Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.In der Eile seines Aufbruches, hatte er an Fotografieren überhaupt nicht gedacht. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß man unten im Dorf bestimmt Ansichtskarten kaufen könne, auf denen garantiert auch das Motiv der Zwillingsgipfel zu finden war.
Der junge Rechtsanwalt atmete tief durch. Die frische Bergluft schien mit dem Duft wilder Kräuter getränkt. Bert war bestimmt nicht sonderlich naturverbunden – sein Leben spielte sich in der Stadt zwischen Wohnung, Kanzlei und Gericht ab – doch auch er spürte das Besondere, das diese Welt ausmachte. Es war wirklich so, wie die Lehrerin gestern gesagt hatte. Rein und unverfälscht. Diesen Eindruck hatte er auch von den Menschen gewonnen, denen er im Hotel begegnet war. Sepp Reisinger und dessen Frau, Irma, das Personal, das fast ausschließlich aus der Gegend hier kam. Ihr ehrliches Wesen, der eigenartige Dialekt in dem sie manchmal sprachen, spiegelten eine heile Welt wider. Bestimmt gab es auch hier Probleme, wie anderswo auch, aber Bert glaubte, daß die Menschen in St. Johann anders mit ihnen umgingen. Das war vielleicht auch der Grund für die Zufriedenheit, die er auf den Gesichtern las.
*
Während ihm all dieses durch den Kopf ging, war er weiter gewandert. Schließlich stand er an einer Stelle, wo der Weg sich teilte. Ein Schild zeigte jedoch die Richtung an, in der er gehen mußte. Die Gegend war immer steiler geworden. Als er einen Blick zurück warf, stellte er fest, daß er sich schon in einer beachtlichen Höhe befand. Über ihm zogen Greifvögel ihre Bahnen, Gemsen und Wildhasen zeigten sich hier und da, um gleich wieder zu verschwinden, wenn sie des Menschen ansichtig wurden.
Nach eineinhalb Stunden hatte er es geschafft. In einer kleinen Senke sah er die Almwirtschaft liegen. Dort herrschte ein munteres Kommen und Gehen. Bert hatte sich mit dem Aufstieg Zeit gelassen und mehrere Pausen eingelegt, so daß die ersten Leute, die zugleich mit ihm losgegangen waren, die Sennerei schon wieder talabwärts verließen.
Der Anwalt blieb noch einen Moment stehen und genoß das Bild, das sich ihm da bot.
Ein großes Holzhaus mit mehreren Nebengebäuden stand in der Senke. Dahinter ein eingezäunter Pferch. Weiter rechts weidete eine Herde Kühe, auf der anderen Seite machte sich eine ganze Anzahl Ziegen über das saftige Gras und die Wildkräuter her. Vor der Almwirtschaft standen Tische und Bänke, aus Holz grob gezimmert. Viele Wanderer zogen es vor, bei dem schönen Wetter draußen zu sitzen. Bert suchte sich einen freien Platz und wartete gespannt darauf, was es zum Essen geben würde. Nach kurzer Zeit kam ein junger Bursche, dem man den Senner schon von weitem ansah. Er trug ein kariertes Hemd und dreiviertellange Krachlederne. Die Füße steckten in derben Bergschuhen.
»Pfüat di’, ich bin der Thurecker-Franz«, begrüßte er den Gast. »Was magst’ trinken?«
Bert bestellte ein Glas Milch, obwohl es auch Bier und Limonade im Angebot gab, und fragte nach einer Brotzeit.
»Freilich«, nickte Franz. »Da hätten wir ein gutes Brot mit Butter und Kas’, oder ein Pilzragout mit Knödeln.«
Der Anwalt entschied sich für das Pilzragout, das der Senner schon kurze Zeit später brachte. Es war eine Riesenportion und duftete köstlich. An seinem Tisch saßen noch ein paar andere Leute, die wohl aus dem Berliner Raum kamen, wie man an der Sprache, hören konnte. Es war eine Gruppe junger Leute, drei Männer und vier Mädeln. Sie unterhielten sich über einen See, den es in der Gegend geben müsse. Sie wußten allerdings nicht genau, wo er sich befand. Bert erinnerte sich, ihn auf der Karte gesehen zu haben.
»Ich glaube, ich kann Ihnen da weiterhelfen«, bot er an. »Wenn Sie den Achsteiner-See suchen, der befindet sich auf der anderen Seite des Tales. Warten S’ einen Moment.«
Er holte die Karte heraus und faltete sie dann ganz auseinander. Neugierig rückten die anderen heran.
»Hier«, deutete Bert auf die Stelle. »Zwischen Sankt Johann und Waldeck geht eine Straße nach Osten an. Die führt genau zum See.«
»Det isser«, berlinerte einer der jungen Männer. »Hoffentlich kann man da surfen. Immer nur die Berje ruff und wieder runta, det wird off die Dauer zu langweilig.«
»Wieso?« protestierten zwei der Mädel. »Bloß auf’m Brett ’rumstehen, det bringst’ aber och nich’.«
»In einem Prospekt las ich, daß der See als Surfrevier ausgewiesen ist«, meinte Bert Fortmann und zog damit das Interesse eines der Madeln auf sich.
Die junge Frau war etwa Mitte zwanzig, hatte kurze blonde Haare und ein niedliches Gesicht. Sie rückte noch näher an ihn heran.
»Ich heiße Bettina. Surfst du auch?« fragte sie.
Bert schmunzelte. Es war Jahre her, daß er auf einem Brett gestanden hatte. Er wußte nicht, ob er die Technik überhaupt noch beherrschte.
»Ich glaub’, ich müßt erst einmal wieder einen Kurs mitmachen«, gestand er. »Es ist einfach zu lange her.«
»Das wäre kein Problem«, meinte sie unbekümmert und deutete auf die Runde. »Wir sind alle erfahrene Surfer. Ich könnt’s dir wieder beibringen.«
Dabei sah sie ihm ganz tief in die Augen. Es war ganz offensichtlich, daß sie einem Flirt nicht abgeneigt war. Vermutlich war das Madel in der Gruppe, das keinen Partner hatte. Die anderen Männer und Frauen gehörten offenbar zusammen.
»Vielen Dank, aber ich glaub’ net, daß es noch viel Zweck hat«, lehnte er ihr Angebot ab.
Die anderen waren schon zum Aufbruch bereit.
»Bettina, kommst du?« rief einer von ihnen.
Die junge Frau machte ein bedauerndes Gesicht.
»Schade«, sagte sie lächelnd und winkte ihm zum Abschied zu.
Bert lächelte und winkte zurück. Er schaute ihnen nach, bis sie außer Sicht waren. Dabei schmunzelte er immer noch. Niedlich war sie schon gewesen, diese Bettina, und unter anderen Umständen, wäre er durchaus auf ihren Flirtversuch eingegangen. Doch er war nicht vor einer Frau davongelaufen, um sich gleich der nächsten an den Hals zu werfen. Er mußte und wollte zur Ruhe und Besinnung kommen. Er spürte wieder, daß Gloria von Haiden immer noch wie ein Schatten um ihn herum war. Selbst dann, wenn er meinte, sie vergessen zu haben, dachte er an sie. Dabei war es das einzige, was er wollte – sie vergessen.
Es war keine Liebe, die er fühlte. Auch kein Haß – es war Verachtung. Sie hatte mit ihm und seinen Gefühlen gespielt, seine Liebe schamlos ausgenutzt, um sich auf seine Kosten zu bereichern.
Er konnte sie gar nicht mehr lieben. Würde er sie eines Tages endlich vergessen können?
*
Verena Berger hatte beschlossen, ihren ersten Tag im Garten der Pension im Liegestuhl zu verbringen. Nach dem Frühstück war sie zu dem kleinen Zigarrenladen gegangen, der neben Tabakwaren, auch Zeitschriften und Bücher führte. Dort deckte sie sich mit einem Schwung illustrierter Magazine und einigen Taschenbüchern ein. Allerdings blätterte sie mehr gedankenlos darin, als daß sie sie wirklich ernsthaft las. In Gedanken war Verena ständig bei dem Mann, den sie erst gestern kennengelernt hatte, von dem sie aber nicht mehr los kam. Träumend lag sie da und hörte kaum, daß ihre Wirtin zum Mittag rief.
Da es in der Pension nur Frühstück, aber sonst kein Essen gab, hatte die Lehrerin ursprünglich vorgehabt, die Mahlzeiten im Hotel einzunehmen. Als Christel
Rathmacher davon hörte, protestierte sie sofort.
»Natürlich essen S’ mit uns«, sagte sie energisch. »Sie gehör’n doch schon fast zur Familie.«
Verena war dankbar für dieses Angebot, schonte sie doch dadurch ihre Reisekasse erheblich. Außerdem kochte die Wirtin unglaublich gut. Heute gab es einen herzhaften Eintopf, in dem alles d’rin war, was der Garten an Gemüsen hergab. Tobias Rathmacher kam Mittags zum Essen immer aus der Werkstatt herüber, die nur ein paar Straßen weiter war, so daß sie zu dritt am Tisch saßen.
Auch wenn sie für die Mahlzeiten bezahlte, so war es für Verena selbstverständlich, daß sie mit abdeckte, oder die Spülmaschine einräumte. Es war auch ein bißchen als Gegenleistung für Tobias Hilfe gedacht, daß sie sich