngsten, dieß Mädchen, den Sonnenschein meiner dunklen Hütte, mordet jetzt seine Tochter. – Drei von meinen Knaben ließ der König bei den Zwangsarbeiten unten am Tenat, 41 der den Nil mit dem Schilfmeere verbinden soll, verdursten, drei von den Aethiopiern erschlagen und den letzten, den Stern meines Auges, fressen jetzt wohl die Hyänen des Nordlands.«
Bei diesen Worten brach die Alte, in deren Schooß das Haupt der Kranken ruhte, in ein Klagegeschrei aus, in welches die anderen Weiber einstimmten.
Die Leidende fuhr erschrocken auf und öffnete die Augen.
»Um wen klagt ihr?« fragte sie leise.
»Um Deinen armen Vater,« sagte die Alte.
Da lächelte das Mädchen wie ein Kind, welches wahrnimmt, daß man ihm eine wohlwollende Täuschung bereitet, und sprach: »Mein Vater wäre noch nicht bei euch gewesen? Er ist aber hier in Theben und hat mich gesehen und geküßt, und gesagt, daß er Beute mitbringt und daß ihr es von nun an gut haben solltet. Den goldenen Ring, den er mir schenkte, band ich in mein Kleid, als der Wagen auf mich zubrauste. Ich zog noch an dem Knoten, da wurde es schwarz vor meinen Augen und ich sah und hörte nichts mehr. Mach' ihn nur auf, Großmutter, der Ring ist Dein. Ich wollte ihn Dir bringen. Du sollst ein Opferthier dafür kaufen und Wein für den Großvater und Augensalbe 42 für Dich und Mastixzweige, 43 die Du Dir schon lange nicht gönnen konntest.«
Der Paraschit sog diese Worte von dem Munde seiner Enkelin. Wieder erhob er betend seine Rechte, wieder bemerkte Pentaur, daß sich sein Blick mit dem seines Weibes verschmolz, und ein schwerer, warmer Tropfen rann aus seinen alten Augen auf seine schwielige Hand. Dann schrak er zusammen, denn er dachte, die Kranke sei von einem Traumgesichte getäuscht worden. Aber da war der Knoten in ihrem Röckchen.
Mit zitternder Hand öffnete er ihn und ein goldenes Ringlein rollte zu Boden.
Bent-Anat hob es auf, reichte es dem Paraschiten und sagte.
»In glücklicher Stunde kam ich zu Dir, denn Du hast einen Sohn zurückgewonnen und Deine Enkelin wird leben!«
»Sie wird leben,« wiederholte der Arzt, welcher ein stummer Zeuge des Geschehenen gewesen war.
»Sie wird uns bleiben,« murmelte der Paraschit und sagte, indem er sich aus seinen Knieen der Prinzessin näherte und sie flehend mit seinen feuchten Augen ansah:
»Vergib mir, wie ich Dir vergebe, und wenn ein frommer Wunsch nicht zum Fluche wird auf den Lippen eines Geächteten, so laß Dich segnen.«
»Ich danke Dir,« sagte Bent-Anat, gegen die der Alte die Hände segnend erhob.
Dann wandte sie sich an den Arzt, befahl ihm, die Kranke sorgsam zu pflegen, neigte sich über sie, küßte ihre Stirn, legte ihr goldenes Armband neben sie hin und winkte Pentaur, der mit ihr die Hütte verließ.
Sechstes Kapitel
Während der geschilderten Vorgänge waren der Wegeführer des Königs und die junge Gattin des Rosselenkers