Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.ins Gefängnis führen lassen und nicht länger zugeben, dass die Menge von dir durch trügliche Hoffnungen aufgewiegelt werde.
7 Hierauf erwiderte Manlius, es sei ihm nicht entgangen, dass der Diktator nicht gegen die Volsker ernannt sei, die so oft Feinde sein müssten, als es den Vätern zuträglich sei, auch nicht gegen die Latiner und Herniker, welche man durch falsche Beschuldigungen zum Krieg treibe, sondern gegen ihn und den römischen Bürgerstand. 8 Schon wende man mit Beiseitesetzung eines Krieges, den man nur vorgegeben habe, sich gegen ihn, schon bekenne sich der Diktator zum Beschützer der Wucherer gegen die Bürger; schon suche man in der Liebe des Volkes zu ihm ein Verbrechen und sein Verderben. 9 Ist dir, fuhr er fort, Aulus Cornelius, und euch, ihr versammelten Väter, die meine Person umgebende Menge anstößig? Warum leitet ihr sie nicht durch eure Wohltaten von mir ab, wenn ihr für sie als Vermittler aufträtet, eure Mitbürger aus der Haft befreitet, es verhindertet, dass sie verurteilt und als Sklaven abgeführt werden, und von dem, was euren Reichtümern zuströmt, die Bedürfnisse eures Nächsten decktet? 10 Doch was ermahne ich euch, etwas von dem Eurigen aufzuwenden? Setzt endlich einmal die Schuldsumme fest, zieht, was an Zinsen abbezahlt ist, vom Kapital ab, und meine Umgebung wird sich vor der eines jeden anderen nicht auszeichnen. Wie aber? 11 Warum trage denn ich allein diese Sorge für meine Mitbürger? Hierauf wüsste ich ebenso wenig etwas zu antworten, als wenn mich jemand fragte, warum ich denn allein Kapitol und Burg gerettet hätte. Damals ließ ich Hilfe, soweit sie in meinen Kräften stand, allen angedeihen, und jetzt will ich sie den Einzelnen angedeihen lassen. 12 Was nun die gallischen Gelder anbetrifft, so macht bloß eure Frage die an sich leichte Sache schwierig. Denn warum fragt ihr nach etwas, das ihr wisst? Warum verlangt ihr, statt selbst die Sache darzulegen, dass wir euch die Falte, in der ihr sie versteckt haltet, ausschütteln sollen, wenn nicht ein Betrug dahinter steckt? 13 Je mehr ihr darauf dringt, dass man euch eure Taschenspielerkniffe angeben soll, je mehr fürchte ich, dass ihr euren Beobachtungen sogar die Augen weggezaubert habt. Folglich muss nicht ich dazu gezwungen werden, euren Raub euch nachzuweisen, wohl aber ihr dazu, ihn herauszugeben.
(16) Als er auf die Weisung des Diktators, diese Winkelzüge zu lassen, und auf die Nötigung, entweder die Wahrheit seiner Aussage darzulegen oder sich des Vergehens schuldig zu erklären, den Senat fälschlich verleumdet und ihm einen erlogenen Diebstahl aufgebürdet zu haben, zur Antwort gab, er lasse sich von seinen Feinden nicht vorschreiben, was er reden solle, befahl der Diktator, ihn ins Gefängnis zu führen. 2 Vom Gerichtsdiener ergriffen, rief er: Allmächtiger Jupiter, Königin Juno, du, Minerva, und ihr Götter und Göttinnen alle, die ihr das Kapitol und die Burg bewohnt, so lasst ihr euren Streiter und Beschützer so von seinen Feinden misshandelt werden? Diese Rechte, mit der ich die Gallier von euren Tempeln zurückgeschlagen habe, soll von jetzt an in Ketten und Banden sein?
3 Jedes Auge und Ohr fühlte sich durch den empörenden Auftritt beleidigt. Allein die Bürgerschaft, gewohnt einer gerechten Regierung sich mit größter Willigkeit zu fügen, hatte gewisse Staatsämter selbst gegen ihren Eingriff gesichert, und so wagten gegen die diktatorische Gewalt weder die Volkstribunen noch die Bürger selbst einen dreisten Blick oder ein lautes Wort.
4 Als Manlius ins Gefängnis geworfen war, legte ein großer Teil des Bürgerstandes, nach sicheren Nachrichten, Trauerkleider an; eine Menge Menschen ließ Bart und Haare wachsen,72 und Betrübte gingen scharenweise vor dem Eingang des Kerkers auf und ab. 5 Der Diktator triumphierte über die Volsker, und sein Triumph gereichte ihm mehr zum Vorwurf als zum Ruhm. Denn man rief laut, er habe ihn in Rom, nicht im Feld erworben, über einen Mitbürger und nicht über den Feind gehalten. Das Eine habe seinem Übermut noch gefehlt, dass Marcus Manlius nicht vor dem Wagen voraufgeführt sei. 6 Und schon war man einem Aufruhr nahe, als der Senat, ihn durch ein gelindes Mittel abzuwenden, ohne dass es jemand forderte, unerwartet den freiwilligen Geber machte. Er gab den Befehl, 2000 römische Bürger als Ansiedler nach Satricum zu führen, mit der Anweisung auf dreieinhalb Morgen Land für jeden. 7 Da man dies aber als eine Kleinigkeit, als ein nur Wenigen erteiltes Geschenk und als einen Preis betrachtete, um welchen man Manlius fallen lassen sollte, so wurde das Gegenmittel ein Sporn zum Aufruhr. 8 Teils machten die Anhänger des Manlius, in der Trauer ihres Aufzuges und Blickes den Angeklagten gleich, diese Auszeichnung immer auffallender, teils gestattete die nach dem Triumph durch Niederlegung der Diktatur geschwundene Furcht den Leuten freiere Sprache und freieren Mut.
(17) Daher hörte man ihre Äußerungen ganz öffentlich, in welchen sie dem Volk einen Vorwurf daraus machten, dass es jedes Mal durch seinen Beifall seine Verteidiger an einen gefährlichen Abgrund führe und dann in der dringendsten Gefahr im Stiche lasse. 2 So sei es des Spurius Cassius Unglück gewesen, dass er den Bürgerstand zum Ackerbesitz eingeladen habe, ebenso des Spurius Maelius, dass er sein Geld daran gewandt habe, den Hunger vom Mund seiner Mitbürger zu verscheuchen, so sei Marcus Manlius seinen Feinden geopfert worden, weil er den in Schulden versunkenen und vergrabenen Teil der Bürgerschaft wieder zur Freiheit und an das Tageslicht habe hervorziehen wollen. Der Bürgerstand mäste seine Volksfreunde, um sie abzuschlachten. 3 Ob wohl ein Konsulat sich so behandeln zu lassen nötig habe, weil er nicht gleich auf den Wink eines Diktators geantwortet habe? Angenommen, er habe zuvor gelogen, und darum nicht gewusst, was er jetzt antworten sollte: Ob denn je ein Sklave wegen einer Lüge in Fesseln geworfen sei? 4 Ob ihnen nicht das Andenken jener Nacht vorgeschwebt habe, die beinahe die letzte und ewige Nacht des römischen Namens geworden sei, nicht der Anblick der am Tarpejischen Felsen heransteigenden Schar der Gallier, nicht des Marcus Manlius selbst, wie sie ihn in seinen Waffen, von Schweiß und Blut bedeckt gesehen hätten, als er jetzt, man möchte sagen, den Jupiter selbst den Händen der Feinde entrissen hatte? 5 Ob sie etwa mit ihren halben Pfunden Mehl dem Retter des Vaterlandes vergolten hätten? Ob sie zugeben wollten, dass ein Mann, den sie beinahe zu einem der Himmlischen, wenigstens durch seinen Zunamen dem Kapitolinischen Jupiter gleichgemacht hätten, gefesselt im Kerker, in Finsternis, bei jedem Atemzug von der Willkür des Henkers abhängig sein solle? So viele Hilfe habe allen Einer leisten können, und so ganz und gar keine finde sich bei so vielen für den Einen?
6 Schon verlief sich ihr Haufe nicht einmal zur Nachtzeit von diesem Platz, und sie drohten, den Kerker zu erbrechen, als nach einem Senatsbeschluss, in welchem man ihnen nachließ, was sie schon sich selbst ertrotzen wollten, Manlius aus dem Gefängnis losgegeben wurde, eine Maßregel, die nicht den Aufruhr stillte, sondern dem Aufruhr einen Führer gab.
7 In diesen Tagen erhielten die Latiner und Herniker, und zugleich die Kolonien von Circei und Velitrae, die sich von dem den Volskerkrieg betreffenden Vorwurf reinigen wollten und um die Auslieferung der gefangenen Ihrigen baten, um sie nach eigenen Gesetzen zu bestrafen, eine traurige Antwort, eine noch härtere die Kolonisten, weil sie sich als römische Bürger so unverantwortlich auf Angriffe gegen ihr Vaterland eingelassen hätten. 8Man verweigerte ihnen also nicht nur die Gefangenen, sondern ließ ihnen im Namen des Senates andeuten – doch gegen die Bundesgenossen enthielt man sich dieser Erklärung –, sofort die Stadt zu räumen und sich nicht vor den Augen des römischen Volkes sehen zu lassen, damit nicht etwa der Schutz des Gesandtschaftsrechtes bei ihnen ungültig werde, das für Fremde, nicht für Bürger gegründet sei.
(18) Als der Manlianische Aufruhr wieder zum Ausbruch kam, wurde am Ende des Jahres der Wahltag gehalten, und aus den Vätern zu Kriegstribunen mit Konsulgewalt Servius Cornelius Maluginensis zum dritten Mal gewählt, Publius Valerius Potitus zum zweiten Mal, Marcus Furius Camillus zum fünften Mal, Servus Sulpicius Rufus zum zweiten Mal, Caius Papirius Crassus, Titus Quinctius Cincinnatus zum zweiten Mal.
2 Der auswärtige Friede, den der Anfang dieses Jahres gewährte, war sowohl den Vätern als auch dem Bürgerstand sehr willkommen, dem Bürgerstand, weil er durch keine Werbung abgerufen die Hoffnung hegte, sich unter einem so mächtigen Führer die Befreiung von Schulden zu erkämpfen, den Vätern, weil sie durch keine auswärtige Drohung von der Aufmerksamkeit auf die Heilung der inneren Gebrechen abgezogen wurden. 3 Da also beide Parteien etwas entschiedener auftraten, stellte sich auch Manlius zum herannahenden Kampf. Nachdem er die Bürgerlichen in sein Haus berufen hatte, beriet er mit den Ersten unter ihnen Tag und Nacht über Pläne zu einer Regierungsänderung, weit unternehmender und aufgebrachter, als er früher gewesen war. 4 Den Zorn hatte in dem Gemüt eines Mannes, dem Schmach vorher unbekannt gewesen war, die neuliche Beschimpfung entflammt; Mut machte ihm der Gedanke, teils dass sich