Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Darius, ganz abgesehen von seinen persönlichen Vorzügen, ein ebenbürtiger Freier für Atossa. Dennoch konnte man jetzt noch nicht wagen, um die Einwilligung des Königs zu bitten. Bei der düsteren Stimmung, in welcher sich derselbe seit den letzten Vorfällen befand, konnte er leicht eine abschlägige Antwort geben, und eine solche mußte unter allen Umständen als unwiderruflich betrachtet werden. So zog Bartja, ohne über die Zukunft des ihm so theuren Paares beruhigt zu sein, in die Ferne.
Krösus versprach, auch hier als Vermittler aufzutreten und führte Bartja kurz vor seiner Abreise mit Phanes zusammen.
Der Jüngling kam dem Athener, von dem er durch seine Geliebte nur Schönes und Gutes gehört hatte, mit großer Freundlichkeit entgegen und gewann sich schnell die Zuneigung des vielerfahrenen Mannes, der ihm manchen nützlichen Wink und ein Empfehlungsschreiben416 an den Milesier Theopompus zu Naukratis auf den Weg gab, und ihn schließlich um ein Gespräch unter vier Augen ersuchte.
Als Bartja mit dem Athener wiederum zu den Freunden trat, erschien er ernst und nachdenklich; bald aber hatte er die Sorge vergessen und scherzte mit den Genossen beim frohen Abschiedsbecher. Bevor er am Morgen des nächsten Tages sein Roß bestieg, ließ ihn Nebenchari um eine Audienz bitten. Der Augenarzt wurde vorgelassen und ersuchte ihn, eine umfangreiche Briefrolle für den König Amasis nach Aegypten mitzunehmen. Sie enthielt eine ausführliche Schilderung des Leidens der Nitetis und endeten »So wird dieses arme Opfer Deines Ehrgeizes durch das Gift, welches sie, um nicht zu verzweifeln, einnahm, in wenigen Stunden einem zu frühen Tode verfallen. Wie der Schwamm ein Bild von der Tafel, so wischt die Willkür der Mächtigen dieser Erde das Glück eines Menschenlebens aus. Verbannt von Heimath und Besitz verkümmert Dein Knecht Nebenchari; als Selbstmörderin siecht die unselige Tochter eines ägyptischen Königs dahin. Ihr Leichnam wird von Hunden und Geiern nach persischer Sitte zerrissen werden. Wehe Denen, welche die Unschuldige des Glückes der Erde und der Ruhe im Jenseits beraubten!«
Bartja versprach dem finsteren Manne, dies Schreiben, dessen Inhalt er nicht kannte, mitzunehmen, stellte, von einer jubelnden Volksmenge umgeben, vor den Thoren der Stadt die Steine auf, welche ihm, nach dem persischen Aberglauben417, eine glückliche Reise sicherten, und verließ Babylon.
Indessen schickte sich Nebenchari an, auf seinen Posten am Sterbelager der Aegypterin zurückzukehren.
An der ehernen Pforte der Mauer, welche den Garten des Weiberhauses mit den Höfen des großen Palastes verband, trat ihm ein weiß gekleideter Greis entgegen. Kaum hatte er diesen erblickt, als er zurückbebte und den hageren Alten wie eine Erscheinung anstarrte. Da ihm derselbe jedoch vertraulich und freundlich zulächelte, beschleunigte er seine Schritte, streckte ihm mit einer Herzlichkeit, welche ihm keiner seiner persischen Bekannten zugetraut haben würde, die Hand entgegen und rief in ägyptischer Sprache: »Darf ich denn meinen Augen trauen?! Alter Hib418, Du hier in Persien? Eher hätte ich des Himmels Einsturz als die Freude, Dich hier am Euphrat zu sehen, erwartet! Jetzt aber sage mir in Osiris Namen, was Dich alten Ibis bewegen konnte, Dein warmes Nest am Nile zu verlassen und die weite Reise gen Osten zu unternehmen?«
Der Alte, welcher sich während dieser Worte mit herunterhängenden Armen tief verbeugt hatte, schaute jetzt den Arzt mit unbeschreiblicher Glückseligkeit an, betastete seine Brust mit zitternden Händen und rief, sein rechtes Knie beugend und die eine Hand auf’s Herz pressend, die andere gen Himmel erhebend: »Habe Dank, große Isis, die Du den Wanderer beschirmst, daß Du mich meinen Herrn also finden läßt! Ach, Kind, welche Angst hab’ ich um Deinetwillen ausgestanden! Abgezehrt, wie einen verhungerten Gefangenen aus den Steinbrüchen, verhärmt und elend dachte ich Dich anzutreffen, und sehe Dich jetzt wieder in blühender Gesundheit, schön und stattlich wie immer! Ach, wenn der arme alte Hib an Deiner Stelle gewesen wäre, so würde er sich längst zu Tode gegrämt und geärgert haben!«
»Glaub’ Dir’s, Alterchen! Auch ich habe die Heimath nur gezwungen und mit blutendem Herzen verlassen. Die Fremde gehört dem Seth419; die gütigen Götter wohnen nur in Aegypten, nur am heiligen, gesegneten Nil!«
»Hat sich was mit dem Segen!« brummte der Alte.
»Du erschreckst mich, Väterchen. Was ist vorgefallen, daß . . . ?«
»Vorgefallen? – Hm! – Schöne Dinge sind vorgefallen! Nun, Du wirst schon zeitig genug davon hören! Glaubst Du denn, daß ich unser Haus und meine Enkelchen verlassen und mich in meinem achtzigsten Jahre wie solch’ ein hellenischer ober phönizischer Landstreicher auf Reisen und unter die heillosen Fremden, welche die Götter vernichten mögen, begeben haben würde, wenn es in Aegypten noch auszuhalten wäre?«
»Aber so rede doch!«
»Später, später! Jetzt mußt Du mich für’s Erste mit in Deine Wohnung nehmen, die ich nicht verlassen will, so lange wir in diesem typhonischen Lande bleiben.«
Der Greis hatte diese Worte mit so lebhaftem Abscheu ausgesprochen, daß sich Nebenchari eines Lächelns und der Frage. »Ist man Dir denn gar so übel begegnet, mein Alter?« nicht erwehren konnte.
»Pest und Chamsin420!« polterte der Greis. »All’ diese Perser sind die nichtswürdigste Typhonsbrut auf Erden! Mich wundert nur, daß sie nicht allesammt rothköpfig und aussätzig geboren werden! Ach Kind, ich bin schon zwei Tage in dieser Hölle und habe eben so lange mitten unter den Götterverächtern leben müssen! Man sagte mir, es sei unmöglich, Dich zu sprechen, denn Du dürftest das Lager der kranken Nitetis nicht verlassen. Die arme Kleine! Ich hab’s gleich gesagt, daß diese Heirath mit einem Fremden übel ablaufen würde. Na, es geschieht Amasis schon recht, wenn ihm seine Kinder Kummer machen! Er hat’s um Dich allein verdient!«
»Schäme Dich, Alter!«
»Ei was! Einmal muß es doch heraus! Ich hasse diesen hergelaufenen König, der, als er noch ein armer Junge war, Deinem Vater die Datteln von den Bäumen schlug und die Schilder von den Hausthüren riß! O, ich hab’ ihn damals wohl gekannt, den Taugenichts! ’s ist eine Schmach, daß man sich von solchem Menschen, der . . .«
»Gemach, gemach, Alter!« unterbrach Nebenchari den sich ereifernden Greis. »Wir sind nicht Alle von einem Holze gemacht, und wenn Amasis als Knabe wirklich nicht viel mehr war als Du, dann ist es Deine Schuld, wenn Du als Greis so viel weniger bist als er.«
»Mein Großvater war Tempeldiener, mein Vater war es, darum mußte ich natürlich dasselbe werden421 . . .«
»Ganz recht, so befiehlt es das Gesetz der Kasten, dem zu Folge Amasis nichts Anderes sein dürfte, als höchstens ein armer Kriegshauptmann.«
»Nicht Jeder hat ein so weites Gewissen wie dieser Glückspilz!«
»Immer der Alte! Schäme Dich, Hib! So lang ich lebe, und das dauert nun schon ein volles halbes Jahrhundert, ist jedes dritte Wort, das Du redest, ein Scheltwort. Als ich noch ein Kind war, mußte ich unter Deiner üblen Laune leiden; jetzt trifft sie den König.«
»Und mit Recht! O, wenn Du wüßtest! Sieben Monate ist es her, seitdem . . .«
»Ich kann Dich jetzt nicht hören! Beim Aufgange des Siebengestirns will ich aber einen Sklaven schicken, der Dich in meine Wohnung führen soll. Bis dahin bleibst Du in Deinem bisherigen Quartiere, denn ich muß notwendiger Weise zu meiner Kranken.«
»So, Du mußt? – Gut, geh’ nur und laß den alten Hib sterben! Ich komme um, ich vergehe, wenn ich nur noch eine Stunde bei diesen Menschen bleiben soll!«
»Aber, was willst Du eigentlich?«
»In Deinen Gemächern warten, bis wir wieder abreisen.«
»Hat man Dich denn