Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.verbreiten, Ladice habe ein Zwillingspaar zur Welt gebracht. Vollbringst Du dies nach unserem Willen, so erhältst Du heute noch 5000 goldene Ringe455 und Jahr für Jahr, so lange Du lebst, den fünften Theil dieser Summe.‹ Ich verneigte mich schweigend, befahl allen Anwesenden, die Wochenstube zu verlassen, und rief sie dann wieder herein, um ihnen mitzutheilen, daß Ladice eines zweiten Mägdleins genesen sei. Das rechte Kind des Amasis erhielt den Namen Tachot, das untergeschobne wurde Nitetis genannt.«
Kambyses sprang bei diesen Worten von seinem Sitze auf und durchmaß den Saal mit großen Schritten; Onuphis aber fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: »Am sechsten Tage des Monats Toth. Als ich mich heute Morgen, um ein wenig von den Anstrengungen der Nacht auszuruhen, niedergelegt hatte, erschien ein Diener des Königs, der mir das versprochene Gold und einen Brief überbrachte. In demselben wurde ich gebeten, ein todtes Kind zu schaffen, welches als das verstorbene Töchterlein des Hophra mit großer Feierlichkeit bestattet werden sollte. Mit vieler Mühe hab’ ich vor einer Stunde das Verlangte von dem armen Mädchen, welches heimlich bei der alten Frau, die am Eingange der Todtenstadt wohnt, niedergekommen ist, erhalten. Sie wollte ihren verstorbenen Liebling, der ihr so viel Gram und Schande gebracht hatte, nicht von sich geben und willfahrte mir nur, als ich ihr versprach, das Kleine sollte auf’s Schönste mumisirt und beigesetzt werden. In meinem großen Arzneikasten, den diesmal mein Sohn Nebenchari, statt meines Dieners Hib, tragen mußte, schafften wir die kleine Leiche in das Wochenzimmer der Gattin des Hophra. Das Kind des armen Mädchens wird mit aller Herrlichkeit begraben werden. Dürfte ich ihr doch mittheilen, welches schöne Loos ihren Liebling nach dem Tode erwartet! Nebenchari wird soeben zum Könige berufen.«
Bei der zweiten Nennung dieses Namens blieb Kambyses stehen und fragte: »Ist unser Augenarzt Nebenchari derselbe, dessen diese Schrift erwähnt?«
»Nebenchari,« gab Phanes zurück, »ist der Sohn desselben Imhotep, der die beiden Kinder vertauschte!«
Der Augenarzt blickte düster zu Boden.
Kambyses nahm Onuphis die Papyrusrolle aus der Hand, beschaute die Schriftzeichen, welche sie bedeckten, kopfschüttelnd, näherte sich dem Arzte und sprach:
»Betrachte diese Zeichen und sage mir, ob Dein Vater sie geschrieben?«
Nebenchari fiel auf die Kniee nieder und erhob seine Hände.
»Hat Dein Vater diese Zeichen gemalt? frage ich.«
»Ich weiß nicht, ob . . . . In der That . . . .«
»Die Wahrheit will ich wissen! Ja oder nein?«
»Ja, mein König; aber . . . .«
»Erhebe Dich und sei meiner Gnade gewiß. Es zieret den Unterthan, wenn er treu zu seinem Herrscher steht; vergiß aber nicht, daß Du mich jetzt Deinen König zu nennen hast. Kassandane ließ mir sagen, Du wollest ihr morgen durch eine kunstreiche Operation das Gesicht wiedergeben. Wagst Du auch nicht zu viel?«
»Ich bin meiner Kunst gewiß, o König!«
»Noch Eins! – Wußtest Du um diesen Betrug?«
»Ja – mein Fürst.«
»Und Du ließest mich im Irrthume?«
»Ich hatte Amasis schwören müssen, das Geheimniß zu bewahren, und ein Schwur . . . .«
»Der Schwur ist heilig. Sorge dafür, Gobryas, daß diesen beiden Aegyptern eine Portion von unserer Tafel angewiesen werde. Du scheinst einer besseren Nahrung zu bedürfen, Alter!«
»Ich bedarf Nichts, als Luft zum Athmen, eine Krume Brod und einen Schluck Wasser, um nicht zu verhungern und zu verdursten, ein reines Gewand, um den Göttern und mir selbst angenehm zu sein, und ein eigenes Stübchen, um keinem Menschen im Wege zu stehen. Niemals war ich reicher, als am heutigen Tage.«
»Wie so?«
»Ich bin soeben im Begriff, ein Königreich zu verschenken.«
»Du sprichst in Räthseln.«
»Ich habe durch meine Uebersetzung dargethan, daß Deine verstorbene Gattin das Kind des Hophra gewesen sei. Nach unserem Erbrechte hat, wenn keine Söhne oder Brüder vorhanden sind, auch die Tochter des Königs ein volles Anrecht auf den Thron456. Wenn diese wiederum kinderlos stirbt, so ist ihr Gatte ihr gesetzlicher Nachfolger. Amasis ist ein Kronenräuber, während Hophra und seine Nachkommen durch das Recht der Geburt Ansprüche auf die Herrscherwürde haben. Psamtik verliert jedes Recht auf das Szepter, sobald sich ein Bruder, ein Sohn, eine Tochter oder ein Eidam des Hophra findet. Also begrüße ich in meinem Könige den zukünftigen Herrn meines schönen Vaterlandes.«
Kambyses lächelte selbstgefällig, und Onuphis fuhr fort:
»Auch habe ich in den Sternen gelesen, daß Psamtik untergehen wird; Dir aber die Krone von Aegypten beschieden ist.«
»Die Sterne sollen Recht behalten!« rief Kambyses; »Dir aber, Du freigebiger Alter, befehle ich, einen Wunsch, er möge lauten, wie er wolle, auszusprechen.«
»Laß mich Deinem Heerzuge in einem Wagen folgen. Ich sehne mich darnach, meine Augen am Nile zu schließen.«
»So sei es! Verlaßt mich jetzt, ihr Freunde, und sorgt dafür, daß alle Tischgenossen zum heutigen Schmause erscheinen. Wir wollen beim süßen Weine Kriegsrath halten. Ein Feldzug nach Aegypten scheint mir lohnender zu sein, als ein Kampf mit den Massageten!«
»Sieg dem Könige!« riefen die Anwesenden mit lautem Jubel und entfernten sich, während Kambyses seine An- und Auskleider rufen ließ, um zum Erstenmale die Trauergewänder mit den prunkenden Königskleidern zu vertauschen.
Krösus und Phanes begaben sich gemeinsam in den Garten, welcher auf der Ostseite des Schlosses mit Baum- und Sträucherpflanzungen, Wasserkünsten und Blumenbeeten grünte. Die Züge des Atheners strahlten vor Befriedigung, während der entthronte König sorgenvoll vor sich hinblickte.
»Hast Du bedacht, Hellene,« begann der Letztere, »welche Brandfackel Du soeben in die Welt geschleudert hast?«
»Unbedacht zu handeln ist nur Kindern und Narren eigen.«
»Du vergißt die von der Leidenschaft Bethörten.«
»Zu diesen gehöre ich nicht.«
»Und dennoch zeugt die Rache die furchtbarsten Leidenschaften.«
»Nur, wenn sie in blinder Wallung geübt wird. Meine Rache ist kühl wie dieses Eisen; aber ich kenne meine Pflicht.«
»Die erste Pflicht jedes Tugendhaften ist, dem Wohle seines Vaterlandes sein eigenes unterzuordnen.«
»Das weiß ich . . .«
»Vergißt aber, daß Du den Persern mit dem ägyptischen Reiche Deine hellenische Heimath überlieferst!«
»Ich denke anders.«
»Glaubst Du, daß Persien das schöne Griechenland unangefochten lassen wird, wenn alle anderen Küsten des Mittelmeeres ihm gehören?«
»Keineswegs; wohl aber kenn’ ich meine Hellenen und glaube, daß sie allen Barbarenheeren siegreich widerstehen und, naht die Gefahr, größer sein werden, denn je. Die Noth wird all’ unsere gesonderten Stämme vereinen, wird uns zu einem großen, einigen Volke machen und die Throne der Tyrannen stürzen.«
»Das sind Träume.«
»Die zur Wahrheit werden müssen, so wahr ich auf die Erfüllung meiner Rache hoffe!«
»Ich kann nicht mit Dir rechten, denn mir sind die Verhältnisse Deiner Heimath fremd geworden. Uebrigens halte ich Dich für einen weisen Mann, der das Schöne und Gute liebt und zu rechtlich denkt, um aus bloßem Ehrgeiz ein ganzes Volk verderben zu mögen. Es ist furchtbar, daß die Schickung die Schuld des Einzelnen, wenn er eine Krone trägt, an ganzen Nationen vergilt! Jetzt erzähle mir, wenn Dir etwas an meiner Meinung gelegen ist, welches Unrecht