Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.hatte er ausgesprochen, als der Stabträger einen Eunuchen der Mutter des Königs einführte, durch den sie ihren Sohn um eine Unterredung ersuchen ließ.
Kambyses schickte sich ohne Bedenken an, dem Wunsche der Blinden zu willfahren, reichte Phanes seine Hand zum Kusse, eine seltene und nur den Tischgenossen gewährte Gunstbezeugung, und rief: »Alle Gefangenen sind sofort auf freien Fuß zu setzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr geängstigten Väter, und sagt ihnen, sie möchten meiner Huld und Gnade versichert sein. Es wird sich wohl für Jeden von ihnen eine Satrapie, als Ersatz für diese Nacht unschuldiger Gefangenschaft, finden. Dir, mein hellenischer Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich desselben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu fesseln, bitte ich Dich, Dir von unserem Schatzmeister hundert412 Talente auszahlen zu lassen.«
»Eine so große Summe,« gab Phanes sich verneigend zurück, »werde ich kaum gebrauchen können.«
»Dann mißbrauche sie!« erwiederte der König, freundlich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerichteten Rufe: »Auf Wiedersehen beim Schmause!« von seinen Hofbeamten begleitet, die Halle.
Während dieser Vorgänge herrschte in den Gemächern der Mutter des Königs tiefe Trauer. Kassandane glaubte, nachdem sie den Inhalt jenes Briefes an Bartja vernommen hatte, an die Treulosigkeit der Nitetis, während sie ihren geliebten Sohn für unschuldig hielt. Wem durfte sie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem sie bis dahin die Verkörperung aller weiblichen Tugenden gesehen hatte, eine verworfene Treulose genannt werden mußte, wenn die edelsten Jünglinge meineidig werden konnten?!
Nitetis war für sie mehr als todt; Bartja, Krösus, Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch Bande des Bluts und der Freundschaft verbunden war, so gut als gestorben. Und sie durfte ihrem Schmerze nicht einmal freien Lauf lassen, denn es lag ihr ob, die Ausbrüche der Verzweiflung ihres wilden Kindes zu zügeln.
Atossa geberdete sich wie eine Rasende, als sie von den verhängten Todesurtheilen hörte. Die Mäßigung, welche sie durch den Umgang mit der Aegypterin gewonnen hatte, wich von ihr, und ihr so lang zurückgehaltenes Ungestüm brach doppelt lebhaft hervor.
Nitetis, ihre einzige Freundin, Bartja ihr Bruder, an dem sie mit ganzer Seele hing, Darius, den sie, jetzt fühlte sie es, nicht nur als ihren Lebensretter ehrte, sondern mit der ganzen Innigkeit einer ersten Neigung liebte, Krösus, an dem sie wie eine Tochter hing, Alles, was ihr theuer war, sollte sie jetzt auf einmal verlieren.
Sie zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar, nannte Kambyses ein Ungeheuer und Jeden, der an die Schuld so trefflicher Menschen glaube, verblendet und wahnsinnig. Dann zerfloß sie wieder in Thränen und schickte demüthige Gebete zu den Göttern, um wenige Minuten später ihre Mutter zu beschwören, sie auf die hängenden Gärten zu begleiten und mit ihr die Vertheidigung der Nitetis anzuhören.
Kassandane suchte das ungestüme Mädchen zu besänftigen und betheuerte, daß jeder Versuch, Nitetis zu sprechen, vergeblich sein würde. Nun begann Atossa von neuem zu toben und zwang endlich die Greisin, ihr mit mütterlicher Strenge Stillschweigen aufzuerlegen und sie, als der Morgen graute, in ihr Schlafgemach zu verweisen.
Das Mädchen folgte dem Gebote der Blinden und setzte sich, statt ihr Lager aufzusuchen, an das hohe Fenster, welches sich den hängenden Gärten entgegen öffnete. Thränenden Blickes schaute sie zu dem Hause hinüber, in welchem jetzt ihre Freundin, ihre Schwester, einsam, verlassen, verbannt, einem schmachvollen Tode entgegen sah. Plötzlich schien ein kräftiger Wille ihr von Thränen ermattetes Auge von neuem zu beleben, und statt in die grenzenlose Weite, heftete sich ihr Blick unverwandt auf einen schwarzen Punkt, welcher vom Hause der Aegypterin aus, immer größer und erkennbarer werdend, in gerader Linie auf sie zuflog und sich endlich auf eine Cypresse dicht vor ihrem Fenster niederließ.
Da schwand mit einem Male der Gram von ihrem lieblichen Antlitze; hochaufathmend klatschte sie in die Hände und rief aus! »O, sieh’ da, der Vogel Homaï413! Der Glücksvogel! Nun wird Alles gut werden!«
Derselbe Paradiesvogel, dessen Anblick dem Herzen der Nitetis so wunderbaren Trost gebracht hatte, schenkte auch Atossa neue Zuversicht.
Prüfend, ob sie von niemand gesehen werde, schaute sie in den Garten. Als sie sich überzeugt hatte, daß Keiner, außer einem alten Gärtner, darin verweile, schwang sie sich, behend wie ein Reh, aus dem Fenster hinaus, brach einige Rosenblüthen und Cypressenzweige und näherte sich mit ihnen dem Greise, welcher ihrem Treiben kopfschüttelnd zusah.
Schmeichlerisch liebkoste sie die Wange des Alten, legte ihre Blumen in seine gebräunte Hand und fragte: »Hast Du mich lieb, Sabaces?«
»O Herrin!« lautete die einzige Antwort des Greises, der den Saum des Gewandes der Königstochter inbrünstig an seine Lippen drückte.
»Ich glaube Dir, Väterchen, und will Dir beweisen, daß ich meinem alten, treuen Sabaces traue. Verstecke diese Blumen wohl und eile schnell in den Palast des Königs. Sag’, Du brächtest Früchte für die Tafel. Neben der Wache der Unsterblichen werden mein armer Bruder Bartja und Darius, der Sohn des edlen Hystaspes, gefangen gehalten. Du sorgst dafür, daß den Beiden diese Blumen sogleich, aber hörst Du, sogleich, mit einem herzlichen Gruße von mir, übergeben werden.«
»Die Wächter werden mich nicht zu den gefangenen Herren lassen.«
»Nimm diese Ringe und drücke sie ihnen in die Hand. Man kann den Armen doch nicht verbieten, sich an Blumen zu erfreuen!«
»Ich will versuchen.«
»Ich wußte ja, daß Du mich liebst, guter Sabaces! Jetzt mache schnell, daß Du fortkommst, und kehre bald zurück!«
Der Greis entfernte sich so eilig wie er konnte. Atossa schaute ihm gedankenvoll nach und murmelte vor sich hin: »Jetzt werden sie Beide wissen, daß ich sie bis an ihr Ende geliebt habe. Die Rose bedeutet: ›ich liebe Dich‹; die immer grüne Cypresse ›treu und unwandelbar‹.« Nach einer Stunde kam der Greis zurück und überbrachte der Königstochter, welche ihm entgegen eilte, den Lieblingsring des Bartja und von Darius ein in Blut getränktes indisches Tuch.
Thränenden Blickes nahm Atossa diese Gaben aus der Hand des Alten, dann setzte sie sich mit den theuren Angedenken unter einen breitästigen Platanenbaum, drückte sie abwechselnd an ihre Lippen und murmelten »Bartja’s Ring bedeutet, daß er meiner gedenke; das blutgetränkte Tuch des Darius, daß er bereit sei, sein Herzblut für mich zu vergießen.«
Atossa lächelte bei diesen Worten und vermochte von nun an, indem sie an das Geschick ihrer Freunde dachte, bitterlich, aber still zu weinen.
Wenige Stunden später verkündete ein Bote des Krösus den königlichen Frauen, daß die Unschuld des Bartja und seiner Freunde erwiesen, und auch Nitetis so gut als gerechtfertigt sei.
Alsogleich schickte Kassandane auf die hängenden Gärten, um Nitetis auffordern zu lassen, vor ihr zu erscheinen. Atossa lief, im Jubel eben so zügellos als im Jammer, der Sänfte ihrer Freundin entgegen und flog von einer ihrer Dienerinnen zur andern, um ihnen zuzurufen: »Alle sind unschuldig; Alle, Alle sollen uns erhalten bleiben!«
Und als die Sänfte mit der Freundin sich endlich näherte, als sie die Geliebte, bleich wie der Tod, in ihr erblickte, da brach sie in ein lautes Schluchzen aus, fiel der Aussteigenden um den Hals und bedeckte sie so lange mit Küssen und Liebkosungen, bis sie bemerkte, daß die Kniee der Erretteten wankten und sie einer kräftigeren Stütze, als ihrer schwachen Arme, bedürfe.
Ohnmächtig wurde die Aegypterin in die Gemächer der Mutter des Königs getragen. Als sie die Augen wiederum aufschlug, ruhte ihr marmorbleiches Haupt im Schooße der Blinden, fühlte sie Atossa’s warme Lippen auf ihrer Stirn, stand Kambyses, der dem Rufe seiner Mutter gefolgt war, an ihrem Lager.
Verstört und beängstigt schaute sie im Kreise Derer, die sie am meisten liebte, umher. Endlich erkannte sie Einen nach dem Andern, strich mit der Fläche der Hand über ihre bleiche Stirn, als wollte sie einen Schleier von ihr entfernen, lächelte