Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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jeder Minute. Man schalt auf den Stolz der Priester und die unsinnige, unwürdige Satzung. Ein trunkener Soldat, der bald wieder in die Schenke, welche er kaum verlassen, zurücktaumelte, machte sich als Rädelsführer breit und war der Erste, der einen schweren Stein aufhob, um ihn gegen die mit Erz beschlagene große Tempelpforte zu schleudern. Einige Knaben folgten schreiend seinem Beispiel, auch gesetztere Männer, fortgerissen von dem Geheul fanatisirter Weiber, ließen sich zu Steinwürfen und Schmähworten verleiten.

      Im Setihause tönten die priesterlichen Sänge ununterbrochen fort; endlich aber, als das Lärmen der Menge lauter wurde, öffnete sich seine Hauptpforte und feierlichen Schrittes trat Ameni in vollem Ornate, gefolgt von zwanzig Pastophoren, welche Götterbilder und heilige Symbole auf den Schultern trugen, mitten in die Menge hinein.

      Alles schwieg.

      »Warum stört ihr unsere Gebete?« fragte er laut und gelassen.

      Ein wirres Durcheinanderrufen, in dem nur der häufig wiederholte Name Bent-Anat's zu erkennen war, antwortete ihm.

      Ameni bewahrte seine unerschütterliche Ruhe und seinen Krummstab hoch hebend rief er:

      »Macht Platz für die Tochter des Ramses, die bei den Göttern, welche die Schuld des Höchsten schauen, wie die des Geringsten unter euch, Reinheit suchte und Reinheit fand. Sie lohnen den Frommen, aber sie strafen den Frevler. Kniet nieder und laßt uns beten, daß sie euch verzeihen und euch und eure Kinder segnen.«

      Ameni ließ sich von einem Pastophoren das heilige Sistrum 54 reichen und hob es hoch empor, die Priester hinter ihm stimmten einen feierlichen Hymnus an und die Menge sank auf die Kniee und regte sich nicht, bis der Gesang verstummte und der Oberpriester von Neuem ausrief: »Die Himmlischen segnen euch, durch mich, ihren Knecht. Verlaßt diese Stätte und macht Platz der Tochter des Ramses.«

      Nach diesen Worten zog er sich in den Tempel zurück und die Scharwache säuberte, ohne auf Widerstand zu stoßen, die zum Nil führende, von Sphinxen eingefaßte Straße.

      Als Bent-Anat ihren Wagen bestieg, sagte Ameni: »Du bist ein Königskind. Das Haus Deines Vaters steht auf den Schultern des Volkes. Lockre die alten Satzungen, die es in Banden halten, und die Menge wird sich bewegen, wie diese Unsinnigen.«

      Ameni zog sich zurück. Bent-Anat ordnete langsam die Zügel in ihrer Hand. Dabei ruhte ihr Auge in dem des Dichters, welcher, an einen der Thorpfeiler gelehnt, wie ein Verklärter zu ihr aufschaute.

      Sie ließ ihre Geißel zur Erde fallen, damit er sie aufheben und sie ihr zurückgeben möge; aber er gewahrte es nicht. Ein Läufer sprang herzu und überreichte sie der Prinzessin, deren Rosse sich hoben und wiehernd anzogen.

      Pentaur blieb wie gebannt an dem Pfeiler stehen, bis das Rasseln der auf den Steinfliesen der Sphinxstraße dahinrollenden Räder ihres Wagens allmälig verklang und der Wiederschein des glühenden Abendrothes die östlichen Berge mit sanften Rosenfarben bemalte.

      Der weithin tönende Klang einer geschlagenen Erzscheibe weckte den Dichter aus seiner Verzückung. Er legte die Linke auf die Stelle seines Herzens und preßte seine Stirn mit der Rechten, als wolle er mit ihr seine in die Irre gehenden Gedanken zusammenfassen.

      Das Tamtam rief ihn zur Pflicht, zu den Vorlesungen über die Redekunst, welche er in dieser Stunde den jüngeren Priestern zu halten hatte.

      Schweigend ging er dem offenen Hofe, in welchem seine Schüler auf ihn warteten, gewohnheitsmäßig entgegen; aber anstatt wie sonst auf diesem Wege den zu behandelnden Stoff zu durchdenken, beschäftigte sich sein Geist und Herz mit den Erlebnissen der letzten Stunden.

      Ein ihn beseligendes Bild beherrschte seine Vorstellungswelt, und dieß war das der schönsten Frau, die strahlend in königlicher Hoheit und bebend vor Stolz sich in den Staub geworfen hatte um seinetwillen.

      Es war ihm, als hätte ihre That seinem ganzen Wesen einen neuen fürstlichen Werth verliehen und ihr Blick ihn durchleuchtet, als athme er leichtere Lüfte und als habe sein schreitender Fuß Flügel gewonnen.

      In solcher Stimmung trat er vor seine Zuhörer.

      Als er all' den bekannten Gesichtern gegenüberstand. besann er sich auf das, was ihm oblag. Sein Lieblingsschüler, der junge Anana, überreichte ihm das Buch, an welches er vor vierundzwanzig Stunden anzuknüpfen versprochen hatte.

      Pentaur lehnte sich an die Wand des Hofes, er öffnete die Papyrusrolle, schaute auf die sie bedeckenden Schriftzeichen und fühlte, daß er nicht im Stande sei, zu lesen.

      Gewaltsam raffte er sich zusammen, schaute aufwärts und versuchte den Faden wieder zu finden, den er am Ende der gestrigen Stunde abgeschnitten und in der heutigen wieder aufzunehmen gedacht hatte; aber es war ihm, als läge zwischen gestern und heut ein weites Meer, dessen brausender Wogenschlag sein Gedächtniß und sein Denkvermögen übertäube.

      Seine Schüler, die auf einer Strohmatte mit gekreuzten Beinen ihm gegenüber am Boden hockten, schauten erstaunt auf den schweigenden, sonst so redegewandten Lehrer und sahen einander fragend an.

      Ein junger Priester flüsterte seinem Nachbar zu: »Er betet,« und Anana beobachtete mit stiller Besorgnis die starken Hände seines Meisters, die sich so fest um die Schriftrolle schlossen, daß das zarte Material, aus dem sie bestand, zu zerbröckeln drohte.

      Endlich senkte Pentaur den Blick. Er hatte sein Thema gefunden. Während er aufwärts schaute, war sein Auge dem an die ihm gegenüberliegende Wand gemalten Namen des Königs und dem ihn begleitenden Titel »der gute Gott« begegnet. Anknüpfend an diese Worte stellte er nun an seine Zuhörer die Frage: »Wie erkennen wir die Güte der Gottheit?«

      Er forderte einen Priester nach dem andern auf, dieß Thema, als stände er vor seiner künftigen Gemeinde, zu behandeln.

      Mehrere Schüler erhoben sich und redeten mit größerer oder geringerer Wahrheit und Wärme. Endlich kam die Reihe an Anana, der in wohlgesetzten Worten die zweckvolle Schönheit der beseelten und unbeseelten Schöpfung feierte, in der die Güte des Amon, 55 des Ra 56 und Ptah, 57 sowie der anderen Götter in die Erscheinung trete.

      Pentaur hörte dem Jünglinge mit gekreuzten Armen zu, bald fragend dreinschauend, bald Beifall nickend. Dann knüpfte er an seinen zu Ende geführten Vortrag an und begann selbst zu sprechen.

      Wie gehorsame Jagdfalken auf den Ruf ihres Zähmers, so schossen die Gedanken zu ihm hernieder und die in seiner Brust erwachte göttliche Leidenschaft durchleuchtete und durchglühte seine sich in immer freieren und gewaltigeren Flügelschlägen erhebende, begeisterte Rede. In Rührung hinschmelzend, aufjauchzend in Entzücken pries er die Herrlichkeit der Natur und wie ein demantheller, klarer Strom flossen die Worte von seinen Lippen, als er die ewige Ordnung der Dinge und die unerfaßliche Weisheit und Sorgfalt des Weltenschöpfers, des Einen pries, der einzig sei und groß und sonder Gleichen.

      »So unvergleichlich,« schloß er, »ist die Heimat, die Gott uns gegeben. Alles was er, der Eine, erschaffen, ist durchdrungen von seinem eigenen Wesen und legt Zeugniß ab von seiner Güte. Wer ihn zu finden weiß, der schaut ihn überall, der ist in jeder Sekunde ein Genosse seiner Herrlichkeit. So suchet ihn, und habt ihr ihn gefunden, dann fallet nieder und singet Lob. Aber preiset den Höchsten nicht nur zum Dank für die Herrlichkeit dessen, was er geschaffen, sondern auch dafür, daß er uns mit der Fähigkeit des Entzückens über sein Werk begabte. Ersteigt die Spitzen der Berge und schaut in das weite Land, fallet nieder, wenn das Abendroth wie Rubinen und das Morgenroth wie Rosen erglüht, tretet hinaus in die Nacht und seht die Sterne, wie sie in ewigen, fehlerlosen, unermeßlichen und unendlichen Kreisen die Himmelsbläue auf silbernen Barken durchfahren, stellt euch an die Wiege des Kindes und neben die Knospe der Blume und seht, wie die Mutter sich über dieses neigt und blanker Morgenthau auf jene fällt. Aber wollt ihr wissen, wohin sich der Strom der göttlichen Güte am vollsten ergießt, wo die Huld des Schöpfers die reichsten Gaben niederlegt und wo seine heiligsten Altäre prangen? Das ist in eurem eigenen Herzen, dafern es rein ist und von Liebe erfüllt. In solchem Herzen spiegelt sich die Natur wie in jenen Zauberspiegeln, auf deren Fläche das Schöne dreifach schön erscheint. Da reicht das Auge über Strom und Fruchtland und Berge


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