Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

Читать онлайн книгу.

Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


Скачать книгу
der Lieb­ha­ber.« – »Es freut mich«, ver­setz­te er dar­auf, »dass Ihr sol­che Ar­beit liebt. In­wen­dig ist die Pfor­te noch viel schö­ner: tre­tet her­ein, wenn es Euch ge­fällt.« Mir war bei der Sa­che nicht ganz wohl zu Mute. Die wun­der­li­che Klei­dung des Pfört­ners, die Ab­ge­le­gen­heit und ein sonst ich weiß nicht was, das in der Luft zu lie­gen schi­en, be­klemm­te mich. Ich ver­weil­te da­her un­ter dem Vor­wan­de, die Au­ßen­sei­te noch län­ger zu be­trach­ten, und blick­te da­bei ver­stoh­len in den Gar­ten: denn ein Gar­ten war es, der sich vor mir er­öff­net hat­te. Gleich hin­ter der Pfor­te sah ich einen großen be­schat­te­ten Platz; alte Lin­den, re­gel­mä­ßig von­ein­an­der ab­ste­hend, be­deck­ten ihn völ­lig mit ih­ren dicht in ein­an­der grei­fen­den Äs­ten, so­dass die zahl­reichs­ten Ge­sell­schaf­ten in der größ­ten Ta­ges­hit­ze sich dar­un­ter hät­ten er­qui­cken kön­nen. Schon war ich auf die Schwel­le ge­tre­ten, und der Alte wuss­te mich im­mer um einen Schritt wei­ter zu lo­cken. Ich wi­der­stand auch ei­gent­lich nicht: denn ich hat­te je­der­zeit ge­hört, dass ein Prinz oder Sul­tan in sol­chem Fal­le nie­mals fra­gen müs­se, ob Ge­fahr vor­han­den sei. Hat­te ich doch auch mei­nen De­gen an der Sei­te; und soll­te ich mit dem Al­ten nicht fer­tig wer­den, wenn er sich feind­lich er­wei­sen woll­te? Ich trat also ganz ge­si­chert hin­ein; der Pfört­ner drück­te die Türe zu, die so lei­se ein­schnapp­te, dass ich es kaum spür­te. Nun zeig­te er mir die in­wen­dig an­ge­brach­te, wirk­lich noch viel kunst­rei­che­re Ar­beit, leg­te sie mir aus und be­wies mir da­bei ein be­son­de­res Wohl­wol­len. Hier­durch nun völ­lig be­ru­higt, ließ ich mich in dem be­laub­ten Rau­me an der Mau­er, die sich ins Run­de zog, wei­ter­füh­ren und fand man­ches an ihr zu be­wun­dern. Ni­schen, mit Mu­scheln, Koral­len und Me­tall­stu­fen künst­lich aus­ge­ziert, ga­ben aus Tri­to­nen­mäu­lern reich­li­ches Was­ser in mar­mor­ne Be­cken; da­zwi­schen wa­ren Vo­gel­häu­ser an­ge­bracht und an­de­re Ver­git­te­run­gen, worin Eich­hörn­chen her­um­hüpf­ten, Meer­schwein­chen hin und wi­der lie­fen, und was man nur sonst von ar­ti­gen Ge­schöp­fen wün­schen kann. Die Vö­gel rie­fen und san­gen uns an, wie wir vor­schrit­ten, die Sta­re be­son­ders schwätz­ten das när­rischs­te Zeug; der eine rief im­mer: Pa­ris! Pa­ris! und der an­de­re: Nar­ziss! Nar­ziss! so deut­lich, als es ein Schul­kna­be nur aus­spre­chen kann. Der Alte schi­en mich im­mer ernst­haft an­zu­se­hen, in­dem die Vö­gel die­ses rie­fen; ich tat aber nicht, als wenn ich’s merk­te, und hat­te auch wirk­lich nicht Zeit, auf ihn acht zu ge­ben: denn ich konn­te wohl ge­wahr wer­den, dass wir in die Run­de gin­gen und dass die­ser be­schat­te­te Raum ei­gent­lich ein großer Kreis sei, der einen an­de­ren viel be­deu­ten­dern um­schlie­ße. Wir wa­ren auch wirk­lich wie­der bis ans Pfört­chen ge­langt, und es schi­en, als wenn der Alte mich hin­aus­las­sen wol­le; al­lein mei­ne Au­gen blie­ben auf ein gold­nes Git­ter ge­rich­tet, wel­ches die Mit­te die­ses wun­der­ba­ren Gar­tens zu um­zäu­nen schi­en und das ich auf un­serm Gan­ge hin­läng­lich zu be­ob­ach­ten Ge­le­gen­heit fand, ob mich der Alte gleich im­mer an der Mau­er und also ziem­lich ent­fernt von der Mit­te zu hal­ten wuss­te. Als er nun eben auf das Pfört­chen los­ging, sag­te ich zu ihm, mit ei­ner Ver­beu­gung: »Ihr seid so äu­ßerst ge­fäl­lig ge­gen mich ge­we­sen, dass ich wohl noch eine Bit­te wa­gen möch­te, ehe ich von Euch schei­de. Dürf­te ich nicht je­nes gold­ne Git­ter nä­her be­se­hen, das in ei­nem sehr wei­ten Krei­se das In­ne­re des Gar­tens ein­zu­schlie­ßen scheint?« – »Recht gern«, ver­setz­te je­ner, »aber so­dann müsst Ihr Euch ei­ni­gen Be­din­gun­gen un­ter­wer­fen.« – »Wo­rin be­ste­hen sie?« frag­te ich has­tig. – »Ihr müsst Eu­ren Hut und De­gen hier zu­rück­las­sen und dürft mir nicht von der Hand, in­dem ich Euch be­glei­te.« – »Herz­lich gern!« er­wi­der­te ich und leg­te Hut und De­gen auf die ers­te bes­te stei­ner­ne Bank. So­gleich er­griff er mit sei­ner Rech­ten mei­ne Lin­ke, hielt sie fest und führ­te mich mit ei­ni­ger Ge­walt ge­ra­de vor­wärts. Als wir ans Git­ter ka­men, ver­wan­del­te sich mei­ne Ver­wun­de­rung in Er­stau­nen: so et­was hat­te ich nie ge­se­hen. Auf ei­nem ho­hen So­ckel von Mar­mor stan­den un­zäh­li­ge Spie­ße und Par­ti­sa­nen ne­ben ein­an­der ge­reiht, die durch ihre selt­sam ver­zier­ten obe­ren En­den zu­sam­men­hin­gen und einen gan­zen Kreis bil­de­ten. Ich schau­te durch die Zwi­schen­räu­me und sah gleich da­hin­ter ein sanft flie­ßen­des Was­ser, auf bei­den Sei­ten mit Mar­mor ein­ge­fasst, das in sei­nen kla­ren Tie­fen eine große An­zahl von Gold- und Sil­ber­fi­schen se­hen ließ, die sich bald sach­te, bald ge­schwind, bald ein­zeln, bald zug­wei­se hin und her be­weg­ten. Nun hät­te ich aber auch gern über den Kanal ge­se­hen, um zu er­fah­ren, wie es in dem Her­zen des Gar­tens be­schaf­fen sei; al­lein da fand ich zu mei­ner großen Be­trüb­nis, dass an der Ge­gen­sei­te das Was­ser mit ei­nem glei­chen Git­ter ein­ge­fasst war, und zwar so künst­li­cher­wei­se, dass auf einen Zwi­schen­raum dies­seits ge­ra­de ein Spieß oder eine Par­ti­sa­ne jen­seits pass­te und man also, die üb­ri­gen Zie­ra­ten mit­ge­rech­net, nicht hin­durch­se­hen konn­te, man moch­te sich stel­len wie man woll­te. Über­dies hin­der­te mich der Alte, der mich noch im­mer fest­hielt, dass ich mich nicht frei be­we­gen konn­te. Mei­ne Neu­gier wuchs in­des, nach al­lem, was ich ge­se­hen, im­mer mehr, und ich nahm mir ein Herz, den Al­ten zu fra­gen, ob man nicht auch hin­über­kom­men kön­ne. – »Wa­rum nicht?« ver­setz­te je­ner, »aber auf neue Be­din­gun­gen.« – Als ich nach die­sen frag­te, gab er mir zu er­ken­nen, dass ich mich um­klei­den müs­se. Ich war es sehr zu­frie­den; er führ­te mich zu­rück nach der Mau­er in einen klei­nen rein­li­chen Saal, an des­sen Wän­den man­cher­lei Klei­dun­gen hin­gen, die sich sämt­lich dem ori­en­ta­li­schen Ko­stüm zu nä­hern schie­nen. Ich war ge­schwind um­ge­klei­det, er streif­te mei­ne ge­pu­der­ten Haa­re un­ter ein bun­tes Netz, nach­dem er sie zu mei­nem Ent­set­zen ge­wal­tig aus­ge­stäubt hat­te. Nun fand ich mich vor ei­nem großen Spie­gel in mei­ner Ver­mum­mung gar hübsch und ge­fiel mir bes­ser als in mei­nem stei­fen Sonn­tags­klei­de. Ich mach­te ei­ni­ge Ge­bär­den und Sprün­ge, wie ich sie von den Tän­zern auf dem Mess­thea­ter ge­se­hen hat­te. Un­ter die­sem sah ich in den Spie­gel und er­blick­te zu­fäl­lig das Bild ei­ner hin­ter mir be­find­li­chen Ni­sche. Auf ih­rem wei­ßen Grun­de hin­gen drei grü­ne Strick­chen, je­des in sich auf eine Wei­se ver­schlun­gen, die mir in der Fer­ne nicht deut­lich wer­den woll­te. Ich kehr­te mich da­her et­was has­tig um und frag­te den Al­ten nach der Ni­sche so­wie nach den Strick­chen. Er, ganz ge­fäl­lig, hol­te eins her­un­ter und zeig­te es mir. Es war eine grün­sei­de­ne Schnur von mä­ßi­ger Stär­ke, de­ren bei­de En­den, durch ein zwie­fach durch­schnit­te­nes grü­nes Le­der ge­schlun­gen, ihr das An­sehn ga­ben, als sei es ein Werk­zeug zu ei­nem eben nicht sehr er­wünsch­ten Ge­brauch. Die Sa­che schi­en mir be­denk­lich, und ich frag­te den Al­ten nach der Be­deu­tung. Er ant­wor­te­te mir ganz ge­las­sen und gü­tig: es sei die­ses für die­je­ni­gen, wel­che das Ver­trau­en miss­brauch­ten, das man ih­nen hier zu schen­ken be­reit sei. Er hing die Schnur wie­der an ihre Stel­le und ver­lang­te so­gleich, dass ich ihm fol­gen sol­le: denn dies­mal fass­te er mich nicht an, und so ging ich frei ne­ben ihm her.

      Mei­ne größ­te Neu­gier war nun­mehr, wo die Türe, wo die Brücke sein möch­te, um durch das Git­ter, um über den Kanal zu kom­men: denn ich hat­te der­glei­chen bis jetzt noch nicht aus­fin­dig ma­chen kön­nen. Ich be­trach­te­te da­her die gol­de­ne Um­zäu­nung sehr ge­nau, als wir dar­auf zu­eil­ten; al­lein au­gen­blick­lich ver­ging mir das Ge­sicht: denn un­er­war­tet be­gan­nen Spie­ße,


Скачать книгу