Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.60 fiel ab und Pentaur möchte ihm folgen.
»Muß mein Ziel schlecht sein, weil es die Edelsten nicht anzulocken vermag? Mit nichten! Jene fühlen sich von besserem Stoffe als ihre Schicksalsgenossen, gestalten sich ihr eigenes Gesetz und scheuen sich, das Höhere in dem Geringeren aufgehen zu sehen; ich aber denke anders, mische mich wie ein eisenhaltiger Bach am Libanon mit dem großen Strome und färbe ihn mit meiner Farbe.«
Solches denkend blieb Ameni stehen.
Dann rief er einen der sogenannten heiligen Väter, seinen Geheimschreiber und sagte: »Setze sogleich ein an alle Priesterkollegien des Landes zu sendendes Schreiben auf. Theile ihnen mit, daß die Tochter des Ramses sich gegen das Gesetz schwer vergangen und verunreinigt habe, und schreibe ihnen vor, daß man öffentliche, hörst Du, ›öffentliche‹ Gebete für ihre Reinigung in allen Tempeln sprechen möge. Lege mir den Brief in einer Stunde zur Unterschrift vor! Doch nein! Gib mir Dein Rohr und Deine Palette, ich werde die Verordnung selbst verfassen!«
Der »heilige Vater« reichte ihm das Schreibzeug und trat in den Hintergrund des Zimmers; Ameni aber murmelte. »Der König will uns unerhörte Gewalt anthun. Wohl! Dieß Schreiben sei der erste Pfeil als Entgegnung auf seinen Lanzenwurf.«
Achtes Kapitel
Ueber die der Nekropole von Theben gegenüber liegende Stadt der Lebendigen war der Mond aufgegangen.
In den sich eine Stunde weit am Nilufer hinziehenden, durch Sphinxreihen und Pylonen verbundenen Tempelanlagen waren die Abendlieder verklungen, aber in den Straßen der Stadt schien jetzt das Leben erst recht zu erwachen.
Die der Hitze des Sommertages folgende Kühlung lockte die Bürger in's Freie, vor die Thüren und auf die Dächer und Thürme ihrer Häuser, oder an die Schenktische, neben denen man bei Bier, Wein und süßen Fruchtsäften den Geschichten der Märchenerzähler lauschte.
Viele einfachere Leute hockten in kreisförmigen Gruppen am Boden und stimmten in die Schlußsätze des Liedes ein, welches ein bescheidener Sänger zum Klange einer Handtrommel und Flöte vortrug.
Im Süden der Tempel des Amon lag der Königspalast und in seiner Nähe erhoben sich in mehr oder weniger ausgedehnten Gärten die Häuser der Großen des Reichs, unter denen sich eines durch Pracht und Umfang vor allen anderen auszeichnete.
Paaker, der Wegeführer des Königs, hatte es nach dem Tode seines Vaters, in der Hoffnung, seine Base Nefert bald in dasselbe als seine Ehefrau einführen zu können, an der Stelle des schlichteren Hauses seiner Ahnen von einem der geschicktesten Baukünstler errichten lassen.
Wenige Schritte weiter nach Osten hin lag ein anderes, immerhin stattliches, aber älteres und weniger glänzendes Hans, welches der Rosselenker des Königs, Mena, von seinem Vater ererbt hatte und in dem seine Gemahlin Nefert mit ihrer Mutter Katuti wohnte, während er selbst im fernen Syrerlande das Zelt des Königs, als dessen Leibwächter, theilte.
Vor den Thoren beider Häuser standen Fackeln tragende Diener, welche auf die längst erwartete Heimkehr ihrer Gebieter harrten.
Das Thor, welches in das rings von einer Mauer umgebene Grundstück Paaker's Einlaß gewährte, war unverhältnismäßig, fast prahlerisch hoch und mit bunten Malereien bedeckt. Zu seiner Linken und Rechten erhoben sich als Fahnen tragende Maste zwei Cederstämme. Er hatte sie zu diesem Zwecke am Libanon fällen und zu Schiff nach Pelusium an der Nordostgrenze Aegyptens befördern lassen. Von dort aus waren sie auf dem Nil nach Theben geschafft worden.
Durchschritt 61 man die Eingangspforte, so kam man in einen weiten gepflasterten Hof, an dessen Seiten sich nur nach hinten zu geschlossene Gänge, deren Dächer von dünnen Holzsäulen getragen wurden, hinstreckten. Hier standen die Rosse und Wagen des Wegeführers, hier wohnten seine Sklaven und wurden die für den Monatsbedarf nothwendigen Vorräthe an Feldfrüchten aufbewahrt.
In der Hinterwand dieses Wirthschaftshofes befand sich ein Thor von mäßiger Höhe, das in einen weiten Garten mit wohlgepflegten Baumreihen und Weinspalieren, Sträuchergruppen, Blumen und Gemüsebeeten führte. Palmen, Sykomoren und Akazienbäume, Feigen, Granaten und Jasminsträucher gediehen hier besonders üppig, denn Paaker's Mutter Setchem leitete die Arbeiten der Gärtner und in dem großen Teich inmitten der Anlage fehlte es niemals an Wasser zum Begießen der Beete und Baumwurzeln, wurde er doch von zwei Kanälen gespeist, in welche von Ochsen gedrehte Schöpfräder Tag und Nacht Wasser aus dem Nilstrome gossen.
An der rechten Seite dieser Anlagen erhob sich das einstöckige, aber unabsehbar lange Wohngebäude, das aus einer einzigen Reihe von Zimmern und Kammern bestand. Fast jeder Raum besaß seine eigene Thür, die in eine von bunten Holzsäulen getragene Veranda mündete, welche sich entlang der ganzen Gartenseite des Hauses hinzog.
An dieses Gebäude schloß sich im rechten Winkel eine Reihe von Vorrathsräumen, in denen die in dem Garten gewonnenen Früchte und das Gemüse, die Weinkrüge und der Besitz des Hauses an gewebten Stoffen, Fellen, Leder und anderen Gegenständen aufbewahrt wurden.
In einem Gemache von festem Quadergemäuer lag, wohl verschlossen, das von Paaker's Vätern und ihm selbst erbeutete reiche Gut in Gestalt von goldenen und silbernen Ringen, Thierfiguren und Gefäßen. Auch an Kupferbarren und edlen Steinen, besonders an Lapis lazuli und Malachitstücken, fehlte es nicht.
Inmitten des Gartens erhob sich ein reich geschmückter Kiosk und eine Kapelle mit Götterbildern, in deren Hintergrund die Statuen der Ahnen Paaker's in Gestalt des in Mumienbinden gewickelten Osiris 62 standen. Nur durch die porträtähnlich gehaltenen Gesichter unterschied sich die eine dieser Bildsäulen von der andern.
Die linke Seite des Wirthschaftshofes war von Finsterniß verschleiert, doch gestattete das Mondlicht, viele nur mit einer Schürze bekleidete dunkle Gestalten, die Sklaven des Wegeführers, zu erkennen, die zu fünfen und sechsen am Boden kauerten oder auf dünnen Matten von Palmenbast, ihren harten Betten, nebeneinander lagen.
Unweit des Thores an der rechten Seite des Hofes brannten einige Lampen und beleuchteten eine Gruppe von braunen Männern, die Hausbeamten Paaker's, welche kurze, hemdenartige weiße Röcke trugen und auf einem Teppich hockend einen kaum zwei Fuß hohen Tisch im Kreise umgaben. Sie verzehrten ihre Abendmahlzeit, eine gebratene Antilope und große flache Brodkuchen.. Einige Sklaven warteten ihnen auf und füllten ihre irdenen Becher mit gelblichem Biere.
Der Haushofmeister zerlegte den großen Braten auf dem Tische, reichte dem Aufseher des Gartens ein Stück von der Antilopenkeule und sagte: 63
»Die Arme thun mir weh; das Sklavengesindel wird immer fauler und widerspenstiger.«
»Ich merk's an den Palmen,« sagte der Gärtner. »Ihr braucht so viele Stöcke, daß ihre Kronen schon so fadenscheinig werden, wie mausernde Vögel.«
»Wir sollten's wie der Herr machen,« sagte der Stallmeister, »und uns Stäbe von Ebenholz anschaffen; die halten hundert Jahre.«
»Jedenfalls länger als die Knochen der Leute,« lachte der oberste Rindshirt, der von dem Landgute des Wegeführers in die Stadt gekommen war, um Opfervieh, Butter und Käse abzuliefern. »Wenn wir's dem Herrn rechtschaffen nachthun wollten, so hätten wir bald nur noch Lahme und Krüppel im Dienerhause.«
»Da drüben liegt der Bursch, dem er gestern das Schlüsselbein zerschlagen,« sagte der Haushofmeister; »'s ist Schade um ihn, denn er war ein geschickter Mattenflechter. Der alte Herr schlug sanfter.«
»Du mußt es wissen!« rief ein dünnes Stimmchen, das sich spottend hinter den Schmausenden hören ließ.
Diese Letzteren schauten sich um und lachten, als sie den seltsamen Gast erkannten, der sich ihnen unbemerkt genähert hatte.
Der neue Ankömmling war ein verwachsenes Männchen in der Größe eines fünfjährigen Knaben, mit einem großen Kopfe und ältlichen, aber ungewöhnlich scharf geschnittenen Gesichtszügen.