Verlorener Sohn. Brennan Manning
Читать онлайн книгу.eine Menge Geld“, sagte Jack. „Klar, dass sie froh sind.“
Tracy antwortete nicht auf seine Anrufe, auch niemand sonst aus ihrer Familie.
Sally wollte ihn allem Anschein nach nicht retten. Sie hatte immer noch nicht zurückgerufen.
Wenige Stunden zuvor hatte Jack noch Tausende, vielleicht Zehntausende Bewunderer gehabt. Aber er hatte nie viele enge Freunde besessen.
Jedes Mal, wenn er versuchte zu beten, fühlte es sich an, als führe er Selbstgespräche.
Er war ganz allein.
Und so kam es, dass er zu Weihnachten auf der Isla Mujeres saß, heimatlos, ohne Geld, allein, mit einer letzten Flasche Tequila, die er trinken würde, bevor der Hausmeister des Hotels die Zimmertür aufbrechen und ihn in eine leere Zukunft hinausstoßen würde.
Niemand würde ihn davor retten.
„Fröhliche Weihnachten“, sagte Jack noch einmal. Bei diesen Worten brach etwas in ihm entzwei. Er wusste, es war Selbstmitleid, Kummer nicht über das, was er getan hatte, sondern was man ihm antat. Aber es fühlte sich trotzdem an wie echter Kummer. Tränen strömten ihm aus den Augen, und er umklammerte die Flasche, als wäre sie sein einziger Freund. Er schluchzte – ein tiefes, quälendes Schluchzen, das seinen ganzen Körper schüttelte.
Und dann klopfte jemand an der Tür.
Jack biss sich auf die Lippen, um sich selbst zum Schweigen zu bringen.
Er lauschte.
Das Klopfen erklang noch einmal, zaghafter. In den letzten Tagen war das Klopfen hart gewesen und von ärgerlichen Rufen begleitet: „Señor Chisholm?
Dies hier war anders.
Er kam schwankend auf die Beine, durchquerte den Raum und stellte sich darauf ein, sich in die Arme von allem zu werfen, was er nach Gottes Ansicht verdient hatte.
„Na dann“, sagte er und öffnete die Tür. „Ich werde leise verschwinden …“
Dann blieb er wie angewurzelt stehen, er schwankte nur leicht.
Auf der anderen Seite der Tür stand sein Vater, Tom Chisholm, älter und dünner und, ja, trauriger als zehn Jahre zuvor, als Jack aus seinem Leben verschwunden war.
Sie standen da und sahen sich an. Jack hatte ein Gefühl, als ob er neben sich stand. Wie im Nebel bemerkte er, dass sein Vater ein Handy in der Hand hatte. Die andere war noch erhoben, wie um an die Tür zu klopfen.
Schließlich fand er die Sprache wieder und brachte das Wort heraus, das er seit Jahren nicht mehr ausgesprochen hatte. „Dad?“
Sein Vater nickte.
„Wie …“ Es gab keine Worte, die seine ungläubige Verwunderung zum Ausdruck bringen konnten. Er brachte nur das Offensichtliche heraus: „Was machst du hier?“
Sein Vater ließ den Arm fallen und steckte das Handy in die Tasche. In seinen Augen standen Tränen.
Jack hatte seinen Vater noch nie weinen sehen, nicht einmal bei der Beerdigung seiner Schwester oder seiner Mutter. Er war zu stark dafür, zu distanziert. Er war ein Felsen. Eine Insel.
Und doch lief ihm da eine Träne die Wange herunter.
Jack blinzelte. War es der Tequila? War dies nur ein weiteres Kapitel seines Traumes?
Aber er konnte das Gewicht der Flasche in seiner Hand spüren, das Gewicht der Verzweiflung in seinem Herzen.
Dies hier war real, und es geschah jetzt.
„Was machst du hier?“
Tom Chisholm sah einen Moment zur Seite. Er wischte sich die Träne von der Wange. „Ich …“
Er räusperte sich und schwieg einen Moment. Dann streckte er Jack einfach die Hand entgegen und sagte: „Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen.“
Nach Hause.
Jack blickte auf die Flasche in seiner Hand. Sie war fast leer. Er ersparte sich einen Blick auf den Raum hinter ihm, der so verwahrlost war, als hätten hier Tiere gehaust. Er kniff die Augen einen Moment lang fest zusammen, um zu prüfen, ob das die Welt dazu bringen würde, sich nicht mehr so schnell zu drehen.
Schließlich öffnete er die Augen wieder.
Sein Vater stand vor ihm, die Arme ausgebreitet, immer noch wartend … Vielleicht hatte er die ganze Zeit so gewartet, all diese Jahre.
Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen.
Er hatte sich entschieden.
„Also dann …“, sagte Jack.
Er setzte einen schwankenden Fuß vor den anderen.
Dann trat er über die Schwelle und sank in die Arme, die ihn damals vor der wilden Brandung gerettet hatten.
3.
Als er am nächsten Morgen erwachte, roch er den aus Kindertagen vertrauten Duft nach Kaffee und gebratenem Speck. Jack dachte einen Moment, er träume vielleicht noch. Er setzte sich auf und sah sich um. Ja, da lag er, in seinem alten Zimmer in dem übergroßen Bett, das seine Mutter für die Gelegenheiten gekauft hatte, wenn er und Tracy zu Besuch kamen. Unter der Bettdecke mit Laura-Ashley-Blumenmuster, die sie ausgesucht hatte. Die farblich passenden Kissen aus silberblauem Satin hatte er am Abend, als er ins Bett fiel, auf den Boden gefegt. Jetzt lagen sie dort verstreut wie Pilze aus Satin.
Er betrachtete das Bücherregal, in dem die Bücher von C. S. Lewis und Tolkien standen, die er als Kind verschlungen hatte, und noch jede Menge anderer, die aus irgendeinem anderen Regal im Haus herausgequollen waren. War das da ein altes Handbuch für die Steuererklärung?
Ein paar Pokale aus seiner Highschool-Footballzeit und ein Ball, jetzt verstaubt, schmückten die Kommode. „Mayfield Wildcats MVP 1990“ las er auf dem größten und musste unwillkürlich lächeln. Es waren schöne Zeiten gewesen – damals.
Der Footballverein von Mayfield war inzwischen abgestiegen – von Mayfield selbst ganz zu schweigen.
Neben der Kommode stand der Schaukelstuhl, den sein Großvater ihm geschenkt hatte, als er dreizehn wurde. „Ein Mann braucht einen Schaukelstuhl“, hatte Grampa Joe gesagt. Es war Jack nicht gelungen, seine Enttäuschung zu verbergen. Grampa Joe hatte ihn wohl vor allem deshalb gemacht, weil er gern Dinge selbst machte. Aber später hatte Jack zahllose Stunden in diesem Stuhl verbracht, lesend oder, Jahre später, an der Predigt für die Beerdigung seiner Mutter schreibend, während Tracy in diesem Bett geschlafen hatte. Es war schließlich doch ein perfektes Geschenk gewesen. Und er hatte schreinern gelernt und sich vorgestellt, er würde einmal für seinen Sohn etwas Ähnliches machen.
Auch wieder so ein Traum, der sich nicht erfüllt hat.
Über dem Stuhl an der Wand hing eine Korktafel mit Bildern der Basketballstars Joe Montana und Peter Gardere. „Peter der Große“ an der Universität von Texas, die die Universität von Oklahoma viermal besiegt hatte. Er betrachtete die Bilder seiner Schulfreunde. Da war er mit seiner Freundin von damals, Darla Scroggins, heute Darla Taylor. Sie hatte schon längst den verhassten Jamie Taylor geheiratet, der auch in der Football-Mannschaft gewesen war. Und dieses Bild von ihm und seinem besten Freund Bill Hall auf der Jagd hatte sein Vater gemacht. Jack hatte einen prächtigen Weißwedelhirsch, einen Zwölfender, erlegt. Mit Bills Hilfe präsentierte er das Geweih für das Foto. Er hatte weder Bill Hall noch Darla Scroggins noch James Taylor – der war für Jack ein für alle Mal gestorben – in den letzten zehn Jahren gesehen. Der Raum erschien ihm wie ein Museum seines Lebens, vor Jahren schon abgeschnitten. Es gab keine Bilder von Grace Cathedral, keinen Hinweis auf sein Leben als „Herzenspastor“, nur ein kleines Bild auf dem Nachttisch von ihm und Tracy, das am Sonntag nach der Kirche bei ihrem, wie sich herausstellen sollte, letzten Besuch vor der Beerdigung seiner Mutter entstanden war.
Das Zimmer erinnerte ihn an eine Episode aus „Twilight Zone“ oder vielleicht auch