Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.gestatteten den Einblick in den Vorhof des Heiligthums, welches mit glatten Steinfliesen gepflastert und an seiner linken, rechten und hintern Seite von Säulengängen umgeben war.
Die Wände und Architrave, die Säulen und das den Hof nach oben hin abschließende Hohlkehlenkarnieß prangten in buntem Bilder- und Farbenschmuck. In der Mitte des Hofes stand ein großer Opferaltar, auf dem wohlriechende, den weiten Raum mit betäubendem Duft erfüllende Kyphikugeln 53 auf Cedernholzscheiten von den Flammen verzehrt wurden.
Mehr als hundert weiß gekleidete Priester, die ihr Angesicht der nahenden Prinzessin zuwandten und tief in's Herz schneidende Wehklagen sangen, umgaben ihn in halbkreisförmiger Aufstellung.
Viele Bewohner der Nekropole hatten sich zu beiden Seiten der Sphinxreihen, zwischen denen die Prinzessin dem Heiligthum entgegenfuhr, gesammelt.
Man fragte nicht, was die bei dieser Gelegenheit gesungenen Klagelieder bedeuteten, denn Wehklagen und Unerklärliches war hier das Gewöhnliche.
»Heil dem Kinde des Ramses!« »Anbetung der Sonnentochter Bent-Anat!« erscholl es aus tausend Kehlen und all' die zusammengelaufenen Menschen neigten sich beim Nahen der königlichen Jungfrau bis zur Nähe des Erdbodens.
Vor den Pylonen entstieg die Prinzessin ihrem Wagen und folgte dem sie ernst und schweigend begrüßenden ersten der Horoskopen bis an die Tempelpforte.
Als sie sich den Vorhof zu betreten anschickte, schwoll der priesterliche Gesang plötzlich und unvermittelt zu furchtbarer, donnerähnlicher Stärke an. Von dem Grollen der Bässe getragen, jammerten in leidenschaftlicher Klage die hellen Sopranstimmen der Tempelschüler.
Bent-Anat erschrak und hemmte ihren Fuß. Dann schritt sie weiter.
Aber hinter der Schwelle der Pforte trat Ameni in vollem Priesterornat ihr in den Weg, streckte ihr seinen Krummstab wie zur Abwehr entgegen und rief laut und eifrig:
»Segen bedeutet diesem Heiligthum das Nahen der reinen Tochter des Ramses; aber diese Herberge der Götter verschließt ihre Pforten den Verunreinigten; mögen sie Sklaven sein oder Fürsten. Im Namen der Himmlischen, denen Du entstammst, frage ich Dich, Bent-Anat, bist Du rein oder hast Du Dich befleckt und Deine fürstliche Hand durch die Berührung der Unreinen besudelt?«
Der Priester hatte sich der hohen Gestalt der Prinzessin dicht gegenübergestellt.
Helle Röthe bedeckte die Wangen der Jungfrau, vor ihren Ohren brauste es, als brande ein stürmisches Meer in ihrer Nähe, und ihr Busen hob und senkte sich in leidenschaftlicher Bewegung. Das königliche Blut in ihren Adern wallte unbändig auf, sie fühlte, daß man ihr hier eine unwürdige Rolle in einem mit Vorbedacht veranstalteten Schauspiele zuertheilt habe, ihr Vorsatz, sich selbst der Unreinheit zu zeihen, war vergessen und schon öffneten sich ihre Lippen zu einer heftigen Zurückweisung der sie tief empörenden priesterlichen Anmaßung, als Ameni sein Auge aufschlug und es mit der ganzen Fülle des ihm innewohnenden Ernstes ihr zuwandte.
Bent-Anat schwieg, aber sie hielt diesen Blick aus und erwiederte ihn stolz und abweisend.
Ameni's Stirnader färbte sich bläulich, doch drängte er den sich in seinem Innern wie schwarze Gewitterwolken zusammenballenden Groll zurück und sagte mit einer immerhin von ihrer gewöhnlichen Gemessenheit abweichenden Stimme:
»Zum zweiten Male fragen Dich die Götter durch mich, ihren Vertreter. Hast Du diese heilige Stätte betreten, damit die Himmlischen die Unreinheit von Dir nehmen, die Dir Leib und Seele befleckt?«
Bent-Anat erwiederte kurz und selbstbewußt: »Mein Vater wird Dir die Antwort ertheilen!«
»Nicht mir,« gab Ameni zurück, »sondern den Göttern, in deren Namen ich Dir jetzt befehle, dieses reine Heiligthum zu verlassen, das durch Deine Gegenwart befleckt wird.«
Bent-Anat zuckte zusammen und sagte dumpf: »Ich gehe.«
Dann hob sie den Fuß, um der Pforte des Pylon zuzuschreiten. Da begegnete ihr Blick dem Auge des Dichters.
Wie ein Begnadigter, vor dessen Blick sich große Wunder begeben, hatte er unruhevoll und doch entzückt, geängstigt und doch innerlich erhoben der königlichen Jungfrau gegenübergestanden. Ihr Thun erschien ihm himmelstürmerisch kühn und doch angemessen ihrem wahren und großen Wesen. Neben ihr sank ihm sein verehrtes und bewundertes Vorbild Ameni in die Unbedeutendheit zurück; und als sie sich anschickte, den Tempel zu verlassen, versagte ihm seine Hand, die sich sie zurückzuhalten anschickte, den Dienst und suchte, als Bent-Anat's Blick der seinen begegnete, die Stelle seines übervollen Herzens.
Dem Oberpriester konnte es nicht schwer fallen, in den Zügen dieser unverdorbenen Beiden wie in einem offenen Buche zu lesen; er fühlte, daß ein schnell geschürztes Band ihre Seelen verknüpfe, und der Blick, welchen er sie wechseln sah, erschreckte ihn, denn die Widerspenstige hatte den Dichter angeschaut wie eine Triumphirende, welche Beifall fordert, und Pentaur's Auge war diesem Verlangen entgegengekommen.
Einen Augenblick zauderte Ameni, dann rief er: »Bent-Anat!«
Die Prinzessin wandte sich um und blickte den Priester ernst und fragend an.
Ameni trat ihr einen Schritt entgegen und blieb zwischen ihr und dem Dichter stehen.
»Du forderst,« sagte er ernst, »die Götter zum Kampfe heraus. Das ist kühn; aber es will mir scheinen, als sei Dir der Muth gewachsen, weil Du auf einen Bundesgenossen zählst, der den Himmlischen kaum ferner steht als ich. So laß Dir sagen: Dir, dem irregeleiteten Kinde, mag viel vergeben werden; ein Diener der Gottheit aber,« und bei diesen Worten warf er einen drohenden Blick auf Pentaur, »ein Priester, der im Kampfe der Willkür gegen das Gesetz zum Ueberläufer wird, der seiner Pflicht und seines Eides vergißt, der wird Dir nicht lange helfend zur Seite stehen, denn der ist – und hätte ihn jede Gottheit mit ihren reichsten Gaben gesegnet, – der ist verdammt. Wir stoßen ihn aus unserer Mitte, wir verfluchen ihn, wir . . .«
Bent-Anat schaute bei diesen Worten bald auf den vor Erregung bebenden Ameni, bald auf den ihr gegenüberstehenden Pentaur. Röthe und Blässe wechselten auf ihrem Angesichte, wie Licht und Schatten auf dem Boden eines zur Mittagszeit vom Sturme bewegten Palmenwaldes.
Der Dichter trat ihr einen Schritt entgegen.
Sie fühlte, daß er reden, das Geschehene vertheidigen und sich verderben werde.
Da erfaßte ein tiefes Mitgefühl, eine namenlose Angst ihre Seele und ehe Pentaur seine Lippen zu öffnen vermochte, sank sie langsam vor Ameni nieder und sagte leise:
»Ich habe gesündigt und mich befleckt, Du sagst es, wie Pentaur es sagte vor der Hütte des Paraschiten. Gib mir die Reinheit wieder, Ameni, denn ich bin unrein.«
Wie eine Flamme, die eine Menschenhand erdrückt, erlosch die Glut in des Oberpriesters Augen. Freundlich, fast liebevoll, schaute er zu der Prinzessin hernieder, segnete sie, führte sie vor das Allerheiligste, ließ sie dort von Weihrauchwolken umwehen, mit den neun heiligsten Salbölen begießen und gebot ihr, in das Königsschloß zurückzukehren.
Noch, sagte er, sei ihre Schuld nicht gesühnt; bald aber werde sie erfahren, durch welche Gebete und Uebungen sie die volle Reinheit vor den Göttern, die er im Sanktuarium zu befragen gedenke, zurück erlangen könne.
Während der erwähnten Ceremonien fuhren die im Vorhofe des Tempels aufgestellten Priesterchöre in ihren Lamentationen fort.
Das vor dem Tempel stehende Volk lauschte auf die priesterlichen Lieder und unterbrach sie von Zeit zu Zeit mit gellendem Jammergeschrei, denn schon hatte sich eine dunkle Kunde von dem Geschehenen unter der Menge verbreitet.
Die Sonne begann sich zu neigen, bald mußten die Besucher der Todtenstadt die Nekropole verlassen und noch immer wollte sich Bent-Anat, deren Erscheinen das Volk mit Ungeduld erwartete, nicht zeigen. Einer erzählte dem Andern, die Tochter des Königs sei verflucht worden, weil sie der erkrankten, weißen und schönen Uarda, die Vielen bekannt war, Heilmittel gebracht habe.
Unter den zusammengeströmten Neugierigen befanden sich viele in der Nekropole wohnende Balsamirer, Bauarbeiter und geringe Leute. Der