Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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gewesen. Jetzt wisse er, dass er einen Amtsgenossen habe, der an Recht und Gewalt ihm gleichstehe, durch Jugendkraft vor ihm den Vorzug habe. 10 Er könne also, obgleich er, was das Heer betreffe, gewohnt gewesen sei, zu leiten, nicht sich leiten zu lassen, seinen Amtsgenossen nicht in seinem Oberbefehl hindern. Er möge unter dem gnädigen Beistand der Götter handeln, wie er es für des Staates Bestes halte. 11 Er bitte sogar in Rücksicht auf sein Alter um die Nachsicht, nicht an der Spitze der Linie stehen zu dürfen, was aber in einer Schlacht einem Greis obliegen könne, das wolle er keineswegs verabsäumen. Nur darum bitte er die unsterblichen Götter, dass nicht etwa ein Unfall seinen Plan rechtfertige.

      12 Weder die Menschen hörten auf den heilsamen Rat noch die Götter auf das fromme Gebet. Der Urheber der Schlacht ordnete die erste Linie, dem Hintertreffen gab Camillus Haltung und stellte auch einen starken Posten zur Beobachtung vor dem Lager auf. Er selbst nahm bei dem Gang einer fremden Leitung als aufmerksamer Zuschauer seinen Stand auf einer Anhöhe.

      (24) Sobald beim ersten Zusammentreffen die Waffen klirrten, wich der Feind aus List, nicht aus Furcht zurück. 2 Ihm im Rücken hob sich zwischen seiner Linie und seinem Lager ein mäßiger Hügel, und weil er Truppen im Überfluss hatte, hatte er mehrere starke Kohorten unter den Waffen und schlachtfertig dazu im Lager stehen lassen, dass sie während des Gefechtes, wenn sich der Feind ihrer Befestigung näherte, hereinbrechen sollten. 3 Der Römer, durch seine hitzige Verfolgung des weichenden Feindes in eine ihm nachteilige Stelle gelockt, sah sich diesem Ausfall bloßgestellt. Folglich ging der Schrecken auf den Sieger über, und die römische Linie bekam durch den Angriff des neuen Feindes, zugleich durch den abschüssigen Abhang eine Beugung. 4 Die frischen Truppen der Volsker, die aus dem Lager ausgefallen waren, drangen ein, und zugleich erneuerten die, die zum Schein geflohen waren, das Gefecht. Schon zog sich der römische Soldat nicht bloß zurück, sondern ohne an seine heutige Vermessenheit und seinen alten Ruhm zu denken, wandte er auf mehreren Punkten den Rücken und eilte in vollem Lauf seinem Lager zu, 5 als Camillus, der, sobald ihn seine Umgebung auf sein Pferd gebracht hatte, schnell sein Hintertreffen vorschob und ihnen entgegenrief: Ist das die Schlacht, Soldaten, die ihr gefordert habt? Wo ist der Mensch, wo der Gott, den ihr anklagen könntet? Nur ihr seid es, deren Verwegenheit dort, nur ihr, deren Feigheit hier die Schuld trägt. 6 Seid ihr einem andern Führer gefolgt, so folgt nun dem Camillus und erringt, wie ihr unter meiner Führung gemahnt seid, den Sieg. Wozu den Blick auf den Wall und das Lager? Es soll keinen von euch aufnehmen, der nicht Sieger ist!

      7 Zuerst fesselte Scham die Davoneilenden. Dann, als sie sahen, dass die Fahnen gewandt, die Linie dem Feind wieder zugekehrt wurde, und der Feldherr bei seiner Auszeichnung durch so viele Triumphe auch durch sein Alter ehrwürdig, im Vordertreffen sich aussetzte, wo die meiste Anstrengung und Gefahr war, schalt jeder sich selbst und die anderen, und in mutigem Geschrei durchlief gegenseitige Ermunterung die ganze Linie.

      8 Auch ließ es der andere Tribun an sich nicht fehlen, sondern von seinem Amtsgenossen, der die Linie des Fußvolkes wiederherstellte, zur Reiterei geschickt, ersuchte er, ohne sich auf Verweise einzulassen – denn hierzu hatte er sich durch seine Teilnahme an ihrer Schuld das Ansehen vergeben –, nein, ganz vom Befehlen zum Bitten herabgestimmt, sie einzeln und insgesamt, sie möchten ihn, da er das Schicksal des heutigen Tages zu verantworten habe, von diesem Vorwurf befreien. 9 Ohne Zustimmung, ja gegen die Abmahnung meines Amtsgenossen gab ich mich lieber der Unbesonnenheit aller zum Teilnehmer hin, als der Vorsicht des einen, dem Camillus bringt euer Glück und euer Unglück nichts als eigenen Ruhm, ich aber werde – und hierin bin ich gerade am schlimmsten daran –, wenn die Schlacht nicht wiederhergestellt wird, das Missgeschick mit allen, die Schande allein tragen.

      10 Bei der schwankenden Haltung des Heeres hielten sie es für das Beste, die Pferde abzugeben und zu Fuß den Feind anzugreifen. Durch Waffen und Mut sich auszeichnend, schritten sie dahin, wo sie ihr Fußvolk am meisten bedrängt sahen. Führer und Soldaten machten sich den höchsten Wetteifer des Mutes zum unerlässlichen Ziele. 11 So wurde denn die Einwirkung der angestrengtesten Tapferkeit für den Ausgang entscheidend, und die Volsker, die in derselben Richtung, in der sie eben noch aus verstellter Furcht gewichen waren, jetzt als wirklich Fliehende fortstürzten, wurden größtenteils sowohl im Kampf als auch nachher auf der Flucht niedergehauen, die Übrigen dann im Lager, welches die Römer noch in demselben Angriff eroberten; doch wurden hier mehr gefangen als getötet.

      (25) Als man hier bei der Musterung der Gefangenen mehrere Tuskulaner erkannte, wurden diese von den Übrigen abgesondert, vor die Tribunen geführt, und auf näheres Befragen gestanden sie, nicht ohne Staatsbeschluss gedient zu haben. 2 Camillus, gegen einen in dieser Nähe zu befürchtenden Krieg nicht gleichgültig, sagte, er wolle sogleich die Gefangenen nach Rom führen, damit den Vätern der Abfall der Tuskulaner vom Bündnis nicht unbekannt bliebe. Sein Amtsgenosse möge inzwischen, wenn er wollte, Lager und Heer übernehmen.

      3 Diesen hatte jener eine Tag belehrt, sich mit seinen Maßregeln nicht über bessere hinwegzusetzen. Dennoch glaubte er selbst ebenso wenig wie irgendjemand im Heer, dass ihm Camillus jenen Missgriff, durch den er das Ganze an den Abgrund der Gefahr gebracht hatte, so völlig vergessen würde, 4 und im Heer wie in Rom galt es für eine ausgemachte Sache, dass bei dem wechselnden Erfolg der Schlacht im Volskischen die Schuld des unglücklichen Gefechtes und der Flucht den Lucius Furius treffe, alle Ehre des Sieges aber dem Marcus Furius gebühre. 5 Als die Väter, denen die Gefangenen im Senat vorgeführt wurden, für die Eröffnung des Krieges mit den Tuskulanern gestimmt und dem Camillus die Führung desselben übertragen hatten, bat er sie, ihm einen Gehilfen zu geben, und da ihm erlaubt wurde, von seinen Amtsgenossen zu wählen, wen er wolle, wählte er wider aller Erwarten den Lucius Furius. 6 Durch diese Selbstbeherrschung besänftigte er nicht allein die Schmach seines Amtsgenossen, sondern erwarb auch sich selbst allgemeinen Ruhm.

      Mit den Tuskulanern kam es aber nicht zum Krieg. Durch beharrlichen Frieden erwehrten sie sich, was sie mit den Waffen nicht konnten, der römischen Übermacht. 7 Als ihnen die Römer ins Land rückten, flüchtete aus den dem Zug nahen Ortschaften niemand, und nirgends wurde der Feldbau eingestellt. Bei offenen Toren zogen sie in Friedenskleidung scharenweise aus der Stadt den Feldherren entgegen, und freundschaftlich lieferten sie aus der Stadt und von den Dörfern dem Heer Zufuhr ins Lager. 8 Als Camillus, der sein Lager vor den Toren aufgeschlagen hatte, um zu wissen, ob dieses Bild des Friedens, das man ihm im Land zur Schau stellte, auch in den Ringmauern heimisch sei, in die Stadt rückte, 9 die Haustüren offen sah, in offenen Buden alles vorn zum Verkauf ausgestellt war, die Handwerker alle, jeder mit seiner Arbeit, sich beschäftigten, die Schulen von den Stimmen der Lernenden ertönten, auf vollen Gassen unter anderem Pöbel Kinder und Frauen hier- und dorthin gingen, wohin jeden seine Geschäfte führten, und nirgends das geringste Zeichen von Bestürzung, ja nicht einmal von Verwunderung war, 10 suchte er allenthalben mit spähenden Blicken um sich her, wo denn der Krieg gewesen sein möchte, 11 so wenig war irgendwo eine Spur von etwas auf die Seite Gebrachtem oder nur für jetzt Herbeigeschafftem zu finden, sondern alles war in ungestörtem Frieden so ruhig, dass man hätte glauben sollen, hier habe man auch nicht einmal von einem Krieg gehört.

      (26) So durch die Langmut der Feinde bezwungen, ließ er ihren Senat berufen und sprach: Bis jetzt habt ihr allein, Tuskulaner, die wahren Waffen und die rechten Mittel ausfindig gemacht, euer Eigentum vor dem Zorn der Römer zu schützen. 2 Geht nach Rom zum Senat; die Väter werden beurteilen, ob euer früheres Benehmen der Strafe, oder euer jetziges der Verzeihung würdiger sei. Ich bin nicht willens, den Dank für die Großmut des Staates mir im Voraus zuzueignen. Nur die Erlaubnis zur Abbitte nehmt von mir. Der Senat wird nach seinem Ermessen den Erfolg eurer Bitten bestimmen.

      3 Als die Tuskulaner nach Rom kamen und die Senatoren dieser noch kurz zuvor so treuen Bundesgenossen sich in der Vorhalle des Rathauses in Trauer zeigten, ließen die Väter, auf die sogleich das Mitleid wirkte, sie schon jetzt mehr gastfreundschaftlich als feindlich vorladen. 4 Die Rede des tuskulanischen Diktators lautete so:

      Ebenso gewaffnet und schlachtfertig, ihr versammelten Väter, wie ihr uns jetzt am Eingang eures Rathauses stehen seht, zogen wir, gegen die ihr den Krieg erklärtet und eröffnetet, euren Feldherren und Legionen entgegen. 5 So war unsere und unserer Bürger Haltung, und so wird sie immer sein, außer wenn wir die Waffen von euch und für euch in Empfang nehmen. Wir sagen euren Führern und euren


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