Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.durchdrang: »Laß nun das Grollen. Es ist ja so schön, wenn man einander gut ist.«
Nach diesen Worten schritt sie der Paraschitenhütte entgegen, während Paaker beide Hände auf seine Brust preßte und vor sich hin murmelte. »Der Trank ist wirksam und sie soll mein eigen werden! Habt Dank, ihr Himmlischen!«
Doch dieses Gebet, welches er sonst, wenn Heil ihm widerfahren war, niemals zu sprechen unterließ, erstarb heut auf seinen Lippen. Er sah sich dicht vor dem Ziele seiner Wünsche! Da lag der jahrelang ersehnte Zauberborn vor seinen Blicken. Noch wenige Schritte und er konnte sich aus seinem vollen Strome sättigen, mit beidem zugleich, mit Liebe und Rache!
Während er der Gattin des Mena folgte und das Fläschchen in seinem Gürtel mit ängstlicher Sorgfalt verschloß, damit kein Tropfen des kostbaren Trankes, den er nach der Vorschrift der Alten noch einmal zu gebrauchen hatte, verloren gehe, erhoben sich warnende Stimmen, auf die er wie auf eine väterliche Mahnung zu hören gewohnt war, in seinem Busen; aber in dieser Stunde spottete er ihrer und gab der ihn beherrschenden Stimmung auch äußerlich Ausdruck, indem er seine rechte Hand hoch aufschwenkte wie ein Trunkener, der auf dem Wege zum Weinfaß einen Sittenprediger abweist. Noch hielt ihn die Leidenschaft so fest umstrickt, daß der Gedanke, die kurze Minute, in der aus einem braven Mann ein Verbrecher wird, sei von ihm durchlebt worden, kaum nebelhaft in seiner Seele aufdämmerte. Er ahnte nicht, daß er bei einem Wendepunkt seines Lebens angelangt sei. Seinem Verlangen nach Liebe und Rache hatte er bisher nur in Gedanken Befriedigung zu geben gewagt und der Gottheit für sich zu handeln überlassen; jetzt hatte er seine Sache den Himmlischen aus der Hand genommen und war zur That übergegangen, ohne sie und trotz ihrer.
Die Zauberin Hekt ging an ihm vorüber, um das Weib zu sehen, für welches sie ihm den Liebestrank gegeben hatte. Er bemerkte sie und erschrak; aber bald war die Alte hinter einem Felsen verschwunden und murmelte: »Sieh' Einer den Sechszeh! Er läßt es sich wohl sein im Erbe des Assa!«
Inmitten des Thales trafen Nefert und der Wegeführer mit der Prinzessin Bent-Anat und dem sie begleitenden Pentaur zusammen.
Als die beiden Letzteren aus der Paraschitenhütte traten, blieben sie einander schweigend gegenüber stehen.
Die königliche Jungfrau preßte ihre Rechte auf ihr Herz und sog mit tiefen Athemzügen wie eine Durstende die reine Luft des Gebirgsthales ein. Sie fühlte sich wie erlöst von einem schweren Alp, wie befreit aus einer furchtbaren Gefahr.
Endlich wandte sie sich an ihren ernst zu Boden schauenden Gefährten und sagte: »Welche Stunde!«
Pentaur's hohe Gestalt regte sich nicht, aber er neigte bejahend und wie von einem Traum befangen sein Haupt.
Bent-Anat sah ihn jetzt zum ersten Mal im vollen Tageslicht, ließ ihr großes Auge bewundernd auf ihm ruhen und fragte sodann:
»Bist Du der Priester, der mir gestern nach meinem ersten Besuche dieses Hauses die Reinheit so willig zurückgab?«
»Ich bin es,« erwiderte Pentaur.
»Ich habe Deine Stimme wiedererkannt und bin Dir dankbar, denn Du warst es, der mir den Muth stärkte, trotz des Verbotes meines Seelsorgers dem Drange meines Herzens zu folgen und hieher zu kommen. Du sollst mich vertheidigen, wenn die Anderen mich tadeln werden.«
»Ich kam hieher, um Dir die Reinheit abzusprechen.«
»So hast Du Deinen Sinn geändert?« fragte Bent-Anat stolz und ein verächtliches Zucken umspielte ihre Lippen.
»Ich folge einem höhern Gebote, das die alte Satzung heilig zu halten befiehlt. Wenn die Berührung eines Paraschiten, so sagt man, die Tochter des Ramses nicht verunreinigt, wen dann? Denn wessen Gewand ist fleckenloser als das ihre?«
»Aber dieser Mann ist brav bei all' seiner Niedrigkeit,« unterbrach ihn Bent-Anat, »und trotz der Schmach, die sein Lebensbrod ist wie die Ehre das unsere! Die neun großen Götter mögen mir verzeihen, aber der da drinnen ist liebreich, fromm und muthig und mir gefällt er –, und Du, der Du gestern seine ansteckende Berührung mit einem Wort abwaschen zu können meintest, was veranlaßt Dich, ihn heute zu den Aussätzigen zu werfen?«
»Die Mahnung eines erleuchteten Mannes, von den alten Satzungen kein Glied preiszugeben, weil dadurch die schon angefeilte Kette zerreißen und klirrend zu Boden fallen könnte.«
»So verhängst Du die Unreinheit über mich um eines alten Wahnes und um der Menge, aber nicht um meiner Handlung willen? Du schweigst? Antworte mir jetzt, wenn Du Der bist, für den ich Dich halte, frei und wahrhaftig, denn es gilt die Ruhe meiner Seele.«
Pentaur athmete schwer, dann aber entrangen sich seiner von Zweifeln gequälten Brust erst leise, dann immer lauter die tief empfundenen Worte. »Du zwingst mich auszusprechen. was ich besser nicht einmal denken sollte; aber lieber will ich mich gegen den Gehorsam, als gegen die Wahrheit, die reine Tochter der Sonne, deren Angesicht Du, Bent-Anat, trägst, versündigen! Ob der Paraschit unrein ist durch seine Geburt oder nicht, wer bin ich, daß ich solches entscheiden möchte? Aber mir ist dieser Mann erschienen wie Dir, als Einer, den dieselben heiligen und lauteren Regungen bewegen, die mich und die Meinen und Dich und wohl Jeden, den eine Mutter geboren, erschüttern und beseligen, und ich glaube, daß die Eindrücke dieser Stunde nicht befleckend, sondern läuternd so Deine wie meine Seele berührt haben. Wenn ich irre, so mag mir die vielnamige Gottheit verzeihen, deren Hauch in dem Paraschiten lebt und webt, wie in Dir und mir, an die ich glaube und an die ich immer lauter und freudiger meine armen Lieder richten will, wenn sie mich lehren wird, daß Alles, was athmet und lebt, was weint und jubelt, ein Abbild sei ihres reinen Wesens und zu gleicher Lust und zu gleichem Schmerz geboren sei.«
Pentaur hatte seinen Blick zum Himmel erhoben; jetzt begegnete er dem stolz und freudig leuchtenden Auge der Prinzessin, die ihm freimüthig ihre Rechte entgegen streckte. Er küßte demüthig ihr Gewand; sie aber sagte: »Nicht so! Lege segnend Deine Hand auf die meine! Du bist ein Mann und ein echter Priester. Jetzt laß ich gern die Unreinheit über mich verhängen, denn auch mein Vater wünscht, daß gerade von uns um des Volkes willen die Satzungen der Vorzeit, so lange sie Bestand haben, heilig gehalten werden. Beten wir gemeinsam zu den Göttern, daß sie diese Armen von dem alten Bann erlösen. Wie schön könnte die Welt sein, wenn der Mensch den Menschen bleiben ließe, wozu die Himmlischen ihn gemacht haben! Aber da warten noch immer Paaker und die arme Nefert mitten im Brande der Sonne. Folge mir!«
Sie ging dem Priester voran; aber schon nach wenigen Schritten wandte sie sich um und fragte:
»Wie nennst Du Dich?«
»Ich heiße Pentaur.«
»So bist Du der Dichter des Setihauses?«
»Sie heißen mich also.«
Bent-Anat blieb noch einmal stehen und schaute ihn groß an, wie einen Blutsfreund, den wir zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht sehen, und sagte:
»Dich haben die Götter hoch begabt, denn Dein Blick reicht weiter und dringt tiefer als der der anderen Menschen, und Du verstehst mit Worten zu sagen, was wir nur empfinden. Dir folge ich gern!«
Pentaur erröthete wie ein Knabe und sagte, während Paaker und Nefert ihm und seiner Gefährtin immer näher kamen: »Bis heut lag das Leben vor mir wie im Dämmerlicht, aber diese Stunde zeigt es mir anders. Ich habe seine tiefen Schatten gesehen und,« fügte er leise hinzu, »wie hell es zu leuchten vermag.«
Siebentes Kapitel
Eine Stunde später hielt Bent-Anat mit ihrem Gefolge vor der Pforte des Setihauses.
Wie ein von Männerhand geschleuderter Ball war einer der Vorläufer in weiten Sprüngen dem Zuge vorangeeilt und hatte dem Oberpriester das Nahen der Prinzessin gemeldet.
Diese stand allein auf ihrem ihren Begleitern voranfahrenden Wagen; Pentaur hatte auf dem des Wegeführers Platz gefunden.
An der Pforte des Tempels empfing