Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Dich nicht mehr küssen.‹ Benra grüßt Dich herzlich, und mein Schwiegersohn läßt Dir sagen, er habe in Erfahrung gebracht, daß Psamtik, der Thronfolger, und Petammon, der Augenarzt, Dein alter Nebenbuhler, ganz allein an dieser fluchwürdigen Frevelthat schuld wären. Weil ich mich nicht dem typhonischen Meere anvertrauen wollte, so reiste ich zuerst mit einem Zuge arabischer Handelsleute bis nach Thadmor, der palmenreichen Wüstenstation der Phönizier433, und von dort mit sidonischen Händlern bis Karchemis am Euphrat, woselbst sich die von Phönizien nach Babylon führende Straße mit derjenigen verbindet, die von Sardes aus hierher führt. Schwer ermüdet saß ich dort in dem Wäldchen vor dem Stationshause, als ein mit königlichen Postpferden reisender Fremder ankam. Ich erkannte in ihm sofort den früheren Obersten der hellenischen Söldner.«
»Und ich,« unterbrach Phanes den Erzähler, »erkannte ebenso schnell in Dir, Alter, den längsten und zänkischsten Menschen, der mir je begegnet ist. Hundertmal hatte ich zu Sais über Dich lachen müssen, wenn Du auf die Kinder schaltest, die Dir nachliefen, so oft Du mit dem Arzneikästchen unter dem Arme Deinem Herrn durch die Straßen folgtest. Ja, ich erinnerte mich, sobald ich Dich sah, eines Scherzes, den sich der König nach seiner Art auf Deine Kosten erlaubt hatte. Als ihr Beide eines Tages vorbeikamet, rief er: ›Der Alte kommt mir vor wie eine grimmige Eule, die von kleinen necksüchtigen Vögeln umflattert wird, und Nebenchari soll ein böses Weib haben, das ihm zum Lohne für all’ die Augen, welche er sehend macht, seine eigenen auskratzen wird!‹«
»Solche Schändlichkeit!« rief der Alte, in Verwünschungen ausbrechend.
Der Arzt hatte schweigend und sinnend der Erzählung seines Dieners zugehört. Von Zeit zu Zeit wechselte die Farbe seines Angesichts. Als er hörte, daß man seine Papiere, die Frucht vieler mühsam durcharbeiteter Nächte, verbrannt, mit dem Willen seiner Standesgenossen und des Königs freventlich zerstört habe, ballten sich seine Fäuste und sein Körper erbebte, als überkomme ihn ein harter Frost.
Dem Athener war keine Bewegung des Saïten entgangen. Er kannte die menschliche Natur und wußte, daß häufig ein Wort des Spottes die Seele des Ehrgeizigen tiefer verletzt, als harte Beleidigungen. Darum wiederholte er gerade jetzt jenen leichtfertigen Scherz, den sich Amasis in Wahrheit einstmals, seiner schalkhaften Neigung folgend, erlaubt hatte. Auch war seine Rechnung richtig gewesen, denn er bemerkte, daß Nebenchari bei seinen letzten Worten eine Rose, welche vor ihm auf dem Tische lag, mit der flachen Hand zerdrückte. Ein wohlgefälliges Lächeln unterdrückend, sah Phanes zu Boden und fuhr fort. »Jetzt wollen wir aber die Erzählung der Reiseabenteuer des braven Hib schnell beschließen. Ich lud ihn ein, meinen Wagen zu theilen. Erst weigerte er sich, mit einem so verruchten Fremden, wie ich bin, auf einem Polster zu sitzen; doch gab er endlich meinen Bitten nach, hatte auf der letzten Station Gelegenheit, an dem Bruder des Oberpriesters Oropastes die Handgriffe, welche er Dir und Deinem Vater abgesehen, der Welt zu zeigen, und langte glücklich zu Babylon an, woselbst ich ihm im Königspalaste selbst ein Unterkommen verschaffte, weil wir Deiner, wegen der traurigen Vergiftung Deiner Landsmännin, nicht habhaft werden konnten. Das Andere weißt Du.« –
Nebenchari senkte bejahend sein Haupt und befahl Hib mit einem ernsten Winke, das Zimmer zu verlassen.
Der Alte gehorchte brummend und leise vor sich hin scheltend. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, näherte sich der Heilkünstler dem Kriegsmann und sagte: »Ich fürchte, Hellene, daß wir trotz alledem keine Bundesgenossen sein können!«
»Und warum nicht?«
»Weil ich vermuthe, daß Deine Rache im Vergleich zu derjenigen, die mir zu üben obliegt, zu gelinde ausfallen möchte.«
»In dieser Beziehung hast Du nichts zu besorgen!« antwortete der Athener. »Darf ich Dich meinen Bundesgenossen nennen?«
»Ja; unter einer Bedingung!«
»Laß sie hören!«
»Du mußt mir Gelegenheit verschaffen, mit eigenen Augen das Werk unserer Rache zu sehen.«
»Das heißt, Du willst, wenn Kambyses nach Aegypten zieht, das Heer begleiten?«
»Ja! Und wenn meine Feinde in Schmach und Elend schmachten, dann will ich ihnen zurufen: ›Seht, ihr Feiglinge, dies Unheil verdankt ihr dem armen, verbannten Augenarzte!‹ O, meine Bücher, meine Bücher! Sie waren mir Ersatz für Weib und Kind, die ich Beide verloren. Aus ihnen sollten Hunderte lernen, den Blinden aus seiner Nacht zu erlösen und dem Schauenden die süßeste Göttergabe, die Blume des Angesichts, das Gefäß des Lichtes, das sehende Auge, zu erhalten. Nun meine Bücher zerstört sind, hab’ ich umsonst gelebt; mit meinen Werken haben die Elenden mich selbst verbrannt! O meine Bücher, meine Bücher!« Bei diesen Worten schluchzte der unglückliche Mann schmerzlich auf; Phanes aber näherte sich ihm, ergriff seine Rechte und sprach: »Dich, mein Freund, haben die Aegypter geschlagen, ich aber bin von ihnen gemißhandelt worden; Dir sind Diebe in die Scheune gedrungen, mir haben Mordbrenner Haus und Hof eingeäschert. Weißt Du, Mann, weißt Du, was man mir gethan hat? Wenn sie mich verjagten und verfolgten, so hatten sie ein Recht dazu, denn ich war nach ihren Gesetzen des Todes schuldig. Um meinetwillen hätte ich ihnen vergeben können, denn ich hing an diesem Amasis, wie ein Freund an dem Freunde hängt. Das wußte der Elende, und dennoch litt er das Unglaubliche. O, das Gehirn sträubt sich, das Entsetzliche zu denken! Wie die Wölfe drangen sie bei Nacht in das Haus eines wehrlosen Weibes und raubten meine Kinder, ein Mädchen und einen Knaben, den Stolz, die Freude, den Trost meines heimathlosen Lebens. Und was thaten sie mit ihnen? Das Mädchen hielten sie gefangen, wie sie vorgaben, um mich zu verhindern, Aegypten an die Fremden zu verrathen; den Knaben aber, das Bild der Schönheit und Güte, meinen einzigen Sohn, hat Psamtik, der Thronerbe, vielleicht mit Wissen des Amasis, ermorden lassen. Mein Herz war in Gram und Verbannung zusammengeschrumpft, jetzt aber fühle ich, wie es in der Hoffnung nach Rache anschwillt und in freudigeren Schlägen pocht!«
Nebenchari sah mit düsterglühenden Blicken in die flammenden Augen des Atheners und sprach, indem er ihm die Hand reichte: »Wir sind Bundesgenossen!«
Der Hellene ergriff die Rechte des Arztes und sagte: »Jetzt gilt es zunächst, uns der Gunst des Königs zu versichern!«
»Ich werde Kassandane sehend machen.«
»Du könntest?«
»Jene Operation, welche Amasis das Licht wieder gab, ist meine Erfindung. Petammon entwandte sie mir aus meinen verbrannten Schriften.«
»Warum hast Du aber Deine Kunst nicht früher bewährt?«
»Weil ich nicht gewohnt bin, meinen Feinden Geschenke zu machen.«
Phanes fühlte bei diesen Worten einen leisen Schauder; faßte sich aber schnell und sagte: »Auch mir ist die Gunst des Königs gewiß. Die Gesandten der Massageten sind heute schon heimwärts gezogen. Man hat ihnen den Frieden bewilligt und –«
In diesem Augenblick wurde die Thür aufgerissen, ein Eunuch Kassandane’s stürzte athemlos in’s Zimmer und rief Nebenchari zu: »Die Herrin Nitetis will sterben! Schnell, schnell! Mach’ Dich auf und folge mir!«
Der Arzt winkte seinem Bundesgenossen zu, zog die Sandalen an und folgte dem Eunuchen an das Lager der hinscheidenden Königsbraut.
Zweites Kapitel
Schon versuchte die Sonne, sich durch die dichten Vorhänge, welche das Fenster des Krankenzimmers der Aegypterin verschlossen, Bahn zu brechen, als Nebenchari noch immer an ihrem Lager saß. Bald befühlte er ihren Puls, bald bestrich er ihre Stirn und Brust mit duftenden Salben, bald starrte er träumerisch vor sich hin. Die Leidende schien nach einem Krampfanfalle in tiefem Schlummer zu liegen. Am Fußende ihres Bettes standen sechs persische Heilkünstler und murmelten Beschwörungen, während Nebenchari zu Häupten der Kranken saß und von dort aus den Asiaten, die seine überlegenen Kenntnisse anerkannten, Vorschriften diktirte.
So oft