Infiziert. Teri Terry

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Infiziert - Teri Terry


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verlassen einige den Raum. Neugierig schlüpfe ich hinter ihnen her.

      Die Arbeiter laufen einen endlosen Flur entlang, fluchen leise vor sich hin. Offenbar sind sie nicht froh über den Job, den man ihnen zugeteilt hat. Im Boden sind Luken. Die Männer laufen immer weiter, bis sie endlich vor einer stehen bleiben.

      Ein Arbeiter bückt sich und öffnet die Luke. »So was sollte man während der Strahlung nicht machen«, murmelt er. Der andere Arbeiter hat die Augen weit aufgerissen. Sie steigen in die Luke und klettern über eine Leiter hinunter, tiefer und immer tiefer. Ich schwebe an ihnen vorbei.

      Am Ende des Schachts folgt ein gebogener, sehr breiter Tunnel. In diesem steckt eine gigantische Apparatur, die sich durch den Tunnel windet wie ein riesiger metallischer Erdwurm – ein rundes Ding mit allen möglichen technischen Geräten an der Unterseite.

      Mich interessiert dieser Wurm und ich hänge mich obendrauf, lausche. Summt es im Inneren? Das hat was mit mir zu tun. Was genau, weiß ich aber nicht.

      Die beiden Männer machen sich an den Maschinen unter der riesigen Röhre zu schaffen. Ich lasse sie hinter mir und fliege über den Wurm, so weit und so schnell ich kann. Über mir endlos viele Luken, wie die, durch die wir gekommen sind. Hin und wieder stoße ich auf große Räume mit noch mehr seltsam anmutendem Wissenschaftskrempel und Menschen, vielen Menschen. Ich sehe mich um. Als ich gerade an einem dieser Räume vorbei bin, dringt eine Stimme an mein Ohr.

      Eine besonders schrille Frauenstimme. Die kenne ich. Ich halte inne und horche.

      Das ist Dr. 6, die meinen Rollstuhl zur Heilung geschoben hat. Ich habe sie noch nie richtig gesehen, nur im Schutzanzug. Irgendwie merkwürdig, wenn die Person dann ganz normal vor einem steht. Dr. 6 läuft auf eine Tür zu, hinter ihr ein paar weitere Leute. Auch wenn mich der Wurm fasziniert, muss ich ihr irgendwie folgen. Hinter der Tür halten sie an, ziehen ihre Schutzanzüge über. Und schon verschwinden die Menschen hinter Visieren und Plastik.

      Dann geht es wieder durch eine Menge Sicherheitstüren. Mir wird mulmig zumute. Wäre ich doch bloß im Tunnel geblieben und hätte dem Summen des Metallwurms gelauscht.

      Ich mag nicht, wohin wir gehen. Doch die Ärzte laufen unbeirrt weiter. Natürlich könnte ich zurückbleiben, aber dann stecke ich nachher in diesem schmalen Gang fest.

      Mein Grauen wächst.

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      KILLIN, SCHOTTLAND

      Time Zero: 21 Stunden

      Die lebhaften Erinnerungen, zu denen ich nun endlich wieder Zugang gefunden habe, verfolgen mich: Calista. Der Wald. Der Wagen und dieser Mann. Irgendwas stimmte mit dem nicht.

      Im Dunkeln taste ich herum, bis ich die kühle Form meines Handys zu fassen bekomme. Es ist drei Uhr nachts.

      Die Stille macht mir zu schaffen. Ich stehe ganz leise auf. Wenn es ruhig ist, wird das kleinste Geräusch megafonmäßig verstärkt. Ich bin schon halb die Treppe runter, um mir einen Tee zu machen, da fällt mir Kai wieder ein, der ja im Wohnzimmer schläft.

      Allein im Dunkeln. Wenn er nun aufwacht und sieht, wie ich in die Küche schleiche? Vielleicht hält er den Kummer allein nicht mehr aus. Vielleicht will er jetzt endlich reden, wo alles ruhig und dunkel ist. Nur mit mir. Vielleicht …

      Reiß dich mal zusammen, Shay. Ich seufze.

      Vorsichtig trete ich den Rückzug an und nehme mir oben lieber ein Glas Wasser. Als ich den Badezimmerhahn aufdrehe, gurgelt und bollert die Leitung. Ich halte die Luft an.

      Statt eines ganzen Glases muss ein Schluck reichen. Die Toilettenspülung ziehe ich nicht ab.

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      SHETLAND INSTITUTE, SCHOTTLAND

      Time Zero: 20 Stunden

      Noch eine Tür. Hier endet der Gang. Entweder folge ich Dr. 6 und ihren Leuten oder ich bleibe eingekeilt zwischen zwei Türen zurück. Aus Angst vor dem Alleinsein entschließe ich mich in letzter Sekunde, den anderen zu folgen.

      Doch sobald mir klar wird, wo wir sind, weiche ich zurück, versuche zu entkommen. Zu spät. Die Tür ist zu.

      Ich schließe die Augen, aber das hilft nicht. Sobald sie zu sind, kommt die Erinnerung zurück, und die ist noch schlimmer. Ich öffne die Augen wieder und schaue mich in dem Zimmer um, das ich nur von der anderen Seite kenne.

      Wir befinden uns in einem großen quadratischen Raum, drei der Wände bestehen aus Fenstern. Durch die dicken Scheiben hat man Einblick in kleinere Räume. Eher Zellen als Räume.

      Aus jeder Zelle blickt einem ein verängstigtes Gesicht entgegen. Menschen jeden Alters: Kinder, Teenager, alte Leute. Alle sind auf eine Tragbahre geschnallt.

      Auf dieser Seite wimmelt es von geschäftigen Ärzten und Schwestern. Es gibt Monitore und medizinische Geräte.

      »Sedierung Abteilung 1«, sagt Dr. 6. Auf einer Zellenzeile entspannen sich die ängstlichen Gesichter. Die Augen fallen zu. Doch nun brülle ich: Hört auf! Lasst sie gehen!

      Als ich in so einer kleinen Zelle steckte, haben sie mir keine Beruhigungsmittel verabreicht, und ich habe mir die Seele aus dem Leib geschrien, bevor überhaupt etwas passiert ist. Niemand konnte wissen, dass ich unter Platzangst leide.

      Unter den Fenstern reichen merkwürdige elektronische Hände durch die Wand. Nun bedient jeweils ein Arzt oder eine Krankenschwester diese Hände.

      Als ich dort lag, hatten sie Probleme, mir Spritzen zu verabreichen, obwohl ich festgeschnallt war. Solche Angst hatte ich.

      Die Nadeln sind keine gewöhnlichen Nadeln.

      Der Schmerz ist kein gewöhnlicher Schmerz. Bis zur Heilung hätte ich schwören können, dass es der weltschlimmste Schmerz ist. Ob sie keine Lust mehr auf die Schreierei haben und deshalb Beruhigungsmittel verabreichen?

      Ich rolle mich zusammen, möglichst weit weg von den Fenstern, den Nadeln, den Schmerzen.

      Aber die Erinnerung lässt mich nicht los.

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      KILLIN, SCHOTTLAND

      Time Zero: 19 Stunden

      Ein kleiner Raum. Ein Mädchen mit dunklem Haar. Es weint. Mutterseelenallein.

      Das Mädchen schaut auf, Tränen stehen ihm in den blauen Augen. Es starrt mich an, verzieht den Mund. »Du hättest mir helfen können, aber hast du nicht. Ich war dir egal.«

      »Nein, nein, das stimmt doch nicht. Ich …«

      »Stimmt wohl und das weißt du auch. Alles deine Schuld.«

      »Nein!«

      »Kai wird es aufdecken. Ganz bestimmt. Und dann hasst er dich, genau wie ich.«

      Ich will schreien. Wälze mich hin und her, verheddere mich in den Laken, wache auf.

      Ich bin allein. Im Bett. In meinem Bett.

      Das war nicht real. Nur ein Albtraum.

      Ist Calista wirklich tot?

      Bin ich schuld?

      Das kann nicht stimmen.

      Oder?

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