Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.meisten rasierten sich und nahmen die Bärte ab. Danach fühlten sie sich wie neugeboren.
Die Indios versorgten auch die Maultiere und führten sie auf die Weide, wo die Schafe grasten. Dabei sahen die Männer, daß die Familie auch Weizen, Mais und Bohnen anbaute. Hier, in der Nähe des kleinen Geysirs war die Erde wärmer und der Boden auch im Winter nicht gefroren.
Am Abend gab es wieder Kartoffeln und stark gewürzte Anticuchos, die mit Zwiebeln und Pfefferschoten gereicht wurden. Die Anticuchos waren kleine Hammelfleischstücke, die auf einen langen Spieß gesteckt wurden. Als die Indios herausgefunden hatten, daß die Männer gern Bier tranken, schenkten sie unermüdlich ein. Sie wurden schon wie Helden gefeiert, als hätten sie die Silberminen von Potosi längst lahmgelegt.
Nach dem Essen unterhielten die Indios sie mit Musik von einer Art, wie noch keiner der Männer sie gehört hatte. Es waren fremde, aber wohlklingende Töne, meist etwas schwermütig.
Der eine blies auf der Panflöte Sicus, die aus einem Dutzend Pfeifen bestand, die unten geschlossen und in Reihen miteinander verbunden waren. Der andere blies auf der blockflötenartigen Kena, die aus sieben Grifflöchern bestand und das Lieblingsinstrument der bolivianischen Indios war. Später wechselte er das Instrument gegen ein Bajón aus, ein Mundstückinstrument aus Baumrinde und gebranntem Ton.
Aus der Musik klang die Einsamkeit der Puna, das harte und entbehrungsreiche Leben der Indios.
Die Töne waren harmonisch, ein bißchen wehmütig und fast elegisch. Einer der Indios sang später mit heller klarer Stimme, während der andere ihn auf der Sicus begleitete.
„Sie besingen die Puna, die Berge und den Kondor“, erklärte der Pater.
Inzwischen war es längst dunkel geworden. Über der Puna blies der kühle Wind sein monotones Lied.
Nach diesem Tag hatten die Seewölfe ein ganz anderes Bild von den Indios mit ihrer alten Kultur. Stolz waren sie, aber ihr Stolz wurde von den Spaniern gebrochen. Sie wurden verschleppt, gefoltert, mit Bluthunden gejagt und versklavt. Und ihre Frauen wurden vergewaltigt.
„Wenn ich noch einmal von einem lausigen Don höre“, sagte Ed grimmig, „daß er von Indioaffen spricht, dann breche ich ihm das Genick, so wahr ich Edwin Carberry heiße. Wird höllisch Zeit, daß wir den Dons in die Silberminen spucken. Ich kann es kaum noch erwarten.“
„Ja, sie behandeln diese Leute wie Vieh“, sagte Hasard. „Aber wir werden bald Gelegenheit haben, unseren Plan durchzuführen. Wir brechen morgen gleich nach Sonnenaufgang auf.“
In dieser Nacht schliefen sie auf Stroh und brauchten keine Zelte aufzuschlagen. Hier gab es auch keinen Wind, der ihnen eisigkalt in die Knochen fuhr. Sie schliefen so gut wie schon lange nicht mehr.
5.
Am nächsten Morgen brachen sie auf und sahen noch einmal nach Fred Finley, der lebhaft bedauerte an dem Unternehmen nicht teilhaben zu können.
„Auf dem Rückweg holen wir dich wieder ab“, versprach Ribault. „Bis dahin ist dein Knöchel sicher geheilt. Und keine Sorge, Fred: Die Leute hier werden sich fürsorglich um dich kümmern.“
„Mast- und Schotbruch“, murmelte Finley gerührt. „Und bestellt den Dons einen Gruß von mir, aber einen kräftigen.“
Das versprachen sie alle grinsend. Dann beluden sie ihre Maultiere und verabschiedeten sich von der Indiofamilie. Alle guten Wünsche begleiteten sie.
Aloysius bedankte sich und erklärte noch einmal, daß das Bein von Finley in Ruhestellung bleiben müsse, so wie es jetzt geschient war, damit es heile. Aber darauf verstanden sich die Indios selbst.
Etwas später brach der Trupp auf. Die drei Hunde begleiteten sie noch ein Stück, dann kehrten sie um.
Vor ihnen lag die trostlose Weite der Puna. Einhundertfünfzig Meilen Fußmarsch. Aber jetzt würde der Marsch leichter sein als vorher.
Immer öfter war jetzt der Andenkondor zu sehen, wenn er in unglaublich großen Höhen seine einsamen Kreise zog. Es sah aus, als begleite er die Männer auf ihrem langen Marsch. Immer wieder sahen sie gebannt zu. Der Anblick des großen Vogels war faszinierend.
Die Tage in der Puna waren wieder heiß. In den Nächten dagegen wurde es bitterkalt. Sie kamen jedoch gut voran und konnten stramm ausschreiten. Das Land war rauh, vom Sturm gebeutelt. Nur ganz selten mal gab es einen Baum. Auch Großtiere fehlten. Es gab zwar den Puma, den Berglöwen, und das Huemul, einen geweihtragenden Hirsch, aber sie bekamen in den ersten beiden Tagen keines dieser Tiere zu sehen. Einmal sahen sie ein Vicuña, aber das kniff bei ihrem Anblick in langen Sätzen aus und verschwand hinter einer Mulde.
Auch die Vegetation war karg und dürftig. Meist gab es nur verschiedene Gräser, die von den Indios mit dem Sammelnamen „Ichu“ bezeichnet wurden. Die Halme der Ichugräser waren nadelartig und boten der trockenen Luft kaum eine Angriffsfläche. So hielt sich ihr Wasserverlust in geringen Grenzen.
Dann gab es ein flaches distelähnliches Gewächs. Die anderen Mulis verschmähten es, aber Diego blieb jedesmal stehen und fraß es bis zum Boden ab.
„Du bist vielleicht ein komisches Vieh“, sagte Ed. „Nachher hast du das ganze Maul voller Stacheln.“
Diego nickte und mampfte ungerührt weiter.
Am späten Nachmittag des ersten Tages deutete Dan O’Flynn voraus.
„Was ist denn das für ein Gebilde?“ fragte er. „Das sieht aus wie ein Baumstamm, der in der Mitte eine stachelige Perücke trägt.“
„Vielleicht erleben wir das Wunder der Puna“, sagte Aloysius. „Ich habe es bisher nur einmal gesehen, aber es ist überwältigend.“
„Ein Baumstamm mit Perücke soll überwältigend sein“, meinte Ed. „Das ist höchstens merkwürdig.“
„Laß dich überraschen, Bruder.“
„Sind ja nur noch zwei, drei Meilen“, schätzte Gary Andrews.
„Mindestens acht bis neun“, sagte der Padre. „In der Entfernung kann man sich gewaltig verschätzen, denn hier ist die Luft absolut staubfrei, und was man glaubt, mit Händen greifen zu können, ist noch sehr weit weg.“
Er hatte recht. Es dauerte noch eine Ewigkeit, bis sie das eigenartige Gebilde erreichten. Dann aber waren sie tatsächlich überwältigt und staunten nur noch, daß es in dieser Einöde so etwas gab.
Das Gewächs stand etwas geschützt an einem sanft ansteigenden Hang.
Niemand sprach ein Wort, alle starrten das Ding an. Es war etwa acht bis neun Yards hoch und von faszinierender Schönheit. Unten trug es ein dicker Stamm, dem die „Perücke“ folgte. Darüber hinaus wuchs ein riesiger, einem Maiskolben ähnlicher Stamm, der aus Tausenden von Blüten bestand. Und um diese Blüten schwirrten aufgeregt winzige Kolibris, die ihre langen Schnäbel immer wieder in die Blüten tauchten, um den Nektar herauszusaugen.
„Ich werd’ glatt verrückt“, sagte Ribault. „Hier, in dieser Einöde, wächst so eine phantastische Pflanze? Und dann gibt es hier auch noch Tropenvögel? Was ist das überhaupt, Bruder?“
Aloysius stand andächtig davor.
„Das ist die Puya, die allen Gesetzen des Absterbens trotzt. Man sagt, sie wuchs schon hier, als dieses Land noch flach und sumpfig war. Offenbar hat sie sich bei der Entstehung des Gebirges angepaßt und an immer größeren Höhen gewöhnt. Diese Puya ist etwa hundert Jahre alt, erst dann bildet sie ihre Blüten aus. Es ist mit Sicherheit die einzige, die wir sehen werden, wenn sie in voller Blüte steht. Leider stirbt sie nach dem Blühen ab, aber vorher tut sie noch einmal alles, um ihre Art zu erhalten und zu verbreiten. Die Kolibris fliegen von tief unten aus den Yungas herauf, wenn die Puya blüht, und laben sich an dem süßen Saft der Blüten. Ist sie nicht ein Wunder?“
Das wurde ausnahmslos und staunend bestätigt. Selbst in der öden