Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Kraft ihrer Seele festzuhalten.
Da rief Atossa ihren Namen mit ungestümer Zärtlichkeit. – Von Neuem schlug sie die Augen auf und begegnete abermals denselben liebevollen Blicken, von denen sie geträumt zu haben glaubte. Ja, das war ihre Atossa, das ihre mütterliche Freundin, das nicht der zürnende König, sondern der Mann, der sie liebte. – Jetzt öffnete auch er die Lippen und rief, sein strenges Herrscherauge wie ein um Gnade Flehender zu ihr aufschlagend: »O Nitetis, erwache! Du darfst, Du kannst nicht schuldig sein!« Freudig verneinend bewegte sie leise ihr Haupt, und über ihre schönen Züge schwebte, wie der Hauch des jungen Lenzes über Rosenbeete, ein wonniges Lächeln.
»Sie ist unschuldig; beim Mithra, sie kann nicht schuldig sein!« rief Kambyses zum Andernmale und stürzte, der Anwesenden nicht achtend, auf die Kniee nieder.
Ein persischer Heilkünstler näherte sich jetzt der Geretteten und bestrich ihre Schläfen mit einem süßen Duft verbreitenden Salböl, während der Augenarzt Nebenchari Beschwörungsformeln murmelnd, kopfschüttelnd ihren Puls befühlte und ihr einen Trank aus seiner Handapotheke reichte. Nun gewann sie ihre volle Besinnung wieder und fragte, sich an Kambyses wendend, nachdem sie sich mühsam aufgerichtet und die Liebesbezeugungen der Freundinnen erwiedert hatte: »Wie konntest Du Solches von mir denken, mein König?!« Kein Vorwurf, nur tiefes Weh sprach aus diesen Worten, welche Kambyses mit der leisen Bitten »Verzeihe mir,« beantwortete.
Kassandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer blinden Augen dieser Selbstverleugnung ihres Sohnes und sagte. »Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung.«
»Ich aber habe nie an Dir gezweifelt!« rief Atossa, die Freundin stolz und glücklich auf den Mund küssend.
»Dein Schreiben an Bartja erschütterte meinen Glauben an Deine Unschuld,« fügte die Mutter des Kambyses hinzu.
»Und doch war das Alles so einfach und natürlich,« antwortete Nitetis. »Hier, meine Mutter, nimm diesen Brief aus Aegypten. Krösus mag ihn Dir übersetzen. Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorsichtig gewesen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mittheilen, mein König. O, bitte, spotte nicht meiner armen; kranken Schwester. Wenn eine Aegypterin liebt, so kann sie nicht vergessen. Mir ist so bang! Es geht zu Ende. Die letzten Stunden waren gar so entsetzlich! Das furchtbare Todesurtheil, welches Boges, der entsetzliche Mann, mir vorlas, dies Urtheil zwang mir das Gift in die Hand. Ach, mein Herz!«
Mit diesen Worten sank sie in den Schooß der Greisin zurück. Nebenchari, der Arzt, stürzte herbei, flößte der Kranken einige neue Tropfen ein und rief: »Dachte ich’s doch! Sie hat Gift genommen und wird sicher sterben, wenn dieses Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige Tage verzögert!«
Kambyses stand neben ihm, bleich und starr jede seiner Bewegungen verfolgend, während Atossa die Stirn der Freundin mit Thränen benetzte.
»Man bringe Milch und hole meinen großen Arzneikasten,« befahl der Augenarzt. »Rufet auch Dienerinnen, um sie fortzutragen, denn vor allen Dingen ist sie der Ruhe bedürftig.«
Atossa eilte in das Nebenzimmer; Kambyses aber fragte den Heilkünstler, ohne ihn anzublicken: »Gibt es keine Rettung?«
»Das Gift, welches sie genossen, hat unfehlbaren Tod zur Folge.«
Als der König diese Worte vernommen hatte, stieß er den Arzt von der Kranken zurück und rief: »Sie soll leben! Ich befehl’ es! Hierher, Eunuch! Alle Aerzte in Babylon werden aufgeboten, alle Priester und Mobeds414 berufen! Sie soll leben, hört ihr, sie muß leben, ich befehl’ es, ich, der König!«
In diesem Augenblick öffnete Nitetis ihre Augen, als wollte sie dem Befehl ihres Gebieters Folge leisten. Ihr Angesicht war dem Fenster zugekehrt. Aus dem Cypressenbaume vor demselben saß der Paradiesvogel mit dem goldenen Kettlein am Fuße. – Die Blicke der Leidenden fielen zuerst auf den vor ihr niedergesunkenen Geliebten, der seine heißen Lippen auf ihre Rechte preßte. Lächelnd murmelte sie: »O dieses Glück!« Dann erblickte sie den Vogel, zeigte mit der Linken auf ihn hin und rief: »O sehet, sehet! Der Vogel des Ra, der Phönix!«
Nach diesen Worten schloß sie ihre Augen und verfiel bald darauf in ein heftiges Fieber.
Dritter Band
Erstes Kapitel
Prexaspes, der Botschafter des Königs, einer der vornehmsten Hofbeamten, hatte Gaumata, den Geliebten der Mandane, dessen Aehnlichkeit mit Bartja in der That staunenswerth genannt werden mußte, krank und verwundet wie er war, nach Babylon gebracht. Hier wartete er im Kerker des Richterspruches, während Boges, sein Verführer, trotz aller Bemühungen der Sicherheitsbehörde, nirgends aufzufinden war. Das Volksgedränge in den Straßen von Babylon hatte seine Flucht, welche ihm durch die uns bekannte Fallthür aus den hängenden Gärten möglich geworden war, erleichtert. Die Reichthümer, die man in seiner Wohnung vorfand, waren ungeheuer. Ganze Kisten voll Gold und Schmucksachen, die er sich in seiner Stellung leicht verschaffen konnte, wurden in den königlichen Schatz, dem sie entstammten, zurückgeführt. Aber Kambyses hätte gern, um des Verräthers habhaft zu werden, den zehnfachen Betrag dieser Reichthümer hingegeben.
Zwei Tage nach der Freisprechung der Angeklagten ließ er, zu Phädime’s Verzweiflung, alle Bewohnerinnen des Weiberhauses, seine Mutter, Atossa und die mit dem Tode ringende Nitetis ausgenommen, nach Susa schaffen. Mehrere vornehme Eunuchen wurden ihrer hohen Stellen entsetzt. Die Kaste sollte für das Verbrechen ihres der Strafe entronnenen Mitgliedes büßen.
Oropastes, welcher sein Amt als Stellvertreter des Königs bereits angetreten und seine Unschuld an dem Verbrechen seines Bruders klar erwiesen hatte, belehnte ausschließlich Magier mit den erledigten Würden. Die Demonstration, welche von Seiten der Babylonier zu Bartja’s Gunsten stattgefunden hatte, wurde dem Könige erst bekannt, nachdem das Volk schon längst aus einander gelaufen war. Trotz seiner Sorge um Nitetis, die ihn fast ausschließlich in Anspruch nahm, ließ er sich genauen Bericht über diese gesetzwidrigen Vorfälle abstatten und befahl die Rädelsführer streng zu strafen. Er glaubte dem Geschehenen entnehmen zu können, daß Bartja um die Gunst des Volkes werbe, und würde ihm vielleicht schon setzt sein Mißfallen thätlich bewiesen haben, wenn ihm nicht sein besseres Gefühl gesagt hätte, daß nicht er dem Bartja, sondern Bartja ihm zu vergeben habe. Trotzdem konnte er den Gedanken, sein Bruder sei wiederum, wenn auch ohne sein Zuthun, an den traurigen Ereignissen der letzten Tage Schuld gewesen, eben so wenig unterdrücken, wie den Wunsch, ihn so vollkommen als möglich zu beseitigen. Darum schenkte er dem Verlangen des Jünglings, sofort nach Naukratis zu reisen, vollen Beifall.
Nach einem zärtlichen Abschiede von seiner Schwester und Mutter machte sich Bartja, zwei Tage nach seiner Freisprechung, auf den Weg. Gyges, Zopyrus und ein zahlreiches Gefolge, welches kostbare Geschenke von Seiten des Kambyses für Sappho mit sich führte, begleiteten ihn. Darius folgte ihm nicht, da ihn seine Liebe für Atossa zurückhielt. Auch war der Tag nicht fern, an welchem er Artystone, die Tochter des Gobryas auf Befehl seines Vaters heimführen sollte.
Bartja trennte sich mit schwerem Herzen von seinem Freunde, dem er in Bezug auf Atossa zur größten Vorsicht rieth. Kassandane wußte jetzt um das Geheimniß der Liebenden und versprach, Darius bei dem Könige das Wort zu reden.
Wenn Einer, so durfte der Sohn des Hystaspes seinen Blick zur Tochter des Cyrus erheben; war er doch eng mit dem regierenden Hause verschwägert, gehörte er doch, wie Kambyses, zu den Pasargaden; war doch sein Stamm eine jüngere Linie der herrschenden Dynastie und darum nicht minder vornehm als diese415. Sein Vater nannte sich das Oberhaupt des gesammten Reichsadels und verwaltete als solches die Provinz Persien, das Mutterland, dem das ungeheure