Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.mit fest verbundenem Haupte, zum Thore des Palastes hinausfuhr, eilte sie dem Wagen nach und lief so lange schreiend neben ihm her, bis der Fuhrknecht seine Maulthiere anhielt und nach ihrem Begehren fragte. Nun schlug sie den Schleier zurück und zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübsches, tief erröthendes Gesicht. Gaumata stieß, als er es erkannte, einen leisen Schrei aus, sammelte sich aber bald wieder und fragte. »Was willst Du von mir, Mandane?«
Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und rief: »O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit Dir! Ich verzeihe Dir all’ das Unglück, in welches Du mich und die arme Herrin gestürzt hast. Ich liebe Dich ja so sehr und will Dich pflegen und für Dich sorgen wie Deine niedrigste Magd!«
Der Jüngling kämpfte in seinem Innern einen kurzen Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen und die Geliebte seiner Kindheit in seine Arme schließen, als er den Hufschlag nahender Rosse vernahm. Er sah sich um, erbliche einen Wagen voll Magier, welche zum Gebete nach dem Schlosse fuhren, und erkannte in ihnen mehrere frühere Genossen aus der Priesterschule. Seine Scham erwachte; er fürchtete, von ihnen, die er, als Bruder des Oberpriesters, oftmals stolz und hochfahrend behandelt hatte, gesehen zu werden, warf Mandane einen Beutel voll Gold, den ihm sein Bruder beim Abschied geschenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmanne, in aller Eile fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht davon. Mandane stieß den Beutel mit den Füßen von sich, lief dem Gespanne nach und hielt sich an dem Kasten des Wagens fest. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß sie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung sprang sie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen Berg hinaufführte, langsamer gehen mußten, und warf sich ihnen in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte seine dreischnürige Geißel, die Thiere bäumten sich, rissen das Mädchen um und jagten davon. Ihr letzter Angstschrei drang wie ein Lanzenstich in die Wunden des Verstümmelten.
Am zwölften Tage nach dem Tode der Nitetis begab sich Kambyses wieder auf die Jagd. Das Waidwerk mit seiner Anstrengung, seinen Gefahren und Erregungen sollte ihn zerstreuen. Die Großen und Würdenträger empfingen ihren Herrscher mit donnerndem Zurufe, den er freundlich dankend hinnahm. Die wenigen Tage des Grams hatten den des Leides ungewohnten Mann sehr verändert. Sein Angesicht war bleich, sein rabenschwarzes Haupt- und Barthaar grau geworden. Die frühere Siegesgewißheit strahlte nicht mehr so leuchtend, wie sonst, aus seinen Blicken; hatte er doch schmerzlich erfahren, daß es einen stärkeren Willen gab, als den seinen, daß er zwar Vieles vernichten, aber auch nicht das ärmste Leben erhalten konnte. Ehe man aufbrach, musterte Kambyses die Jäger, rief Gobryas herbei und fragte nach Phanes.
»Mein König hat nicht befohlen –«
»Er ist ein- für allemal mein Gast und Gefährte. Rufe ihn und folge uns nach.«
Gobryas verneigte sich, sprengte zum Palaste zurück und hielt nach einer halben Stunde wiederum mit Phanes beim Gefolge des Königs.
Mancher freundliche Gruß der Jagdgenossen wurde dem Athener zu Theil; ein Umstand, der um so befremdender erscheinen mußte, weil Niemand neidischer zu sein pflegt, als Höflinge, und kein Mensch der Mißgunst sicherer sein darf, als der Günstling eines Herrschers. Nur Phanes schien eine Ausnahme von dieser Regel bilden zu wollen. Er war allen Achämeniden so offen, so frei und doch bescheiden entgegengekommen und hatte durch hingeworfene Andeutungen auf einen großen Krieg, der nicht ausbleiben könne, so viele Hoffnungen zu erregen und durch trefflich erzählte, den Persern ganz neue Scherze so große Heiterkeit zu erwecken verstanden, daß Alle, mit wenigen Ausnahmen, das Erscheinen des Atheners freudig begrüßten. Als er sich von dem Jägerzuge getrennt hatte, um mit dem Könige einen wilden Esel zu verfolgen, gestand Einer dem Andern zu, noch niemals einen so vollkommenen Mann wie Phanes gesehen zu haben. Man bewunderte die Klugheit, mit der er die Unschuld der Gefangenen an den Tag gebracht, die Feinheit, mit welcher er den König gewonnen, die Schnelligkeit, mit der er die persische Sprache erlernt hatte. Dabei wurde er von keinem der Achämeniden durch Schönheit und Ebenmaß der Gestalt übertroffen. Auf der Jagd bewährte er sich als vollkommener Reiter, und im Kampfe mit einem Bären als ausnehmend kühner und geschickter Jäger. Während die Höflinge bei der Heimkehr all’ diese Eigenschaften des neuen Günstlings in den Himmel erhoben, rief der alte Araspes: »Ich gebe gern zu, daß dieser Hellene, welcher sich übrigens auch schon im Kriege bestens bewährt hat, ein seltener Mann ist; ihr würdet ihm aber nicht halb so viel Lob zu Theil werden lassen, wenn er kein Fremder, wenn euch seine Art nichts Neues wäre!«
Phanes hatte diese Worte vernommen, denn er befand sich, von dichtem Strauchwerk versteckt, in unmittelbarer Nähe des Redners. Als dieser schwing, gesellte er sich zu den Plaudernden und sagte lächelnd: »Ich habe Dich verstanden und danke Dir für Deine freundliche Gesinnung. Der zweite Theil Deiner Rede berührte mich beinahe noch angenehmer als der erste; fand ich doch in ihm meine eigene Bemerkung bestätigt, daß ihr Perser das großmüthigste aller Völker seid, da ihr den Tugenden fremder Menschen dasselbe, ja beinahe größeres Lob als euren eigenen zu Theil werden lasset.«
Alle Anwesenden lächelten geschmeichelt, Phanes aber fuhr fort: »Wie anders sind zum Beispiel die Juden! Sie halten sich für das einzige den Göttern wohlgefällige Volk und machen sich dadurch allen Weisen verächtlich und der ganzen Welt verhaßt. Und nun erst die Aegypter! Ihr glaubt nicht, wie verkehrt diese Menschen sind! Wenn es auf die Priester, welche ausnehmend mächtig sind, allein ankäme, so würden alle Ausländer getödtet und das ganze Reich des Amasis jedem Fremden unzugänglich gemacht werden. Ein ächter Aegypter hungert lieber, als daß er aus einem Topfe mit unsereinem speist. Es gibt nirgends so viel Seltsamkeiten, so viel Befremdliches und Staunenerregendes wie dort! Doch um billig zu sein, muß ich auch gestehen, daß Aegypten mit Recht als reichstes und wohlbebautestes aller Länder der Welt bekannt ist. Wem dieses Reich gehört, der braucht selbst die Götter ihrer Schätze wegen nicht zu beneiden! Und es ist kinderleicht zu erobern, dies schöne Aegypten! Ich kenne die dortigen Verhältnisse aus zehnjähriger Erfahrung und weiß, daß die ganze Kriegerkaste des Amasis einer einzigen Schaar, wie eure Unsterblichen, nicht widerstehen könnte. Nun, wer weiß, was die Zukunft bringt! Vielleicht machen wir noch Alle zusammen einen Ausflug nach dem Nil. Ich meine, daß eure guten Schwerter ziemlich lange gerostet haben!«
Allgemeine stürmische Beifallsrufe begleiteten diese wohlberechneten Worte des Atheners.
Kambyses hatte den Jubel seines Gefolges vernommen, wandte sein Roß und fragte nach der Ursache desselben. Phanes nahm schnell das Wort und sagte, die Achämeniden hätten gejauchzt beim Gedanken an die Möglichkeit eines bevorstehenden Krieges.
»Welchen Krieges?« fragte der König, zum Erstenmale seit langen Tagen lächelnd.
»Wir redeten nur von der allgemeinen Möglichkeit,« antwortete Phanes leichthin. Dann lenkte er sein Roß dicht an die Seite des Königs. Seine Stimme nahm einen gesangreichen, zum Herren gehenden Ton an; mit innigem Ausdruck schaute er in die Augen des Königs und sprach: »O, mein Fürst, zwar bin ich nicht als Dein Unterthan in diesem schönen Lande geboren, zwar darf ich erst seit kurzer Zeit mich rühmen, den Mächtigsten aller Herrscher zu kennen, und dennoch vermag ich mich des vielleicht frevelhaften Gedankens nicht zu erwehren, daß die Götter mein Herz von Geburt an zu inniger Freundschaft mit Dir bestimmt haben. Nicht jene großen Wohlthaten, welche Du mir erwiesen, haben mich Dir so schnell und innig genähert. Deren bedarf ich nicht, denn ich zähle zu den Reicheren meines Volkes und habe keinen Sohn, keinen Erben, dem ich erworbene Schätze vermachen könnte. Einstmals nannte ich einen Knaben mein, ein schönes, liebliches Kind; – aber das wollte ich Dir ja nicht sagen, ich . . . Zürnest Du meiner Freimüthigkeit, o König?«
»Wie sollte ich!« antwortete der Herrscher, zu dem noch niemand vor dem Athener in ähnlicher Weise geredet hatte, und der sich mächtig zu dem seltsamen Fremden hingezogen fühlte.
»Bis zum heutigen Tage war mir Dein Schmerz zu heilig, um ihn zu stören; jetzt aber ist die Zeit gekommen, Dich dem Grame zu entreißen und Dein erkaltendes Herz mit neuer Gluth zu erfüllen. Du wirst Dinge vernehmen, welche Dich kränken müssen.«
»Es gibt nichts mehr, was mich betrüben könnte!«
»Meine Worte werden nicht Deinen Schmerz, sondern Deinen Zorn erregen!«
»Du spannst meine Neugier!«
»Man