Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.nicht schweigend, sondern mit den gewaltigen Klängen unendlich reiner Harmonieen den Himmel, da lächelt das Kind als junger Gott und die Knospe entfaltet sich zur Wunderblume, da endlich erweitert sich der Dank und vertieft sich die Andacht und wir werfen uns einem Gott in die Arme, der, wie stell' ich seine Herrlichkeit dar, – der ein Gott ist, zu dem die erhabene Neunzahl der großen Götter wie elende Bettler hülfebedürftig betet!«
Das Tamtam, welches den Schluß der Stunde anzeigte, unterbrach ihn.
Pentaur schwieg tief aufathmend und minutenlang regte sich keiner seiner Schüler.
Endlich legte der Dichter die Papyrusrolle aus seiner Hand, wischte den Schweiß von seiner glühenden Stirn und näherte sich langsam der in den heiligen Hain des Tempels führenden Thüre des Hofes. Schon hatte er die Schwelle betreten, als er fühlte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.
Er schaute sich um.
Hinter ihm stand Ameni und sagte kühl:
»Du hast Deine Hörer entzückt, mein Freund. Schade nur, daß Dir die Harfe fehlte.«
Wie Eis, das wir auf die Brust eines Fiebernden legen, berührten Ameni's Worte die erregte Seele des Dichters.
Er kannte diesen Ton in seines Meisters Stimme, denn so pflegte er schlechte Schüler und sündige Priester mit Worten zu strafen; ihn selbst aber hatte er noch niemals also angeredet.
»Freilich,« fuhr der Oberpriester mit bitterer Kälte fort, »will es scheinen, als habest Du im Rausche vergessen, was dem Lehrer im Schulhofe zu reden geziemt. Vor wenigen Wochen hast Du in meine Hände geschworen, das Mysterium zu hüten, und heute hältst Du das Geheimniß von dem unnennbaren Einen, den heiligstem Besitz der Geweihten, wie eine billige Waare auf offenem Markte feil!«
»Du schneidest mit Messern,« sagte Pentaur.
»Möchten sie scharf sein,« rief der Oberpriester, »und die unreifen Flecke und das Wucherkraut in Deiner Seele vertilgen.. Du bist jung, zu jung; aber nicht wie der zarte Fruchtbaum, der sich gerade ziehen und veredeln läßt, sondern wie das grüne Obst am Boden, das den Kindern, die es auflesen, zum Gifte wird, und wäre es auch von einem heiligen Baume gefallen. Gegen die Stimmen der Mehrzahl der Geweihten nahmen Gagabu und ich Dich unter uns auf. Wir widersprachen allen Denen, die wegen Deiner jungen Jahre an Deiner Reife zweifelten, und dankbar und begeistert schwurst Du mir, das Gesetz und das Mysterium zu hüten. Heute nun stell' ich Dich zum ersten Male aus dem Frieden der Schule auf den Kampfplatz des Lebens. Und wie hast Du das Feldzeichen behauptet, das Dir hochzuhalten und zu vertheidigen oblag?«
»Ich that das, was mir wahr und recht schien,« antwortete Pentaur tief erregt.
»Recht ist für Dich wie für uns, was das Gesetz vorschreibt; und was ist Wahrheit?!«
»Keiner hat ihren Schleier gelüftet,« sagte Pentaur; »aber meine Seele stammt aus dem beseelten Leibe des Alls, ein Theil des untrüglichen Geistes der Gottheit regt sich in meiner Brust, und wenn er sich in mir wirksam zeigt . . .«
»Wie leicht halten wir die Schmeichelstimme der Eigenliebe für die der Gottheit.«
»Sollte der in mir, wie in Dir, wie in Jedem wirkende und redende Gott sich selbst und seine eigene Stimme nicht wieder erkennen?«
»Und hörte Dich die Menge,« unterbrach ihn Ameni, »so setzte sich Jeder auf seinen kleinen Thron, erklärte die Stimme des Gottes in seiner Brust für seinen Lenker, zerrisse das Gesetz und ließe seine Fetzen vom Ostwinde in die Wüste wehen.«
»Ich bin ein Wissender, den Du selbst den Einen zu suchen und zu finden lehrtest. Das Licht, welches ich beseligt schaue, würde die Menge – ich leugne es nicht – wenn ich es ihr zeigen wollte, mit Blindheit schlagen . . .«
»Und dennoch blendest Du unsere Schüler mit dem gefahrvollen Glanze –«
»Ich erziehe sie zu künftigen Wissenden.«
»Und das mit den glühenden Ergüssen eines liebetrunkenen Herzens?«
»Ameni!«
»Auch ungerufen stehe ich vor Dir, als Dein Meister, der Dich auf das Gesetz verweist, welches immer und überall klüger ist als der Einzelne, dessen ›Befestiger‹ der König selbst sich in seinen prunkendsten Titeln zu sein berühmt, und dem der Wissende sich beugen soll wie der gemeine Mann, den wir zum blinden Glauben erziehen, – steh' ich vor Dir als Dein Vater, der Dich von Kind auf geliebt und von keinem seiner Schüler Größeres erwartet hat, als von Dir, und Dich darum weder verlieren, noch die auf Dich gesetzte Hoffnung preisgeben will. – Bereite Dich vor, in der Frühe des morgenden Tages unser stilles Haus zu verlassen. Du hast Dein Lehramt verwirkt; das Leben soll Dich nun in die Schule nehmen und Dich reif machen für die Würde eines Eingeweihten, die Dir durch meine Schuld zu früh verliehen ward. Ohne Abschied verläßt Du Deine Schüler, wie schwer Dir solches auch werden mag. Nach dem Aufgange des Sothissternes 58 hole Dir Deine Weisungen, Du wirst in den nächsten Monaten die Priesterschaft im Tempel der Hatasu zu leiten und Dir in dieser Stellung unter meinen Augen unser Vertrauen, welches Du verscherztest, zurückzugewinnen suchen. Keinen Widerspruch! Heute Nacht empfängst Du meinen Segen und unsere Vollmacht; – die aufgehende Sonne hast Du auf den Terrassen der neuen Stätte Deines Wirkens zu begrüßen. Der Unnennbare möge das Gesetz in Deine Seele prägen!«
Ameni begab sich in seine Gemächer zurück.
Er ging ruhelos in ihnen auf und nieder. Auf einem kleinen Tische lag ein Spiegel. Er schaute auf die blanke Metallscheibe und legte sie, als habe er in ihr ein fremdes, ihm mißfallendes Antlitz erblickt, auf ihren alten Platz zurück.
Die Erlebnisse der letzten Stunden hatten ihn tief erregt und sein Vertrauen auf sein sicheres Urtheil über Menschen und Verhältnisse erschüttert.
Die Priester am jenseitigen Nilufer waren Bent-Anat's geistliche Rathgeber und er hatte die Prinzessin als fromme und begabte Jungfrau rühmen hören. Ihr unvorsichtiger Bruch der Satzung schien ihm eine willkommene Gelegenheit zu bieten, ein Mitglied der Familie des Ramses öffentlich zu demüthigen.
Nun sagte er sich, daß er dieses junge Wesen unterschätzt, daß er ungeschickt, ja vielleicht unklug gegen sie gehandelt habe, denn er verhehlte sich keinen Augenblick, daß ihre rasche Wandlung weit eher auf Grund einer warmen Aufwallung ihres Mitgefühls, vielleicht ihrer Neigung, als durch die Erkenntniß ihres Unrechts erfolgt sei, und nur wenn sie sich schuldig fühlte, konnte er ihre Uebertretung ungefährdet benutzen.
Dabei war er nicht groß genug, um frei von Eitelkeit zu sein, und gerade diese letztere fühlte sich tief verletzt durch den stolzen Widerstand der Prinzessin.
Als er Pentaur befahl, ihr strafend gegenüber zu treten, hatte er gehofft, seinen Ehrgeiz zu wecken durch das stolze Gefühl, Gewalt zu haben über die Mächtigen der Erde.
Und nun?
Wie hatte sein begeisterter Bewunderer, der hoffnungsvollste unter all' seinen Schülern, seine Probe bestanden!
Sein Lebensideal, die unbeschränkte Herrschaft der priesterlichen Idee über die Geister und der Priesterschaft selbst über den König, war bisher von diesem seltsamen Jüngling unverstanden geblieben.
Er sollte es begreifen lernen!
»Hier als letzter unter hundert höher Gestellten wird die Widerstandskraft dieser schwungvollen Seele gereizt,« sagte sich Ameni. »Im Tempel der Hatasu wird er über tiefer stehende Opferschlächter und Rauchpfannenschwenker zu gebieten haben und, Gehorsam fordernd, die Nothwendigkeit desselben schätzen lernen. Der Rebell, dem ein Thron zufällt, wird zum Tyrannen!
»Pentaur's Dichterseele,« so dachte er weiter, »hat sich schnell den Reizen Bent-Anat's gefangen gegeben, und welches Weib widerstünde diesem Hochbegnadigten, der in Schönheit wie Ra Harmachis strahlt und von dessen Lippen die süße Rede Techuti's 59 fließt! Sie dürfen einander nicht wiedersehen, denn kein Band darf ihn mit dem Hause des Ramses verknüpfen.«
Von Neuem schritt er auf und nieder und murmelte: »Was ist das!? Wie Palmen das niedere Gewächs, überragten