Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.meine Leiden zu gestehen und hielt mich aufrecht, bis wir zu Bagis frische Pferde besteigen sollten. Als ich mich in den Sattel schwingen wollte, schwanden mir Kräfte und Sinne, und bewußtlos sank ich zu Boden.«
»Wir bekamen einen schönen Schreck, als Du zusammenbrachest,« unterbrach Zopyrus den Redner, »und es war ein rechtes Glück, daß Gyges bei mir war. Ich hatte den Kopf ganz und gar verloren; Jener behielt aber seine volle Geistesgegenwart und handelte, nachdem er seinem Herzen durch einige für uns nicht gerade schmeichelhafte Worte Luft gemacht hatte, wie ein umsichtiger Feldherr. – Der Esel von einem Arzte, der herzulief, betheuerte, Bartja sei rettungslos verloren, wofür er von mir eine Tracht Prügel bekam.«
»Die er sich gern gefallen ließ,« lachte der Satrap, »da Du auf jede Schwiele eine Goldstatere zu legen befahlest.«
»Meine Kampflust hat mich schon viel Geld gekostet! Doch zur Sache. Kaum hatte Bartja wieder die Augen geöffnet, als mir Gyges auftrug, nach Sardes zu reiten und einen guten Arzt mit einem bequemen Reisewagen zu holen. Den Ritt macht mir sobald Keiner nach! Eine Stunde vor der Stadt brach mein drittes Pferd vor Ermüdung zusammen. Nun lief ich, was ich laufen konnte, den Thoren zu. Die Spaziergänger und Wanderer müssen mich alle für wahnsinnig gehalten haben. Den ersten Reiter, der mir begegnete, einen Kaufmann aus Kelänä, riß ich ohne Weiteres vom Pferde, schwang mich in den Sattel und war, bevor der nächste Morgen graute, mit dem geschicktesten sardischen Arzte und dem besten Reisewagen des Oroetes bei unserem Kranken, den wir, im langsamsten Schritte fahrend, in dieses Haus brachten, woselbst er ein hitziges Fieber bekam, alle Dummheiten, die nur ein Menschengehirn ausdenken kann, phantasirte, und uns so grausame Angst ausstehen ließ, daß mir, wenn ich daran denke, noch immer die hellen Schweißtropfen von der Stirne triefen.«
Hier ergriff Bartja die Hand des Freundes und sagte, sich an Darius wendend:
»Ihm und Gyges verdanke ich mein Leben. Sie haben mich, bis sie euch entgegenritten, keine Minute verlassen und mich gepflegt wie eine Mutter ihr krankes Kind. Auch Deiner Güte, Oroetes, bin ich verpflichtet; doppelt, weil Dir aus derselben Unannehmlichkeiten erwachsen sind.«
»Wie wäre das möglich?« fragte Darius.
»Jener Polykrates von Samos, dessen Namen in Aegypten so oft genannt wurde, hat den berühmtesten Arzt, den Griechenland zeugte, bei sich. Nun schreibt Oroetes, als ich krank in seinem Hause liege, an Democedes471 und bittet ihn mit ungeheuren Versprechungen, sogleich nach Sardes zu kommen. Samische Seeräuber, welche die ganze ionische Küste unsicher machen, fangen den Boten auf und überbringen den Brief des Oroetes ihrem Herrn Polykrates. Dieser öffnet ihn und schickt den Abgesandten hieher zurück mit der Botschaft, Democedes stehe in seinem Solde. Wenn Oroetes472 seine Dienste begehre, so möge er sich an ihn, den Polykrates selbst, wenden. Unser edler Freund demüthigte sich um meinetwillen und willfahrte dem Samier, indem er ihn seinen Arzt nach Sardes zu senden ersuchte.«
»Und Polykrates?« fragte Prexaspes.
»Der hochmüthige Inselfürst sandte sofort den Heilkünstler, welcher mich, wie ihr seht, wieder hergestellt und Sardes erst vor wenigen Tagen reich beschenkt verlassen hat.«
»Uebrigens,« fiel Zopyrus dem Königssohn in die Rede, »kann ich wohl begreifen, warum der Samier seinen Leibarzt nicht gern von sich läßt. Ich sage Dir, Darius, solchen Mann gibt es nicht zweimal! Schön ist er wie Minutscher, klug wie Piran Wisa, stark wie Rustem473 und hülfreich wie das heilige Soma474 Du hättest nur sehen sollen, wie er metallene Scheiben, die er Diskus nannte, zu schleudern verstand. Ich bin kein Schwächling; aber er warf mich nach kurzem Ringen zu Boden, und Geschichten konnte er Dir erzählen, Geschichten, daß einem beim Zuhören das Herz im Leibe tanzte.«
»Wir haben einen ähnlichen Menschen kennen gelernt,« sagte Darius, die Begeisterung seines Freundes belächelnd, »Phanes, den Athener, welcher damals kam, um unsere Unschuld zu beweisen.«
»Democedes, der Arzt, ist aus Kroton, einem Orte, der dicht beim Untergange der Sonne liegen muß –«
»Aber,« fügte Oroetes hinzu, »wie Athen von Hellenen bewohnt wird. Hütet euch vor diesen Menschen, meine jungen Freunde, denn sie sind eben so schlau, lügnerisch und selbstsüchtig, als kräftigen Leibes, klug und schön.«
»Democedes ist edel und wahrheitsliebend,« rief Zopyrus.
»Und Phanes,« versicherte Darius, »wird selbst von Krösus für ebenso tugendhaft als tüchtig gehalten.«
»Auch Sappho,« bestätigte Bartja diese Aussage, »hat des Atheners nur rühmend gedacht. Schweigen wir aber von den Hellenen, denen Oroetes nicht wohl will, da sie ihm, ihrer Widerspenstigkeit wegen, viel zu schaffen machen.«
»Das wissen die Götter!« seufzte der Satrap. »Eine Griechenstadt ist schwerer im Gehorsam zu halten, als alle Länder zwischen dem Euphrat und Tigris.«
Während dieser Worte des Satrapen war Zopyrus an das Fenster getreten und rief, den Redner unterbrechend: »Die Sterne stehen schon sehr hoch, und Bartja bedarf der Ruhe; darum eile Dich, Darius, und fange an von der Heimath zu erzählen!«
Der Sohn des Hystaspes winkte beistimmend und begann mit dem Berichte jener Ereignisse, welche wir bereits kennen. Das Ende der Nitetis flößte namentlich Bartja aufrichtige Teilnahme ein, während der entdeckte Betrug des Amasis alle Anwesenden mit Staunen und Entrüstung erfüllte.
»Nachdem die eigentliche Herkunft der Verstorbenen unumstößlich festgestellt war,« fuhr der Erzähler nach einer kurzen Pause fort, »schien Kambyses wie umgewandelt zu sein. Er berief uns Alle zum Kriegsrath, und hatte bei Tafel wieder statt der Trauerkleider königliche Gewänder an. Ihr könnt euch denken, mit welchem Jubel die Hoffnung auf einen Krieg mit Aegypten aufgenommen wurde. Nicht einmal Krösus, der dem Amasis wohl will, und sonst, wo er nur immer kann, zum Frieden räth, hatte diesmal etwas einzuwenden. Am andern Morgen wurde, wie gewöhnlich, das im Rausche Beschlossene nüchternen Muthes überdacht. Nachdem verschiedene Ansichten laut geworden waren, bat Phanes um das Wort und sprach wohl eine Stunde lang. Aber wie verstand er zu reden! Es war, als hätten ihm die Götter Wort für Wort in den Mund gelegt. Unsere Sprache, die er in unglaublich kurzer Zeit erlernt hat, floß wie Honig von seinen Lippen und lockte bald heiße Thränen aus Aller Augen, bald stürmischen Jubel und wilde Ausbrüche der Wuth aus der Brust der Anwesenden. Jede Bewegung seiner Hände war anmuthig wie der Wink einer Tänzerin, und dennoch männlich und würdevoll. Ich vermag seine Rede nicht wiederzugeben, denn meine Worte würden neben den seinen wie Trommelgerassel neben Donnerschlägen klingen. Und als wir endlich, hingerissen und begeistert, den Krieg einstimmig beschlossen hatten, nahm Phanes noch einmal das Wort und gab die Mittel und Wege an, durch welche man den Sieg am leichtesten erringen könnte.«
Hier mußte Darius innehalten, denn Zopyrus war ihm mit lauten Jubelrufen um den Hals gefallen. Auch Bartja, Gyges und der Satrap Oroetes nahmen diese Nachricht freudig auf und drängten den Erzähler, schleunigst fortzufahren.
»Im Monat Farwardin475,« begann der Jüngling von neuem, »müssen unsere Heere an der Grenze von Aegypten stehen, weil im Murdâd476 der Nil sein Bett verläßt und den Marsch des Fußvolks zu hindern droht. Der Hellene Phanes ist jetzt auf dem Wege zu den Arabern, um ein Bündniß mit ihnen zu schließen477. Die Wüstensöhne sollen unsere Heere in ihrem quellenlosen Lande mit Wasser und Führern versehen. Ferner will er das reiche Cypern, welches er einstmals dem Amasis eroberte, für uns gewinnen. Die Könige dieser Insel haben durch seine Fürsprache ihre Kronen behalten und werden seinen Rathschlägen Folge leisten. Der Athener sorgt für Alles und kennt Weg und Steg, als könne er, wie die Sonne, die ganze Erde überschauen. Er