Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.des Hellenen, der sich in seinem Eifer von dem Tuche, das seinen Mund und Bart umwehte, befreit hatte, und rief: »Es scheint mir, beim Mithra, als wolltest Du uns Gutes bringen, Hellene! Ich nehme Deinen Vorschlag an. Sind die Gefangenen, trotz Deiner Vermuthung, schuldig, so bist Du verpflichtet, Dein Leben lang als mein Diener an unserem Hofe zu verweilen; vermagst Du aber in der That das zu beweisen, wonach mein Herz sich sehnt, dann will ich Dich zum Reichsten Deiner Landsleute machen.«
Phanes lächelte ablehnend und fragte: »Gestattest Du mir, einige Fragen an Dich und Deine Hofbeamten zu richten?«
»Rede und frage, wie und was Du willst!«
In diesem Augenblicke trat der Jägermeister in die Halle und zeigte an, daß Alles zum Jagen bereit sei.
»Man soll warten!« herrschte der König den vor Eifer, alle Vorbereitungen zu beschleunigen, athemlosen Tischgenossen zu. »Ich weiß nicht, ob wir heute überhaupt jagen werden. Wo ist der Peitschenträger-Hauptmann Bischen?«
Datis, das sogenannte Auge410 des Königs, der nach modernen Begriffen die Stelle des Polizeiministers bekleidete, enteilte dem Zimmer und kam in wenigen Minuten, die Phanes, um verschiedene der anwesenden Großen über allerlei ihm wichtige Einzelnheiten zu befragen, benutzte, mit dem Gesuchten wieder.
»Was treiben die Gefangenen?« fragte Kambyses den vor ihm liegenden Hauptmann.
»Sieg dem Könige! Sie erwarten den Tod mit Ruhe, denn es ist süß, durch Deinen Willen zu sterben.«
»Hast Du ihre Gespräche mit angehört?«
»Ja, mein Herrscher.«
»Gestehen sie einander zu, daß sie schuldig sind?«
»Mithra allein weiß in das Herz zu schauen; aber Du, mein Fürst, würdest, wie ich, Dein ärmster Knecht, an die Unschuld dieser Verdammten glauben, wenn Du sie sprechen hörtest.«
Der Hauptmann schaute ängstlich zum Könige auf, denn er fürchtete, diese Worte möchten seinen Zorn erregt haben; Kambyses aber lächelte freundlich, statt zu grollen. Plötzlich verfinsterte ein trüber Gedanke sein Antlitz, und kaum vernehmbar fragte er: »Wann ist Krösus hingegerichtet worden?«
Der Hauptmann erzitterte bei diesen Worten, Angstschweiß trat vor seine Stirn und seine Lippen vermochten kaum die Worte zu stammeln: »Er ist – er hat – wir dachten –«
»Was dachtet ihr?« unterbrach ihn Kambyses, in dessen Brust eine neue Hoffnung aufdämmerte. »Solltet ihr meinen Befehl nicht sogleich ausgeführt haben? Sollte Krösus noch unter den Lebenden wandeln? Rede, sprich, ich will die volle Wahrheit wissen!«
Der Hauptmann krümmte sich wie ein Wurm zu den Füßen seines Gebieters und stammelte endlich, ihm seine Hände flehentlich entgegenstreckend: »Gnade, Gnade, mein Herrscher! Ich bin ein armer Mann und habe dreißig Kinder, von denen fünfzehn –«
»Ich will wissen, ob Krösus lebt oder nicht!«
»Er lebt! Ich dachte, daß ich nichts Böses thäte, wenn ich ihn, dem ich Alles verdanke, eine Stunde länger leben ließe, damit er . . .«
»Es ist genug!« rief jetzt der König hoch aufathmend. »Diesmal soll Dir Dein Ungehorsam straflos hingehen, und weil Du so viele Kinder hast, mag Dir der Schatzmeister zwei Talente auszahlen. – Gehe jetzt zu den Gefangenen, bescheide Krösus hierher und sage den Anderen, sie möchten, wenn sie unschuldig wären, guten Muthes sein.«
»Mein König ist die Leuchte der Welt und ein Ozean der Gnade!«
»Bartja und seine Freunde sollen nicht länger eingeschlossen bleiben. Sie mögen sich, von euch bewacht, im Palasthofe ergehen; Du, Datis, begibst Dich sogleich zu den hängenden Gärten und befiehlst Boges, die Vollstreckung des Urtheils an der Aegypterin aufzuschieben. Ferner soll zu dem von dem Athener bezeichneten Stationshause geschickt und der dort liegende Verwundete unter sicherer Bedeckung hierher gebracht werden.«
Das Auge des Königs wollte gehen; Phanes hielt ihn aber zurück und fragte. »Gestattet mir mein König eine Bemerkung?«
»Rede!«
»Es scheint mir, als könnte uns der Eunuchen-Oberst die sicherste Auskunft geben. Der phantasirende Jüngling sprach seinen Namen oftmals in Verbindung mit dem seiner Liebsten aus.«
»Eile, Datis, und führe Boges hierher.«
»Auch der Oberpriester Oropastes muß, als Bruder des Gaumata, verhört werden; ebenso Mandane, welche, wie mir so eben auf’s Bestimmteste versichert wurde, die oberste Dienerin der Aegypterin ist.«
»Hole sie, Datis!«
»Wenn man endlich Nitetis selbst . . .«
Bei diesen Worten des Atheners erbleichte der König, und ein leiser Frost überflog seine Glieder. Wie gern hätte er die Geliebte wiedergesehen! Aber der Gewaltige fürchtete sich vor den bestrickenden oder vorwurfsvollen Blicken dieses Weibes; darum rief er, nach der Thür weisend, Datis zu: »Geh’ und hole Boges und Mandane; die Aegypterin soll, wohl bewacht, auf den hängenden Gärten bleiben!«
Der Athener verneigte sich ehrerbietig, als wenn er sagen wollte: »Nur Dir steht es zu, an dieser Stelle zu befehlen.«
Der König betrachtete ihn mit Wohlgefallen und setzte sich wiederum auf den purpurnen Diwan. Sinnend stützte er seine Stirn mit der Hand und schaute zu Boden. Das Bild der einst so innig Geliebten trat, nicht zu bannen, immer greifbarer vor seine Seele, und der Gedanke, daß diese Züge nicht zu täuschen vermöchten, daß Nitetis dennoch unschuldig sein könnte, schlug immer festere Wurzeln in sein der Hoffnung neu geöffnetes Herz. Wenn Bartja freigesprochen werden konnte, dann war auch jeder andere Irrthum denkbar; dann wollte er selbst auf die hängenden Gärten gehen, ihre Hand ergreifen und ihre Vertheidigung anhören. Hat die Liebe einen reifen Mann erfaßt und durchdrungen, so schlingt sie sich wie die Blutadern durch sein ganzes Wesen, und kann nur mit seinem Leben vernichtet werden.
Als Krösus in das Zimmer trat, erwachte Kambyses aus seinen Träumen, hob den Greis, der sich ihm zu Füßen geworfen hatte, freundlich auf und sagte: »Du hast Dich an mir vergangen; ich aber will Gnade üben, weil ich der letzten Worte meines sterbenden Vaters gedenke, der mir befahl, Dich als Rathgeber und Freund hoch zu halten. Nimm Dein Leben aus meiner Hand zurück und vergiß meinen Zorn, wie ich Deine Unehrerbietigkeit vergessen will. Laß Dir jetzt von jenem Manne, der Dich zu kennen behauptet, mittheilen, was er vermuthet. Es verlangt mich darnach, auch Deine Ansicht zu hören.«
Krösus wandte sich, tief bewegt, dem Athener zu und ließ sich von ihm, nachdem er ihn herzlich bewillkommnet hatte, in seine Vermuthungen einweihen.
Der lebhafte Greis folgte ihm immer aufmerksamer, hob, als Phanes schwieg, seine Hände zum Himmel empor und rief: »Verzeiht mir, ihr ewigen Götter, wenn ich jemals an eurer Gerechtigkeit zweifelte. Ist es nicht wunderbar, Kambyses? Mein Sohn stürzte sich in Gefahr, um diesem edlen Manne das Leben zu retten, und jetzt führen die Götter den Geretteten nach Persien, um Alles, was Gyges ihm erzeigte, zehnfach wieder gut zu machen! Wäre Phanes von den Aegyptern umgebracht worden, so würden vielleicht schon in dieser Stunde die Häupter unserer Söhne gefallen sein!«
Bei diesen Worten warf sich Krösus an die Brust des Hystaspes, der, gleich ihm, seinen Lieblingssohn zum Zweitenmale geboren werden sah.
Der König, Phanes und die persischen Würdenträger sahen tief bewegt auf die sich umarmenden Greise. Keiner der Anwesenden zweifelte mehr an der Unschuld des Bartja, obgleich sie bisher nur durch Vermuthungen begründet worden war. Wo der Glaube an die Schuld gering ist, pflegt der Vertheidiger offene Ohren zu finden.
Elftes Kapitel
Phanes hatte mit echt attischem Scharfsinn aus dem Gehörten den rechten Sachverhalt dieser traurigen Angelegenheit errathen; ja ihm