Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.ihn zwar wegen seiner scharfen Zunge, sah ihn aber doch gern, denn er galt für sehr klug und war ein guter Erzähler.
»Gönnt mir ein Plätzchen, ihr Herren,« sagte der Kleine, »ich nehme nur wenig Raum ein und eurem Bier und Braten droht durch mich geringe Gefahr, denn mein Magen ist winzig wie ein Fliegenkopf.«
»Aber Deine Galle so groß wie ein Nilpferd,« rief der Mundkoch.
»Sie wächst,« lachte der Zwerg, »wenn sie ein Quirldreher und Löffelschwenker von Deiner Art aufrührt. So, da säß' ich.«
»Sei denn willkommen,« sagte der Haushofmeister. »Was bringst Du?«
»Mich selber.«
»Dann bringst Du nichts Großes!«
»Ich würde ja auch sonst nicht zu euch passen,« erwiederte der Zwerg. »Aber ernstlich! Meiner Herrin Mutter, die edle Katuti, und der Statthalter, der uns eben besucht, sandten mich aus, um zu fragen, ob Paaker noch nicht wieder zurück sei. Er begleitete die Prinzessin und Nefert in die Todtenstadt und die Frauen sind noch nicht heimgekehrt. Wir fangen an besorgt zu werden, denn es ist schon spät.«
Der Haushofmeister schaute zu dem gestirnten Himmel auf und sagte: »Der Mond steht schon ziemlich hoch und der Herr wollte vor Sonnenuntergang zu Hause sein.«
»Die Mahlzeit war fertig,« seufzte der Koch; »ich werde nochmals an die Arbeit zu gehen haben, wenn er nicht über Nacht ausbleibt.«
»Wie sollte er?« fragte der Haushofmeister. »Er begleitet ja die Prinzessin Bent-Anat.«
»Und meine Herrin,« fügte der Zwerg hinzu.
»Was die sich erzählen werden!« lachte der Gärtner. »Euer oberster Sänftenträger behauptete, sie hätten gestern auf dem Weg in die Todtenstadt kein Wort miteinander geredet.«
»Könnt Ihr's dem Herrn verargen, wenn er der Frau zürnt, die mit ihm verlobt war und einem Andern in die Ehe folgte? Wenn ich an die Stunde gedenke, in der er von Nefert's Treubruch erfuhr, wird mir heiß und kalt.«
»Sorge wenigstens dafür,« höhnte der Zwerg, »daß Dir im Winter heiß und im Sommer kalt wird.«
»Es ist noch nicht aller Tage Abend,« rief der Stallmeister. »Paaker vergißt keine Beleidigung, und wir werden's erleben, daß er Mena, wie hoch er auch steht, den Schimpf heimzahlt, den er ihm angethan hat.«
»Meine Herrin Katuti,« unterbrach Nemu den Stallmeister, »kassirt jetzt die Ausstände ihres Schwiegersohnes ein. Uebrigens wünscht sie schon längst die alte Freundschaft mit eurem Hause von Neuem anzuknüpfen und auch der Statthalter redet zum Frieden. Gib mir ein Stück Braten, Haushofmeister, mich hungert.«
»Der Beutel, in den Mena's Ausstände fließen,« lachte der Koch, »scheint mager zu sein!«
»Mager, mager! ungefähr wie Dein Witz,« erwiederte der Zwerg. »Gib mir noch ein Stück Braten, Haushofmeister, und Du, Sklave, reich' mir einen Trunk Bier.«
»Sagtest Du nicht eben, Dein Magen sei so klein wie ein Fliegenkopf?« rief der Koch, »und nun schlingst Du Fleisch wie die Krokodile im heiligen Teiche des Seelands. 64 Du mußt aus der verkehrten Welt stammen, in der die Menschen so klein sind wie die Fliegen und die Fliegen so groß wie die Riesen der Vorzeit.«
»Noch viel größer möchte ich sein!« schmunzelte der Zwerg, indem er unverdrossen weiter kaute, »etwa wie Deine Mißgunst, die mir nicht einmal das dritte Stück Fleisch gönnt, – das da, welches der Haushofmeister, den Zefa mit reichem Besitze segne, eben vom Rücken der Antilope schneidet.«
»Da nimm's, Du Vielfraß, aber löse Deinen Gürtel!« lachte der Haushofmeister. »Ich hatte das Stückchen für mich selbst aufgehoben und bewundere Deine feine Nase.«
»Ja, die Nasen,« sagte der Zwerg, »sie lehren den Kenner besser als ein Horoskop, was an einem Menschen ist.«
»Das wäre!« rief der Gärtner.
»Krame nur Deine Weisheit aus,« lachte der Haushofmeister, »denn wenn Du zu sprechen hast, wirst Du endlich mit dem Essen aufhören.«
»Das läßt sich vereinigen,« sagte der Zwerg. »So hört denn! Eine gebogene Nase, die ich mit dem Schnabel des Geiers vergleiche, wird sich niemals mit unterwürfigem Sinne zusammenfinden. Denkt an den Pharao und sein ganzes stolzes Geschlecht. Der Statthalter dagegen hat eine gerade, wohlgestaltete, mittelgroße Nase, wie die der Amonsbilder im Tempel, und so ist er denn auch geraden Sinnes und von göttlicher Güte. Er ist nicht hochfahrend und nicht unterwürfig, sondern gerade so wie es recht ist. Er hält es nicht mit den Größten und nicht mit den Kleinsten, sondern mit Leuten von unserem Schlage; der gäb' einen König für uns.«
»Einen Nasenkönig!« rief der Koch. »Ich ziehe den Adler Ramses vor. Aber was sagst Du von der Nase Deiner Herrin Nefert?«
»Die ist zart und fein und jeder Gedanke bewegt sie, wie ein Windhauch die Blumenblätter; ihr Herz aber ist gerade so beschaffen.«
»Und Paaker?« fragte der Stallmeister..
»Der hat eine kräftige, stumpfe Nase mit runden, weit geöffneten Nüstern. Wenn Seth Sand aufwirbelt und ein Stäublein fliegt hinein, dann kitzelt ihn das, er wird grimmig und so trägt Paaker's Nase und sie allein die Schuld an euren blauen Flecken. Seine Mutter Setchem, die Schwester meiner Herrin Katuti, hat eine kleine, rundliche, weiche . . .«
»Du Knirps!« rief den Redenden unterbrechend der Haushofmeister, »gefüttert haben wir Dich und Dich lästern lassen nach Herzenslust; rührt aber Deine spitze Zunge an unsere Hausfrau, dann nehme ich Dich am Gürtel und schleudere Dich an's Firmament, daß Dir die Sterne auf dem krummen Buckel kleben bleiben!«
Der Zwerg stand bei diesen Worten auf, trat zurück und sagte gelassen: »Ich würde mir die Sterne sorgfältig vom Rücken lesen und Dir den schönsten Planeten zum Dank für Dein saftiges Stück Braten schenken. Aber da kommen die Wagen! Lebt wohl, ihr Herren, und wenn ein Geierschnabel einen von euch ergreifen und mit in den Krieg nach Syrien schleppen sollte, dann denkt an die Rede des kleinen Nemu, der die Menschen kennt und die Nasen!«
Des Wegeführers Wagen rasselte durch die hohe Pforte seines Hauses in den Hof, die Hunde in ihrem Zwinger heulten freudig auf, der Stallmeister eilte Paaker entgegen und nahm die Zügel in Empfang, der Haushofmeister begleitete ihn und der Vorsteher der Köche stürzte in die Küche, um eine neue Mahlzeit für seinen Herrn zu bereiten.
Ehe Paaker zu der Gartenpforte gelangt war, ließ sich von den Pylonen des ungeheuren Amonstempels erst der weithin tönende Klang von kräftig geschlagenen Erzplatten, dann aber der vielstimmige Gesang eines feierlichen Hymnus vernehmen.
Der Mohar blieb stehen, schaute gen Himmel, rief seinen Dienern zu: »Der göttliche Sothisstern ist aufgegangen!« warf sich zu Boden und erhob betend seine Arme dem Gestirn entgegen.
Die Sklaven und Beamten folgten sogleich seinem Beispiel.
Kein Vorgang in der Natur blieb unberücksichtigt von den priesterlichen Leitern des ägyptischen Volkes. Jedes Phänomen auf Erden oder am gestirnten Himmel begrüßten sie als die Erscheinung einer Gottheit und sie umspannen das Leben der Bürger des Nilthals vom Morgen bis zum Abend, vom Eintritt der Ueberschwemmungszeit bis zu den Tagen der Dürre mit einem Netze von Gesängen und Opfern, von Prozessionen und Festen, welches das menschliche Individuum mit der Gottheit und ihren Vertretern unauflöslich fest verstrickte.
Mehrere Minuten lang lag der Herr mit seinen Dienern schweigend auf den Knieen, das Auge dem heiligen Gestirne zugewandt und den frommen Gesängen der Priester lauschend.
Als die letzteren verstummten, erhob sich Paaker. Alles um ihn her lag am Boden, nur bei den Sklavenwohnungen stand eine vom Mondlichte hell beleuchtete nackte Gestalt regungslos an einem Pfeiler.
Der Wegeführer winkte, die Diener erhoben sich; er aber ging mit heftigen Schritten auf den Verächter der von ihm mit Strenge gehandhabten Andachtsübung zu und rief: »Haushofmeister, hundert Schläge auf die Fußsohlen dem Gottesverächter.«
Der