Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


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im An­fang wirk­te sie zu un­ser bei­der Zufrie­den­heit. Al­lein als mei­ne Geg­ne­rin be­merk­te, dass ich doch bes­ser ziel­te als sie und zu­letzt den Sieg, der von der Über­zahl der stehn ge­blie­be­nen ab­hing, ge­win­nen möch­te, trat sie nä­her, und ihr mäd­chen­haf­tes Wer­fen hat­te denn auch den er­wünsch­ten Er­folg. Sie streck­te mir eine Men­ge mei­ner bes­ten Trup­pen nie­der, und je mehr ich pro­tes­tier­te, de­sto eif­ri­ger warf sie. Dies ver­dross mich zu­letzt, und ich er­klär­te, dass ich ein Glei­ches tun wür­de. Ich trat auch wirk­lich nicht al­lein nä­her her­an, son­dern warf im Un­mut viel hef­ti­ger, da es denn nicht lan­ge währ­te, als ein paar ih­rer klei­nen Cen­tau­rin­nen in Stücke spran­gen. In ih­rem Ei­fer be­merk­te sie es nicht gleich; aber ich stand ver­stei­nert, als die zer­broch­nen Fi­gür­chen sich von selbst wie­der zu­sam­men­füg­ten, Ama­zo­ne und Pferd wie­der ein Gan­zes, auch zu­gleich völ­lig le­ben­dig wur­den, im Ga­lopp von der gold­nen Brücke un­ter die Lin­den setz­ten und in Car­rie­re hin und wi­der ren­nend sich end­lich ge­gen die Mau­er, ich weiß nicht wie, ver­lo­ren. Mei­ne schö­ne Geg­ne­rin war das kaum ge­wahr ge­wor­den, als sie in ein lau­tes Wei­nen und Jam­mern aus­brach und rief: dass ich ihr einen un­er­setz­li­chen Ver­lust zu­ge­fügt, der weit grö­ßer sei, als es sich aus­spre­chen las­se. Ich aber, der ich schon er­bost war, freu­te mich, ihr et­was zu­lei­de zu tun, und warf noch ein paar mir üb­rig ge­blie­be­ne Achat­ku­geln blind­lings mit Ge­walt un­ter ih­ren Heer­hau­fen. Un­glück­li­cher­wei­se traf ich die Kö­ni­gin, die bis­her bei un­serm re­gel­mä­ßi­gen Spiel aus­ge­nom­men ge­we­sen. Sie sprang in Stücken, und ihre nächs­ten Ad­ju­tan­ten wur­den auch zer­schmet­tert; aber schnell stell­ten sie sich wie­der her und nah­men Reiß­aus wie die ers­ten, ga­lop­pier­ten sehr lus­tig un­ter den Lin­den her­um und ver­lo­ren sich ge­gen die Mau­er.

      Mei­ne Geg­ne­rin schalt und schimpf­te; ich aber, nun ein­mal im Gan­ge, bück­te mich, ei­ni­ge Achat­ku­geln auf­zu­he­ben, wel­che an den gold­nen Spie­ßen her­um­roll­ten. Mein er­grimm­ter Wunsch war, ihr gan­zes Heer zu ver­nich­ten. Sie da­ge­gen, nicht faul, sprang auf mich los und gab mir eine Ohr­fei­ge, dass mir der Kopf summ­te. Ich, der ich im­mer ge­hört hat­te, auf die Ohr­fei­ge ei­nes Mäd­chens ge­hö­re ein der­ber Kuss, fass­te sie bei den Ohren und küss­te sie zu wie­der­hol­ten Ma­len. Sie aber tat einen sol­chen durch­drin­gen­den Schrei, der mich selbst er­schreck­te; ich ließ sie fah­ren, und das war mein Glück: denn in dem Au­gen­blick wuss­te ich nicht, wie mir ge­sch­ah. Der Bo­den un­ter mir fing an zu be­ben und zu ras­seln; ich merk­te ge­schwind, dass sich die Git­ter wie­der in Be­we­gung setz­ten: al­lein ich hat­te nicht Zeit, zu über­le­gen, noch konn­te ich Fuß fas­sen, um zu flie­hen. Ich fürch­te­te je­den Au­gen­blick ge­spießt zu wer­den: denn die Par­ti­sa­nen und Lan­zen, die sich auf­rich­te­ten, zer­schlitz­ten mir schon die Klei­der; ge­nug, ich weiß nicht, wie mir ge­sch­ah, mir ver­ging Hö­ren und Se­hen, und ich er­hol­te mich aus mei­ner Be­täu­bung, von mei­nem Schre­cken am Fuß ei­ner Lin­de, wi­der den mich das auf­schnel­len­de Git­ter ge­wor­fen hat­te. Mit dem Er­wa­chen er­wach­te auch mei­ne Bos­heit, die sich noch hef­tig ver­mehr­te, als ich von drü­ben die Spott­wor­te und das Ge­läch­ter mei­ner Geg­ne­rin ver­nahm, die an der an­de­ren Sei­te et­was ge­lin­der als ich moch­te zur Erde ge­kom­men sein. Da­her sprang ich auf, und als ich rings um mich das klei­ne Heer nebst sei­nem An­füh­rer Achill, wel­che das auf­fah­ren­de Git­ter mit mir her­über­ge­schnellt hat­te, zer­streut sah, er­griff ich den Hel­den zu­erst und warf ihn wi­der einen Baum. Sei­ne Wie­der­her­stel­lung und sei­ne Flucht ge­fie­len mir nun dop­pelt, weil sich die Scha­den­freu­de zu dem ar­tigs­ten An­blick von der Welt ge­sell­te, und ich war im Be­griff, die sämt­li­chen Grie­chen ihm nach­zu­schi­cken, als auf ein­mal zi­schen­de Was­ser von al­len Sei­ten her, aus Stei­nen und Mau­ern, aus Bo­den und Zwei­gen her­vor­sprüh­ten und, wo ich mich hin­wen­de­te, kreuz­wei­se auf mich los­peitsch­ten. Mein leich­tes Ge­wand war in kur­z­er Zeit völ­lig durch­nässt; zer­schlitzt war es schon, und ich säum­te nicht, es mir ganz vom Lei­be zu rei­ßen. Die Pan­tof­feln warf ich von mir, und so eine Hül­le nach der an­de­ren; ja ich fand es end­lich bei dem war­men Tage sehr an­ge­nehm, ein sol­ches Strahl­bad über mich er­ge­hen zu las­sen. Ganz nackt schritt ich nun gra­vi­tä­tisch zwi­schen die­sen will­komm­nen Ge­wäs­sern ein­her und dach­te mich lan­ge so wohl be­fin­den zu kön­nen. Mein Zorn ver­kühl­te sich, und ich wünsch­te nichts mehr als eine Ver­söh­nung mit mei­ner klei­nen Geg­ne­rin. Doch in ei­nem Nu schnapp­ten die Was­ser ab, und ich stand nun feucht auf ei­nem durch­näss­ten Bo­den. Die Ge­gen­wart des al­ten Man­nes, der un­ver­mu­tet vor mich trat, war mir kei­nes­wegs will­kom­men; ich hät­te ge­wünscht, mich, wo nicht ver­ber­gen, doch we­nigs­tens ver­hül­len zu kön­nen. Die Be­schä­mung, der Frost­schau­er, das Be­stre­ben, mich ei­ni­ger­ma­ßen zu be­de­cken, lie­ßen mich eine höchst er­bärm­li­che Fi­gur spie­len; der Alte be­nutz­te den Au­gen­blick, um mir die größ­ten Vor­wür­fe zu ma­chen. »Was hin­dert mich«, rief er aus, »dass ich nicht eine der grü­nen Schnuren er­grei­fe und sie, wo nicht Eu­rem Hals, doch Eu­rem Rücken an­mes­se!« Die­se Dro­hung nahm ich höchst übel. »Hü­tet Euch«, rief ich aus, »vor sol­chen Wor­ten, ja nur vor sol­chen Ge­dan­ken: denn sonst seid Ihr und Eure Ge­bie­te­rin­nen ver­lo­ren!« – »Wer bist denn du«, frag­te er trut­zig, »dass du so re­den darfst?« – »Ein Lieb­ling der Göt­ter«, sag­te ich, »von dem es ab­hängt, ob jene Frau­en­zim­mer wür­di­ge Gat­ten fin­den und ein glück­li­ches Le­ben füh­ren sol­len, oder ob er sie will in ih­rem Zau­ber­klos­ter ver­schmach­ten und ver­al­ten las­sen.« – Der Alte trat ei­ni­ge Schrit­te zu­rück. »Wer hat dir das of­fen­bart?« frag­te er er­staunt und be­denk­lich. – »Drei Äp­fel«, sag­te ich, »drei Ju­we­len.« – »Und was ver­langst du zum Lohn?« rief er aus. – »Vor al­len Din­gen das klei­ne Ge­schöpf«, ver­setz­te ich, »die mich in die­sen ver­wünsch­ten Zu­stand ge­bracht hat.« – Der Alte warf sich vor mir nie­der, ohne sich vor der noch feuch­ten und schlam­mi­gen Erde zu scheu­en; dann stand er auf, ohne be­netzt zu sein, nahm mich freund­lich bei der Hand, führ­te mich in je­nen Saal, klei­de­te mich be­händ wie­der an, und bald war ich wie­der sonn­täg­lich ge­putzt und fri­siert wie vor­her. Der Pfört­ner sprach kein Wort wei­ter; aber ehe er mich über die Schwel­le ließ, hielt er mich an und deu­te­te mir auf ei­ni­ge Ge­gen­stän­de an der Mau­er drü­ben über den Weg, in­dem er zu­gleich rück­wärts auf das Pfört­chen zeig­te. Ich ver­stand ihn wohl: er woll­te näm­lich, dass ich mir die Ge­gen­stän­de ein­prä­gen möch­te, um das Pfört­chen de­sto ge­wis­ser wie­der­zu­fin­den, wel­ches sich un­ver­se­hens hin­ter mir zu­schloss. Ich merk­te mir nun wohl, was mir ge­gen­über­stand. Über eine hohe Mau­er rag­ten die Äste ur­al­ter Nuss­bäu­me her­über und be­deck­ten zum Teil das Ge­sims, wo­mit sie en­dig­te. Die Zwei­ge reich­ten bis an eine stei­ner­ne Ta­fel, de­ren ver­zier­te Ein­fas­sung ich wohl er­ken­nen, de­ren In­schrift ich aber nicht le­sen konn­te. Die ruh­te auf dem Krag­stein ei­ner Ni­sche, in wel­cher ein künst­lich ge­ar­bei­te­ter Brun­nen, von Scha­le zu Scha­le, Was­ser in ein großes Be­cken goss, das wie einen klei­nen Teich bil­de­te und sich in die Erde ver­lor. Brun­nen, In­schrift, Nuss­bäu­me, al­les stand senk­recht über ein­an­der: ich woll­te es ma­len, wie ich es ge­sehn habe.

      Nun lässt sich wohl den­ken, wie ich die­sen Abend und man­chen fol­gen­den Tag zu­brach­te und wie oft ich mir die­se Ge­schich­ten, die ich kaum selbst glau­ben konn­te, wie­der­hol­te. So­bald mir’s nur ir­gend mög­lich war, ging ich wie­der


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