Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


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Na­tur ihm wohl manch­mal zu schaf­fen mach­ten, ihn so­gar zu den so­ge­nann­ten From­men hin­zog; und so woll­te er, wie von Loen das Hofle­ben, eben so das Ge­schäfts­le­ben ei­ner ge­wis­sen­haf­te­ren Be­hand­lung ent­ge­gen­füh­ren. Die große An­zahl der klei­nen deut­schen Höfe stell­te eine Men­ge von Her­ren und Die­nern dar, wo­von die ers­ten un­be­ding­ten Ge­hor­sam ver­lang­ten und die an­de­ren meis­ten­teils nur nach ih­ren Über­zeu­gun­gen wir­ken und die­nen woll­ten. Es ent­stand da­her ein ewi­ger Kon­flikt und schnel­le Ver­än­de­run­gen und Ex­plo­sio­nen, weil die Wir­kun­gen des un­be­ding­ten Han­delns im klei­nen viel ge­schwin­der merk­lich und schäd­lich wer­den als im großen. Vie­le Häu­ser wa­ren ver­schul­det, und kai­ser­li­che De­bit­kom­mis­sio­nen er­nannt; an­de­re fan­den sich lang­sa­mer oder ge­schwin­der auf dem­sel­ben Wege, wo­bei die Die­ner ent­we­der ge­wis­sen­los Vor­teil zo­gen, oder ge­wis­sen­haft sich un­an­ge­nehm und ver­hasst mach­ten. Mo­ser woll­te als Staats- und Ge­schäfts­mann wir­ken, und hier gab sein er­erb­tes, bis zum Me­tier aus­ge­bil­de­tes Ta­lent ihm eine ent­schie­de­ne Aus­beu­te; aber er woll­te auch zu­gleich als Mensch und Bür­ger han­deln und sei­ner sitt­li­chen Wür­de so we­nig als mög­lich ver­ge­ben. Sein »Herr und Die­ner«, sein »Da­niel in der Lö­wen­gru­be«, sei­ne »Re­li­qui­en« schil­dern durch­aus die Lage, in wel­cher er sich zwar nicht ge­fol­tert, aber doch im­mer ge­klemmt fühl­te. Sie deu­ten sämt­lich auf eine Un­ge­duld in ei­nem Zu­stand, mit des­sen Ver­hält­nis­sen man sich nicht ver­söh­nen und den man doch nicht los­wer­den kann. Bei die­ser Art, zu den­ken und zu emp­fin­den, muss­te er frei­lich mehr­mals an­de­re Diens­te su­chen, an wel­chen es ihm sei­ne große Ge­wandt­heit nicht feh­len ließ. Ich er­in­ne­re mich sei­ner als ei­nes an­ge­neh­men, be­weg­li­chen und da­bei zar­ten Man­nes.

      Aus der Fer­ne mach­te je­doch der Name Klop­stock auch schon auf uns eine große Wir­kung. Im An­fang wun­der­te man sich, wie ein so vor­treff­li­cher Mann so wun­der­lich hei­ßen kön­ne; doch ge­wöhn­te man sich bald dar­an und dach­te nicht mehr an die Be­deu­tung die­ser Sil­ben. In mei­nes Va­ters Biblio­thek hat­te ich bis­her nur die frü­he­ren, be­son­ders die zu sei­ner Zeit nach und nach her­auf­ge­kom­me­nen und ge­rühm­ten Dich­ter ge­fun­den. Alle die­se hat­ten ge­reimt, und mein Va­ter hielt den Reim für poe­ti­sche Wer­ke un­er­läss­lich. Ca­nitz, Ha­ge­dorn, Drol­lin­ger, Gel­lert, Creuz, Hal­ler stan­den in schö­nen Franz­bän­den in ei­ner Rei­he. An die­se schlos­sen sich Neu­kirchs »Te­le­mach«, Kop­pens »be­frei­tes Je­ru­sa­lem« und an­de­re Über­set­zun­gen. Ich hat­te die­se sämt­li­chen Bän­de von Kind­heit auf flei­ßig durch­ge­le­sen und teil­wei­se me­mo­riert, wes­halb ich denn zur Un­ter­hal­tung der Ge­sell­schaft öf­ters auf­ge­ru­fen wur­de. Eine ver­drieß­li­che Epo­che im Ge­gen­teil er­öff­ne­te sich für mei­nen Va­ter, als durch Klop­stocks »Mes­si­as« Ver­se, die ihm kei­ne Ver­se schie­nen, ein Ge­gen­stand der öf­fent­li­chen Be­wun­de­rung wur­den. Er selbst hat­te sich wohl ge­hü­tet, die­ses Werk an­zu­schaf­fen; aber un­ser Haus­freund, Rat Schnei­der, schwärz­te es ein und steck­te es der Mut­ter und den Kin­dern zu.

      Auf die­sen ge­schäftstä­ti­gen Mann, wel­cher we­nig las, hat­te der »Mes­si­as« gleich bei sei­ner Er­schei­nung einen mäch­ti­gen Ein­druck ge­macht. Die­se so na­tür­lich aus­ge­drück­ten und doch so schön ver­edel­ten from­men Ge­füh­le, die­se ge­fäl­li­ge Spra­che, wenn man sie auch nur für har­mo­ni­sche Pro­sa gel­ten ließ, hat­ten den üb­ri­gens trock­nen Ge­schäfts­mann so ge­won­nen, dass er die zehn ers­ten Ge­sän­ge, denn von die­sen ist ei­gent­lich die Rede, als das herr­lichs­te Er­bau­ungs­buch be­trach­te­te und sol­ches alle Jah­re ein­mal in der Kar­wo­che, in wel­cher er sich von al­len Ge­schäf­ten zu ent­bin­den wuss­te, für sich im Stil­len durch­las und sich dar­an fürs gan­ze Jahr er­quick­te. An­fangs dach­te er sei­ne Emp­fin­dun­gen sei­nem al­ten Freun­de mit­zu­tei­len; al­lein er fand sich sehr be­stürzt, als er eine un­heil­ba­re Ab­nei­gung vor ei­nem Wer­ke von so köst­li­chem Ge­halt, we­gen ei­ner, wie es ihm schi­en, gleich­gül­ti­gen äu­ßern Form, ge­wahr wer­den muss­te. Es fehl­te, wie sich leicht den­ken lässt, nicht an Wie­der­ho­lung des Ge­sprächs über die­sen Ge­gen­stand; aber bei­de Tei­le ent­fern­ten sich im­mer wei­ter von­ein­an­der, es gab hef­ti­ge Sze­nen, und der nach­gie­bi­ge Mann ließ sich end­lich ge­fal­len, von sei­nem Lieb­lings­wer­ke zu schwei­gen, da­mit er nicht zu­gleich einen Ju­gend­freund und eine gute Sonn­tags­sup­pe ver­lö­re.

      Pro­se­ly­ten zu ma­chen, ist der na­tür­lichs­te Wunsch ei­nes je­den Men­schen, und wie sehr fand sich un­ser Freund im Stil­len be­lohnt, als er in der üb­ri­gen Fa­mi­lie für sei­nen Hei­li­gen so of­fen ge­sinn­te Ge­mü­ter ent­deck­te. Das Exem­plar, das er jähr­lich nur eine Wo­che brauch­te, war uns für die üb­ri­ge Zeit ge­wid­met. Die Mut­ter hielt es heim­lich, und wir Ge­schwis­ter be­mäch­tig­ten uns des­sel­ben, wann wir konn­ten, um in Frei­stun­den, in ir­gend ei­nem Win­kel ver­bor­gen, die auf­fallends­ten Stel­len aus­wen­dig zu ler­nen und be­son­ders die zar­tes­ten und hef­tigs­ten so ge­schwind als mög­lich ins Ge­dächt­nis zu fas­sen.

      Por­ti­as Traum re­zi­tier­ten wir um die Wet­te, und in das wil­de ver­zwei­feln­de Ge­spräch zwi­schen Sa­tan und Adra­me­lech, wel­che ins Tote Meer ge­stürzt wor­den, hat­ten wir uns ge­teilt. Die ers­te Rol­le, als die ge­walt­sams­te, war auf mein Teil ge­kom­men, die an­de­re, um ein we­nig kläg­li­cher, über­nahm mei­ne Schwes­ter. Die wech­sel­sei­ti­gen, zwar gräss­li­chen, aber doch wohl­klin­gen­den Ver­wün­schun­gen flos­sen nur so vom Mun­de, und wir er­grif­fen jede Ge­le­gen­heit, uns mit die­sen höl­li­schen Re­dens­ar­ten zu be­grü­ßen.

      Es war ein Sams­tags­abend im Win­ter – der Va­ter ließ sich im­mer bei Licht ra­sie­ren, um Sonn­tags früh sich zur Kir­che be­quem­lich an­zie­hen zu kön­nen – wir sa­ßen auf ei­nem Sche­mel hin­ter dem Ofen und mur­mel­ten, wäh­rend der Bar­bier ein­seif­te, un­se­re her­kömm­li­chen Flü­che ziem­lich lei­se. Nun hat­te aber Adra­me­lech den Sa­tan mit ei­ser­nen Hän­den zu fas­sen, mei­ne Schwes­ter pack­te mich ge­wal­tig an und re­zi­tier­te, zwar lei­se ge­nug, aber doch mit stei­gen­der Lei­den­schaft:

       Hilf mir! ich fle­he dich an, ich bete, wenn du es for­derst,

       Un­ge­heu­er, dich an!… Ver­worf­ner, schwar­zer Ver­bre­cher,

       Hilf mir! ich lei­de die Pein des rä­chen­den ewi­gen To­des!

       Vor­mals konnt’ ich mit heißem, mit grim­mi­gem Has­se dich has­sen!

       Jetzt ver­mag ich’s nicht mehr! Auch dies ist ste­chen­der Jam­mer!

      Bis­her war al­les leid­lich ge­gan­gen; aber laut, mit fürch­ter­li­cher Stim­me, rief sie die fol­gen­den Wor­te:

       O wie bin ich zer­malmt! …

      Der gute Chir­ur­gus er­schrak und goss dem Va­ter das Sei­fen­be­cken in die Brust. Da gab es einen großen Auf­stand, und eine stren­ge Un­ter­su­chung ward ge­hal­ten, be­son­ders in Be­tracht des Un­glücks, das hät­te ent­ste­hen kön­nen, wenn man schon im Ra­sie­ren be­grif­fen ge­we­sen wäre. Um al­len Ver­dacht des Mut­wil­lens von uns ab­zu­leh­nen, be­kann­ten wir uns zu un­sern teuf­li­schen Rol­len, und das Un­glück, das die Hexa­me­ter an­ge­rich­tet hat­ten, war zu of­fen­bar, als dass man


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