Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.gegangen, so verzeih’ ich Dir, weil ich Dir, einem alten treuen Diener, Vieles zu danken habe. Sage die Wahrheit, – ich beschwöre Dich im Namen Deiner osirischen Väter!«
Das gelbliche Gesicht des Alten war während dieser Worte seines Herrn erdfahl geworden. Mehrere Minuten lang konnte er schluckend und schnaufend keine Antwort finden. Endlich, nachdem es ihm gelungen war, die Thränen, welche sich mit aller Gewalt in seine Augen dringen wollten, hinunter zu würgen, rief er halb zornig, halb weinerlich: »Hab’ ich’s nicht gleich gesagt? Er ist in diesem Lande der Schmach und des Unheils verzaubert und verderbt worden. Wessen man selber fähig ist, das traut man auch Andern zu! Sieh’ mich nur zornig an, ich mache mir nichts daraus. Was kann es mich überhaupt noch kümmern, wenn man mich, einen alten Mann, der sechzig Jahre lang demselben Hause treu und redlich gedient hat, für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther, wenn’s euch gefällig ist, auch für einen Mörder hält!«
Bei diesen letzten Worten flossen die Augen des Greises, sehr gegen seinen Willen, von heißen Thränen über.
Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die Schulter und sagte, sich an Nebenchari wendend: »Hib ist ein treuer Mensch. Nenne mich einen Schurken, wenn er einen Obolus von mir angenommen hat.«
Der Arzt hätte dieser Worte des Atheners nicht bedurft, um von der Unschuld seines Dieners vollkommen überzeugt zu sein. Er kannte ihn so lange und so genau, daß er in den keiner Verstellung fähigen Zügen des Alten wie in einem offenen Buche zu lesen verstand; darum näherte er sich ihm und sagte begütigend: »Ich habe Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße Frage so böse werden!«
»Soll mich wohl noch über Deinen schändlichen Verdacht freuen?«
»Das nicht; – wohl aber gestatte ich Dir jetzt, zu erzählen, was sich während meiner Abwesenheit in unserem Hause zugetragen hat.«
»Schöne Geschichten! Wenn ich nur daran denke, wird mir so bitter im Munde, als wenn ich Koloquinthenäpfel kaute.«
»Du sagtest vorhin, man habe mich bestohlen.«
»Und wie! So ist noch gar kein Mensch vor uns bestohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von der Diebeskaste gewesen wären429, so könnte man sich trösten, denn erstens würden wir dann den besten Theil unseres Eigentums wieder bekommen haben,. und zweitens nicht schlimmer dran gewesen sein wie viele Andere; wenn aber . . . .«
»Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit ist gemessen!«
»Weiß schon! Der alte Hib kann Dir hier in Persien nichts recht machen; aber sei es drum! Du bist der Herr und hast zu befehlen; ich bin nichts als der Diener, der gehorchen muß. Ich will mir’s merken! Es war also gerade in der Zeit, wo die große persische Gesandtschaft nach Sais kam, um Nitetis zu holen und sich von aller Welt wie Wunderthiere angaffen zu lassen, als die Schändlichkeit vor sich ging. Ich sitze, gerade eh’ die Sonne unterging, auf dem Mückenthürmchen und spiele mit meinem Enkel, dem ältesten Knaben meiner Benra430, – ’s ist ein prächtiger, dicker Junge geworden, der für sein Alter merkwürdig klug und kräftig ist. Der Schlingel erzählt mir eben, sein Vater habe, wie die Aegypter thun, wenn ihre Frauen die Kinderchen zu viel allein lassen, die Schuh’ seiner Mutter versteckt431, und ich lache aus vollem Halse, weil ich der Benra, die keines der Enkelkinder bei mir wohnen lassen will, diesen Streich schon gönnte, – sie sagen immer, ich verzöge die Kleinen, – als es plötzlich mit dem Klopfer so heftig an die Hausthür pocht, daß ich schon denke, es sei Feuer ausgebrochen, und den Jungen von meinem Schooße fallen lasse. So schnell ich kann, spring’ ich die Treppe hinunter, nehme mit meinen langen Beinen immer drei Stufen auf einmal und schiebe den Riegel zurück. Die Thür fliegt auf, und eine Schaar von Tempeldienern und Sicherheitsbeamten, – es waren wenigstens fünfzehn Mann, – dringt, ehe ich noch Zeit habe, nach ihrem Begehr zu fragen, in’s Haus. Pichi, der unverschämte Tempeldiener der Neith, – Du kennst ihn ja, – stößt mich zurück, riegelt die Thür von innen zu und befiehlt den Schaarwächtern, mich zu binden, wenn ich seinen Befehlen nicht Folge leisten würde. Ich werde natürlich grob, denn ich kann nicht anders, wenn mich etwas ärgert, das weißt Du, Herr; da läßt er mich, – bei unserem Gotte Toth, der die Wissenschaft beschirmt, ich rede die Wahrheit, Herr, – da läßt der Grünschnabel mir die Hände binden, verbietet mir, dem alten Hib, den Mund und theilt mir mit, daß er vom Oberpriester den Auftrag habe, mir fünfundzwanzig Stockprügel geben zu lassen, wenn ich mich nicht ohne jede Widerrede seinen Anordnungen fügen würde. Dabei zeigt er mir den Ring des Oberpriesters. Nun mußt’ ich, ob ich wollte oder nicht, dem Befehle dieses Schuftes gehorchen! Der bestand in nichts Geringerem, als ihm sofort alle Schriftstücke, die Du in Deinem Hause zurückgelassen, einzuhändigen. Aber der alte Hib ist nicht so dumm, daß er sich fangen läßt, wenn auch Manche, die ihn besser kennen sollten, meinen, daß er ein bestechlicher Mensch und der Sohn eines Esels sei. Was werde ich also thun? Ich stelle mich, als wär’ ich ganz zerknirscht von dem Anblicke des Siegelrings, ersuche Pichi so höflich wie ich eben kann, mir die Hände loszubinden, und sage, daß ich die Schlüssel holen wolle. Man nimmt die Stricke von meinen Händen, ich eile die Treppe hinauf, immer fünf Stufen mit einem Schritte nehmend, reiße, oben angekommen, die Thür Deines Schlafzimmers auf, schiebe meinen Enkel, der vor ihr stand, hinein und stoße den Riegel vor. Dank meinen langen Beinen war ich den Andern so weit voraus, daß ich Zeit behielt, dem Jungen das schwarze Kästchen, welches Du meiner besondern Obhut empfohlen hattest, in den Arm zu geben, den kleinen Kerl durch das Fenster auf den Altan, der das Haus an der dem Hofe zugekehrten Seite umgibt, zu heben und ihm zu befehlen, es sofort in den Taubenschlag zu stecken. Dann öffne ich die Thür, als wäre nichts geschehen, mache dem Pichi weis, der Junge habe ein Messer im Munde gehabt, und ich sei darüber so entsetzt gewesen, daß ich vor lauter Angst die Treppe so rasch hinaufgesprungen sei und den Buben nun zur Strafe an die Luft gesetzt habe. Der Bruder eines Nilpferds glaubte mir und ließ sich dann durch das ganze Haus führen. Erst fanden sie die große Sykomoren-Kiste mit den Papieren, welche Du mir gleichfalls sorgsam zu bewachen anbefohlen hattest, dann die Papyrusrollen auf Deinem Arbeitstische, und nach und nach alles Geschriebene, was nur im Hause aufzutreiben war. Das steckten sie ohne Auswahl in die große Kiste und trugen sie hinunter; das schwarze Kästchen aber lag unversehrt im Taubenschlage. Mein Enkel ist der klügste Junge in ganz Sais!
»Als ich die Kiste zum Hause hinaustragen sah, erwachte meine mühsam hinuntergekämpfte Wuth von neuem. Ich drohte den unverschämten Eindringlingen, sie bei den Richtern, ja, wenn es Noth thäte, beim Könige zu verklagen, und würde auch das Volk gegen sie aufgehetzt haben, wenn die verdammten Perser, denen die Stadt gezeigt wurde, nicht gerade in diesem Augenblicke die ganze Aufmerksamkeit der zusammengelaufenen Menge in Anspruch genommen hätten. Am selben Abende ging ich zu meinem Schwiegersohne, der, wie Du weißt, gleichfalls Tempeldiener der Göttin Neith ist, und bat ihn, Alles aufzubieten, um sich Kenntniß von dem Schicksale der geraubten Schriften zu verschaffen. Der gute Mensch ist Dir noch immer dankbar für die reiche Mitgift, welche Du meiner Benra schenktest, und kam drei Tage später zu mir, um mir zu erzählen, daß er Zeuge gewesen sei, wie man Deine schöne Kiste und alle in ihr befindlichen Rollen verbrannt habe. Ich bekam vor Aerger die Gelbsucht, ließ mich aber von meiner Krankheit nicht abhalten, bei den Richtern eine Klageschrift einzureichen. Diese Elenden wiesen mich, gewiß nur weil sie selbst Priester sind, mit meiner Beschwerde ab. Jetzt gab ich in Deinem Namen ein Bittschreiben beim Könige ein, wurde aber auch von diesem mit der schnöden Drohung, man werde mich als Staatsverräther betrachten, wenn ich jener Papiere noch einmal erwähnen würde, abgewiesen. Nun war mir meine Zunge zu lieb432, um weitere Schritte zu thun. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Ich konnte nicht in Aegypten bleiben, denn ich mußte Dich sprechen; ich mußte Dir erzählen, was man Dir angethan; ich mußte Dich, der Du mächtiger bist, als Dein armer Diener, auffordern, Dich zu rächen; ich mußte Dir auch den schwarzen Kasten, den man mir sonst vielleicht gleichfalls abgejagt hätte, überliefern. So verließ ich denn mit blutendem Herzen die Heimath und mein Enkelchen, um, so