Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


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ent­zweit, und wä­ren in un­ver­söhn­li­che Feind­schaft ge­ra­ten. Der­glei­chen Ver­än­de­run­gen oder viel­mehr Zuta­ten wur­den in ge­dach­tem Ate­lier, wo ich mit den Künst­lern ganz al­lein blieb, aus­ge­fer­ti­get, und es un­ter­hielt mich, aus den Stu­di­en, be­son­ders der Tie­re, die­ses und je­nes Ein­zel­ne, die­se oder jene Grup­pe aus­zu­su­chen und sie für die Nähe oder die Fer­ne in Vor­schlag zu brin­gen; worin man mir denn manch­mal aus Über­zeu­gung oder Ge­neigt­heit zu will­fah­ren pfleg­te.

      Die Teil­neh­men­den an die­sem Ge­schäft wur­den also höchst mut­los, be­son­ders See­katz, ein sehr hy­po­chon­dri­scher und in sich ge­zo­gner Mann, der zwar un­ter Freun­den durch eine un­ver­gleich­lich heitre Lau­ne sich als den bes­ten Ge­sell­schaf­ter be­wies, aber wenn er ar­bei­te­te, al­lein, in sich ge­kehrt und völ­lig frei wir­ken woll­te. Die­ser soll­te nun, wenn er schwe­re Auf­ga­ben ge­löst, sie mit dem größ­ten Fleiß und der wärms­ten Lie­be, de­ren er im­mer fä­hig war, vollen­det hat­te, zu wie­der­hol­ten Ma­len von Darm­stadt nach Frank­furt rei­sen, um ent­we­der an sei­nen ei­ge­nen Bil­dern et­was zu ver­än­dern, oder frem­de zu staf­fie­ren, oder gar un­ter sei­nem Bei­stand durch einen drit­ten sei­ne Bil­der ins Bunt­sche­cki­ge ar­bei­ten zu las­sen. Sein Miss­mut nahm zu, sein Wi­der­stand ent­schied sich, und es brauch­te großer Be­mü­hun­gen von un­se­rer Sei­te, um die­sen Ge­vat­ter – denn auch er war’s ge­wor­den – nach des Gra­fen Wün­schen zu len­ken. Ich er­in­ne­re mich noch, dass, als schon die Kas­ten be­reit stan­den, um die sämt­li­chen Bil­der in der Ord­nung ein­zu­pa­cken, in wel­cher sie an dem Ort ih­rer Be­stim­mung der Ta­pe­zie­rer ohne wei­te­res auf­hef­ten konn­te, dass, sage ich, nur eine klei­ne, doch un­um­gäng­li­che Nach­ar­beit er­for­dert wur­de, See­katz aber nicht zu be­we­gen war, her­über­zu­kom­men. Er hat­te frei­lich noch zu gu­ter Letzt das Bes­te ge­tan, was er ver­moch­te, in­dem er die vier Ele­men­te in Kin­dern und Kna­ben, nach dem Le­ben, in Tür­stücken dar­ge­stellt und nicht al­lein auf die Fi­gu­ren, son­dern auch auf die Bei­wer­ke den größ­ten Fleiß ge­wen­det hat­te. Die­se wa­ren ab­ge­lie­fert, be­zahlt, und er glaub­te auf im­mer aus der Sa­che ge­schie­den zu sein; nun aber soll­te er wie­der her­über, um ei­ni­ge Bil­der, de­ren Maße et­was zu klein ge­nom­men wor­den, mit we­ni­gen Pin­sel­zü­gen zu er­wei­tern. Ein an­de­rer, glaub­te er, kön­ne das auch tun; er hat­te sich schon zu neu­er Ar­beit ein­ge­rich­tet: kurz, er woll­te nicht kom­men. Die Ab­sen­dung war vor der Türe, trock­nen soll­te es auch noch, je­der Ver­zug war miss­lich; der Graf, in Verzweif­lung, woll­te ihn mi­li­tä­risch ab­ho­len las­sen. Wir alle wünsch­ten, die Bil­der end­lich fort zu se­hen, und fan­den zu­letzt kei­ne Aus­kunft, als dass der Ge­vat­ter Dol­metsch sich in einen Wa­gen setz­te und den Wi­der­spens­ti­gen mit Frau und Kind her­über­hol­te, der dann von dem Gra­fen freund­lich emp­fan­gen, wohl ge­pflegt und zu­letzt reich­lich be­schenkt ent­las­sen wur­de. Nach den fort­ge­schaff­ten Bil­dern zeig­te sich ein großer Frie­de im Hau­se. Das Gie­bel­zim­mer im Man­sard wur­de ge­rei­nigt und mir über­ge­ben, und mein Va­ter, wie er die Kas­ten fort­schaf­fen sah, konn­te sich des Wun­sches nicht er­weh­ren, den Gra­fen hin­ter­drein zu schi­cken. Denn wie sehr die Nei­gung des Gra­fen auch mit der sei­ni­gen über­ein­stimm­te; wie sehr es den Va­ter freu­en muss­te, sei­nen Grund­satz, für le­ben­de Meis­ter zu sor­gen, durch einen Rei­che­ren so frucht­bar be­folgt zu se­hen; wie sehr es ihm schmei­cheln konn­te, dass sei­ne Samm­lung An­lass ge­ge­ben, ei­ner An­zahl bra­ver Künst­ler in be­dräng­ter Zeit einen so an­sehn­li­chen Er­werb zu ver­schaf­fen: so fühl­te er doch eine sol­che Ab­nei­gung ge­gen den Frem­den, der in sein Haus ein­ge­drun­gen, dass ihm an des­sen Hand­lun­gen nichts recht dün­ken konn­te. Man sol­le Künst­ler be­schäf­ti­gen, aber nicht zu Ta­pe­ten­ma­lern er­nied­ri­gen; man sol­le mit dem, was sie nach ih­rer Über­zeu­gung und Fä­hig­keit ge­leis­tet, wenn es ei­nem auch nicht durch­gän­gig be­ha­ge, zu­frie­den sein und nicht im­mer dar­an mark­ten und mä­keln: ge­nug, es gab, un­ge­ach­tet des Gra­fen eig­ner li­be­ra­len Be­mü­hung, ein für al­le­mal kein Ver­hält­nis. Mein Va­ter be­such­te je­nes Zim­mer bloß, wenn sich der Graf bei Ta­fel be­fand, und ich er­in­ne­re mich nur ein ein­zi­ges Mal, als See­katz sich selbst über­trof­fen hat­te und das Ver­lan­gen, die­se Bil­der zu se­hen, das gan­ze Haus her­bei­trieb, dass mein Va­ter und der Graf zu­sam­men­tref­fend an die­sen Kunst­wer­ken ein ge­mein­sa­mes Ge­fal­len be­zeig­ten, das sie an ein­an­der selbst nicht fin­den konn­ten.

      Kaum hat­ten also die Kis­ten und Kas­ten das Haus ge­räumt, als der frü­her ein­ge­lei­te­te, aber un­ter­broch­ne Be­trieb, den Gra­fen zu ent­fer­nen, wie­der an­ge­knüpft wur­de. Man such­te durch Vor­stel­lun­gen die Ge­rech­tig­keit, die Bil­lig­keit durch Bit­ten, durch Ein­fluss die Nei­gung zu ge­win­nen und brach­te es end­lich da­hin, dass die Quar­tier­her­ren den Be­schluss fass­ten: es sol­le der Graf um­lo­giert und un­ser Haus, in Be­tracht der seit ei­ni­gen Jah­ren un­aus­ge­setzt Tag und Nacht ge­trag­nen Last, künf­tig mit Ein­quar­tie­rung ver­schont wer­den. Da­mit sich aber hier­zu ein schein­ba­rer Vor­wand fin­de, so sol­le man in eben den ers­ten Stock, den bis­her der Kö­nigs­leut­nant be­setzt ge­habt, Miet­leu­te ein­neh­men und da­durch eine neue Be­quar­tie­rung gleich­sam un­mög­lich ma­chen. Der Graf, der nach der Tren­nung von sei­nen ge­lieb­ten Ge­mäl­den kein be­son­de­res In­ter­es­se mehr am Hau­se fand, auch oh­ne­hin bald ab­ge­ru­fen und ver­setzt zu wer­den hoff­te, ließ es sich ohne Wi­der­re­de ge­fal­len, eine an­de­re gute Woh­nung zu be­zie­hen, und schied von uns in Frie­den und gu­tem Wil­len. Auch ver­ließ er bald dar­auf die Stadt und er­hielt stu­fen­wei­se noch ver­schie­de­ne Char­gen, doch, wie man hör­te, nicht zu sei­ner Zufrie­den­heit. Er hat­te in­des das Ver­gnü­gen, jene so em­sig von ihm be­sorg­ten Ge­mäl­de in dem Schlos­se sei­nes Bru­ders glück­lich an­ge­bracht zu se­hen, schrieb ei­ni­ge Male, sen­de­te Maße und ließ von den mehr ge­nann­ten Künst­lern ver­schie­de­nes nach­ar­bei­ten. End­lich ver­nah­men wir nichts wei­ter von ihm, au­ßer dass man uns nach meh­re­ren Jah­ren ver­si­chern woll­te, er sei in West­in­di­en, auf ei­ner der fran­zö­si­schen Ko­lo­ni­en, als Gou­ver­neur ge­stor­ben.

      So viel Un­be­quem­lich­keit uns auch die fran­zö­si­sche Ein­quar­tie­rung moch­te ver­ur­sacht ha­ben, so wa­ren wir sie doch zu ge­wohnt ge­wor­den, als dass wir sie nicht hät­ten ver­mis­sen, dass uns Kin­dern das Haus nicht hät­te tot schei­nen sol­len. Auch war es uns nicht be­stimmt, wie­der zur völ­li­gen Fa­mi­li­enein­heit zu ge­lan­gen. Neue Miet­leu­te wa­ren schon be­spro­chen, und nach ei­ni­gem Keh­ren und Scheu­ern, Ho­beln und Boh­nen, Ma­len und An­strei­chen war das Haus völ­lig wie­der her­ge­stellt. Der Kanz­lei­di­rek­tor Mo­ritz mit den Sei­ni­gen, sehr wer­te Freun­de mei­ner El­tern, zo­gen ein. Die­ser, kein ge­bor­ner Frank­fur­ter, aber ein tüch­ti­ger Ju­rist und Ge­schäfts­mann, be­sorg­te die Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten meh­re­rer klei­nen Fürs­ten, Gra­fen und Her­ren. Ich habe ihn nie­mals an­ders als hei­ter und ge­fäl­lig und über sei­nen Ak­ten em­sig ge­se­hen. Frau und Kin­der, sanft, still und wohl­wol­lend, ver­mehr­ten zwar nicht die Ge­sel­lig­keit in un­serm Hau­se, denn sie blie­ben für sich; aber es war eine Stil­le, ein Frie­de zu­rück­ge­kehrt, den wir lan­ge Zeit nicht ge­nos­sen hat­ten. Ich be­wohn­te nun wie­der mein Man­sard­zim­mer, in wel­chem die Ge­s­pens­ter der vie­len Ge­mäl­de


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