Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


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Dies ge­sch­ah, ohne dass ich da­durch klü­ger ge­wor­den wäre: denn die nack­te Ar­ma­tur be­lehr­te mich nicht wei­ter. Auch die­se nahm ich her­ab und be­hielt nun den blo­ßen Stein in Hän­den, mit dem ich durch Feil­spä­ne und Nähna­deln man­cher­lei Ver­su­che zu ma­chen nicht er­mü­de­te, aus de­nen je­doch mein ju­gend­li­cher Geist, au­ßer ei­ner man­nig­fal­ti­gen Er­fah­rung, kei­nen wei­tern Vor­teil zog. Ich wuss­te die gan­ze Vor­rich­tung nicht wie­der zu­sam­men­zu­brin­gen, die Tei­le zer­streu­ten sich, und ich ver­lor das emi­nen­te Phä­no­men zu­gleich mit dem Ap­pa­rat.

      Nicht glück­li­cher ging es mir mit der Zu­sam­men­set­zung ei­ner Elek­tri­sier­ma­schi­ne. Ein Haus­freund, des­sen Ju­gend in die Zeit ge­fal­len war, in wel­cher die Elek­tri­zi­tät alle Geis­ter be­schäf­tig­te, er­zähl­te uns öf­ter, wie er als Kna­be eine sol­che Ma­schi­ne zu be­sit­zen ge­wünscht, wie er sich die Haupt­be­din­gun­gen ab­ge­se­hen und mit Hil­fe ei­nes al­ten Spinn­ra­des und ei­ni­ger Arz­neiglä­ser ziem­li­che Wir­kun­gen her­vor­ge­bracht. Da er die­ses gern und oft wie­der­hol­te und uns da­bei von der Elek­tri­zi­tät über­haupt un­ter­rich­te­te, so fan­den wir Kin­der die Sa­che sehr plau­si­bel und quäl­ten uns mit ei­nem al­ten Spinn­ra­de und ei­ni­gen Arz­neiglä­sern lan­ge Zeit her­um, ohne auch nur die min­des­te Wir­kung her­vor­brin­gen zu kön­nen. Wir hiel­ten dem un­ge­ach­tet am Glau­ben fest und wa­ren sehr ver­gnügt, als zur Mess­zeit un­ter an­de­ren Ra­ri­tä­ten, Zau­ber- und Ta­schen­spie­ler­küns­ten auch eine Elek­tri­sier­ma­schi­ne ihre Kunst­stücke mach­te, wel­che, so wie die ma­gne­ti­schen, für jene Zeit schon sehr ver­viel­fäl­tigt wa­ren.

      Das Miss­trau­en ge­gen den öf­fent­li­chen Un­ter­richt ver­mehr­te sich von Tage zu Tage. Man sah sich nach Haus­leh­rern um, und weil ein­zel­ne Fa­mi­li­en den Auf­wand nicht be­strei­ten konn­ten, so tra­ten meh­re­re zu­sam­men, um eine sol­che Ab­sicht zu er­rei­chen. Al­lein die Kin­der ver­tru­gen sich sel­ten; der jun­ge Mann hat­te nicht Au­to­ri­tät ge­nug, und nach oft wie­der­hol­tem Ver­druss gab es nur ge­häs­si­ge Tren­nun­gen. Kein Wun­der da­her, dass man auf an­de­re An­stal­ten dach­te, wel­che so­wohl be­stän­di­ger als vor­teil­haf­ter sein soll­ten.

      Auf den Ge­dan­ken, Pen­sio­nen zu er­rich­ten, war man durch die Not­wen­dig­keit ge­kom­men, wel­che je­der­mann emp­fand, dass die fran­zö­si­sche Spra­che le­ben­dig ge­lehrt und über­lie­fert wer­den müs­se. Mein Va­ter hat­te einen jun­gen Men­schen er­zo­gen, der bei ihm Be­dien­ter, Kam­mer­die­ner, Se­kre­tär, ge­nug, nach und nach al­les in al­lem ge­we­sen war. Die­ser, na­mens Pfeil, sprach gut fran­zö­sisch und ver­stand es gründ­lich. Nach­dem er sich ver­hei­ra­tet hat­te und sei­ne Gön­ner für ihn auf einen Zu­stand den­ken muss­ten, so fie­len sie auf den Ge­dan­ken, ihn eine Pen­si­on er­rich­ten zu las­sen, die sich nach und nach zu ei­ner klei­nen Schul­an­stalt er­wei­ter­te, in der man al­les Not­wen­di­ge, ja zu­letzt so­gar La­tei­nisch und Grie­chisch lehr­te. Die weit­ver­brei­te­ten Kon­ne­xio­nen von Frank­furt ga­ben Ge­le­gen­heit, dass jun­ge Fran­zo­sen und Eng­län­der, um Deutsch zu ler­nen und sonst sich aus­zu­bil­den, die­ser An­stalt an­ver­traut wur­den. Pfeil, der ein Mann in sei­nen bes­ten Jah­ren, von der wun­der­sams­ten Ener­gie und Tä­tig­keit war, stand dem Gan­zen sehr lo­bens­wür­dig vor, und weil er nie ge­nug be­schäf­tigt sein konn­te, so warf er sich bei Ge­le­gen­heit, da er sei­nen Schü­lern Mu­sik­meis­ter hal­ten muss­te, selbst in die Mu­sik und be­trieb das Kla­vier­spie­len mit sol­chem Ei­fer, dass er, der nie­mals vor­her eine Tas­te an­ge­rührt hat­te, sehr bald recht fer­tig und brav spiel­te. Er schi­en die Ma­xi­me mei­nes Va­ters an­ge­nom­men zu ha­ben, dass jun­ge Leu­te nichts mehr auf­mun­tern und an­re­gen kön­ne, als wenn man selbst schon in ge­wis­sen Jah­ren sich wie­der zum Schü­ler er­klär­te und in ei­nem Al­ter, worin man sehr schwer neue Fer­tig­kei­ten er­langt, den­noch durch Ei­fer und An­halt­sam­keit Jün­gern, von der Na­tur mehr Be­güns­tig­ten den Rang ab­zu­lau­fen su­che.

      Durch die­se Nei­gung zum Kla­vier­spie­len ward Pfeil auf die In­stru­men­te selbst ge­führt, und in­dem er sich die bes­ten zu ver­schaf­fen hoff­te, kam er in Ver­hält­nis­se mit Frie­de­ri­ci in Gera, des­sen In­stru­men­te weit und breit be­rühmt wa­ren. Er nahm eine An­zahl da­von in Kom­mis­si­on und hat­te nun die Freu­de, nicht nur etwa ei­nen Flü­gel, son­dern meh­re­re in sei­ner Woh­nung auf­ge­stellt zu se­hen, sich dar­auf zu üben und hö­ren zu las­sen.

      Auch in un­ser Haus brach­te die Le­ben­dig­keit die­ses Man­nes einen grö­ßern Mu­sik­be­trieb. Mein Va­ter blieb mit ihm, bis auf die strit­ti­gen Punk­te, in ei­nem dau­ern­den gu­ten Ver­hält­nis­se. Auch für uns ward ein großer Frie­de­ri­ci­scher Flü­gel an­ge­schafft, den ich, bei mei­nem Kla­vier ver­wei­lend, we­nig be­rühr­te, der aber mei­ner Schwes­ter zu de­sto grö­ße­rer Qual ge­dieh, weil sie, um das neue In­stru­ment ge­hö­rig zu eh­ren, täg­lich noch ei­ni­ge Zeit mehr auf ihre Übun­gen zu wen­den hat­te; wo­bei mein Va­ter als Auf­se­her, Pfeil aber als Mus­ter­bild und an­trei­ben­der Haus­freund ab­wech­selnd zur Sei­te stan­den.

      Eine be­son­de­re Lieb­ha­be­rei mei­nes Va­ters mach­te uns Kin­dern viel Un­be­quem­lich­keit. Es war näm­lich die Sei­den­zucht, von de­ren Vor­teil, wenn sie all­ge­mei­ner ver­brei­tet wür­de, er einen großen Be­griff hat­te. Ei­ni­ge Be­kannt­schaf­ten in Hanau, wo man die Zucht der Wür­mer sehr sorg­fäl­tig be­trieb, ga­ben ihm die nächs­te Ver­an­las­sung. Von dort­her wur­den ihm zu rech­ter Zeit die Eier ge­sen­det; und so­bald die Maul­beer­bäu­me ge­nug­sa­mes Laub zeig­ten, ließ man sie aus­schlüp­fen und war­te­te der kaum sicht­ba­ren Ge­schöp­fe mit großer Sorg­falt. In ei­nem Man­sard­zim­mer wa­ren Ti­sche und Ge­stel­le mit Bret­tern auf­ge­schla­gen, um ih­nen mehr Raum und Un­ter­halt zu be­rei­ten: denn sie wuch­sen schnell und wa­ren nach der letz­ten Häu­tung so heiß­hung­rig, dass man kaum Blät­ter ge­nug her­bei­schaf­fen konn­te, sie zu näh­ren; ja sie muss­ten Tag und Nacht ge­füt­tert wer­den, weil eben al­les dar­auf an­kommt, dass sie der Nah­rung ja nicht zu ei­ner Zeit er­man­geln, wo die große und wun­der­sa­me Ver­än­de­rung in ih­nen vor­ge­hen soll. War die Wit­te­rung güns­tig, so konn­te man frei­lich die­ses Ge­schäft als eine lus­ti­ge Un­ter­hal­tung an­se­hen; trat aber Käl­te ein, dass die Maul­beer­bäu­me lit­ten, so mach­te es große Not. Noch un­an­ge­neh­mer aber war es, wenn in der letz­ten Epo­che Re­gen ein­fiel: denn die­se Ge­schöp­fe kön­nen die Feuch­tig­keit gar nicht ver­tra­gen; und so muss­ten die be­netz­ten Blät­ter sorg­fäl­tig ab­ge­wischt und ge­trock­net wer­den, wel­ches denn doch nicht im­mer so ge­nau ge­sche­hen konn­te, und aus die­ser oder viel­leicht auch ei­ner an­de­ren Ur­sa­che ka­men man­cher­lei Krank­hei­ten un­ter die Her­de, wo­durch die ar­men Krea­tu­ren zu Tau­sen­den hin­ge­rafft wur­den. Die dar­aus ent­ste­hen­de Fäul­nis er­reg­te einen wirk­lich pest­ar­ti­gen Ge­ruch, und da man die to­ten und kran­ken weg­schaf­fen und von den ge­sun­den ab­son­dern muss­te, um nur ei­ni­ge zu ret­ten, so war es in der Tat ein äu­ßerst be­schwer­li­ches und wi­der­li­ches Ge­schäft, das uns Kin­dern man­che böse Stun­de ver­ur­sach­te.

      Nach­dem wir nun ei­nes Jahrs die schöns­ten Früh­lings- und Som­mer­wo­chen mit War­tung der Sei­den­wür­mer hin­ge­bracht, muss­ten wir dem Va­ter in ei­nem an­de­ren Ge­schäft bei­ste­hen, das, ob­gleich ein­fa­cher, uns den­noch


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