Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


Скачать книгу
was sie berührten, wie konnten dann diese so lauteren, so zarten, so heiligen Triebe auch in ihnen ihre Reinheit und Schönheit bewahren?

      »Aber,« so fuhr er zu denken fort, »die Himmlischen legen ja auch in die Brust der Löwin und des typhonischen Nilpferds die Mutterliebe!«

      Bedauerlich schaute er auf die Paraschitenfrau.

      Da sah er, wie sich ihr dunkles Gesicht von der Kranken abwandte. Sie hatte deren Athem vernommen und ein glückseliges Lächeln verklärte ihre gealterten Züge und sie nickte erst dem Arzt und dann mit einem tiefen Athemzug ihrem Manne zu, und dieser Letztere ließ seine linke Hand an der Sohle der Kranken nicht ruhen, die rechte hob er aber betend in die Höhe und sein Weib that das Gleiche.

      Es war Pentaur, als schaue er die Seelen der Beiden in heiliger Gemeinschaft über dem jungen Wesen schweben, das ihre Hände verband, und wiederum dachte er an sein elterliches Haus und die Stunde, in der ihm sein süßes, einziges Schwesterchen gestorben war. Da hatte seine Mutter sich weinend über das bleiche Kind geworfen, der Vater aber hatte mit dem Fuße gestampft, den Kopf schluchzend zurückgeworfen und sich mit der Faust die Stirn geschlagen.

      »Wie fromm ergeben und dankbar diese Unreinen sind!« dachte Pentaur und Unwillen gegen die alte Satzung begann in seinem Herzen Wurzel zu fassen. »Mutterliebe ist auch der Hyäne eigen, aber Gott suchen und finden, kann nur der edlen Zwecken zugewandte Mensch. Bis zu den Grenzen der Unendlichkeit, und die Gottheit ist ewig, – bleibt es den Thieren zu denken versagt; ja sie können nicht einmal lächeln. Das vermögen die Menschen auch nicht in den ersten Tagen, denn dann wohnt ihnen nur die Lebenskraft, die Thierseele inne, bald aber wird ein Theil der Weltseele, der leuchtenden Intelligenz in ihnen wirksam und kommt zum ersten Male zur Erscheinung im Lächeln des Kindes, das nicht weniger rein ist, als das Licht und die Wahrheit, von denen es herstammt. Das Paraschitenkind lächelt wohl auch wie jedes andere, von einem Weibe geborene Wesen, aber wie wenige alternde Menschen gibt es selbst unter den »Eingeweihten«, die noch so rein und verklärt zu lächeln vermögen, wie diese in lauter Bitternissen gealterte Frau!«

      Ein tiefes Mitgefühl begann sein Herz zu erfüllen und er kniete zur Seite des armen Kindes nieder, erhob seine Arme und betete inbrünstig zu dem Einen, der den Himmel geschaffen hat und die Welt regiert, dem Einen, den das Mysterium ihm zu nennen verbot, und nicht zu den zahllosen Göttern, die das Volk verehrte, und die ihm nichts waren als vermenschlichte und so dem Verständniß der Laien näher gerückte Eigenschaften des einen und einzigen Gottes der Eingeweihten, zu denen auch er gehörte.

      In leidenschaftlicher Erregung wandte er die Seele zu Gott; aber er bat nicht für das Paraschitenkind und seine Genesung, sondern für das ganze geächtete Geschlecht und seine Erlösung aus dem alten Bann, um Erleuchtung für seine von Zweifeln befangene Seele und um die Kraft, seine schwierige Aufgabe mit Einsicht zu lösen.

      Die Blicke der Kranken folgten ihm, als er wieder seinen alten Platz einnahm.

      Das Gebet hatte ihn erfrischt und ihm die Freudigkeit seines Geistes zurückgegeben. Er begann zu erwägen, welches Verhalten er der Prinzessin gegenüber zu beobachten haben werde.

      Bent-Anat war ihm gestern nicht zum ersten Male begegnet; vielmehr hatte er sie häufig bei feierlichen Aufzügen und hohen Festen in der Nekropole gesehen und, wie all' seine jungen Standesgenossen, ihre stolze Schönheit bewundert, bewundert wie den unnahbaren Glanz der Sterne oder das Abendglühen am fernen Horizonte.

      Jetzt sollte er sich dieser Frau mit strafender Rede nahen.

      Er stellte sich den Augenblick vor, in dem er ihr entgegentreten werde, und konnte sich dabei nicht enthalten, an seinen kleinen Lehrmeister Chufu zu denken, den er schon als Knabe um zweier Häupter Länge überragt hatte, wenn er ihm von »unten her« seine Zurechtweisungen zurief. Zwar war er groß und schlank, aber es war ihm doch, als sollte ihm heute Bent-Anat gegenüber die Rolle des vielbelachten Männchens zufallen.

      Sein für das Komische empfindlicher Sinn fühlte sich angeregt und verlangte sein Recht nach so ernsten Stunden und in so trauriger Umgebung. Das Leben ist reich an Gegensätzen und eine empfängliche und volle Menschennatur würde wie eine Brücke unter dem gleichmäßigen Taktschritte der Soldaten zusammenbrechen, wenn es ihr gestattet wäre, die Wucht der schwersten Gedanken und mächtigsten Gefühle in ungestörter Gleichmäßigkeit auf sich wirken zu lassen. Aber wie jeder Grundton in der Musik seine Nebentöne besitzt, so schwingen, wenn wir eine Saite unseres Herzens zum langen Ausklingen veranlassen, allerlei fremde Klänge mit und oft solche, die wir am wenigsten erwarten möchten.

      Pentaur's Augen überflogen den einzigen dumpfen, mit Menschen überfüllten Raum der Paraschitenhütte und wie ein Blitz durchflog der Gedanke: »Wie wird die Prinzessin mit ihrem Gefolge hier Platz finden?« sein Gehirn.

      Seine Phantasie ward lebendig und zeigte ihm mit heiterer Geschäftigkeit, wie die Pharaonentochter mit einer Krone auf dem stolzen Haupt in dieß stille Gemach hineinrauschen, wie ihre Höflinge ihr schwatzend folgen und die Frauen von den Wänden, die Aerzte von der Seite der Kranken, die glatte weiße Katze von der Truhe, auf der sie saß, drängen würden. Es mußte ein ungeheures Durcheinander geben! Dabei stellte er sich vor, wie die geputzten Herren und Frauen sich ängstlich von dem »Unreinen« fern halten, die zarten Hände vor Mund und Nase pressen und dem Alten zuraunen würden, wie er sich gegen das ihn beglückende Königskind zu benehmen habe. Die Greisin mußte das in ihrem Schooße ruhende Haupt, der Paraschit die Füße, die er so sorgfältig gerieben hatte, zu Boden fallen lassen, aufstehen und den Staub vor Bent-Anat küssen. Dabei, – das Alles zeigte sich dem innern Auge des jungen Priesters –, stießen sich die Höflinge, die vor ihm flohen und sich in eine Ecke zusammendrängten, und endlich warf die Prinzessin dem Vater, der Mutter und vielleicht auch dem Mädchen einige silberne oder goldene Ringe in den Schooß, und es war ihm, als hörte er die Höflinge drinnen rufen: »Heil der Gnade der Tochter der Sonne!« als vernehme er das Jubelgeschrei der aus der Hütte gedrängten Weiber, als sähe er den glänzenden Spuk die Wohnung des Geächteten verlassen und dann statt der immer hörbarer athmenden, lieblichen Kranken eine stille Leiche auf der verschobenen Matte liegen und an Stelle der beiden Pfleger zu ihren Füßen und bei ihrem Haupte zwei jammererfüllte, lautklagende Unglückliche.

      Pentaur's feurige Seele erfüllte sich mit Zorn. Sobald sich der lärmende Zug in Wirklichkeit nahen würde, wollte er sich vor die Thür der Hütte stellen, der Prinzessin den Eingang verwehren und sie mit strengen Worten empfangen.

      Menschenliebe konnte sie schwerlich hieher führen!

      »Man braucht eine Abwechslung,« sagte er sich, »etwas Neues bei Hofe, denn es geht da wenig vor, wenn der König bei den Truppen im fernen Auslande weilt, es kitzelt die Eitelkeit der Großen, sich einmal neben den Kleinsten zu stellen, und man läßt die Leute gern von seiner Herzensgüte reden. Da kommt so ein kleiner Unfall gelegen, es lohnt nicht die Mühe, zu erwägen, ob die Form unserer Gnade so armselige Leute beglücken oder beschädigen wird.«

      Er biß die Zähne ingrimmig zusammen und dachte nicht mehr an die Verunreinigung, die Bent-Anat von Seiten des Paraschiten drohe, sondern ausschließlich an die Entweihung, welche von ihrer Seite den heiligen, in diesem stillen Raume lebendigen Gefühlen bevorstand.

      Schwärmerisch erregt wie er war, konnte es seinen beredten Lippen nicht an ergreifenden Worten fehlen.

      Wie ein Geist des Lichts, der die Waffe erhebt, um einen Dämon der Finsterniß zu vernichten, stand er hoch aufgerichtet und tief athmend da und lauschte in das Thal hinaus, um den Ruf der Läufer und das Gerassel der Räder des Prunkzuges, den er erwartete, bei Zeiten zu vernehmen.

      Da sah er, wie sich die Thüröffnung verdunkelte und eine tief gebückte Gestalt mit über der Brust gekreuzten Armen das Zimmer betrat, um sich schweigend neben der Kranken niederzulassen. Die Aerzte und die Alten regten sich und wollten sich erheben; sie aber winkte ihnen, ohne die Lippen zu öffnen, mit ausdrucksvollen, feuchten Blicken, an ihrem Platz zu verbleiben, schaute der Kranken lang und liebreich in's Gesicht, streichelte ihren weißen Arm und wandte sich an die Alte, um ihr leise zuzuflüstern: »Wie schön sie ist!«

      Die Paraschitenfrau nickte zustimmend und das Mädchen lächelte und bewegte die


Скачать книгу