Römische Geschichte. Livius Titus
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14 Darauf beantragte der Volkstribun Marcus Duellius beim Bürgerstand, und der Bürgerstand machte es zum Beschluss, dass jeder, der den Bürgerstand ohne Tribunen sein ließe oder eine Obrigkeit ohne Ansprache wählte, an Leib und Leben gestraft werden sollte. 15 Alle diese Verhandlungen wurden, freilich nicht zur Zufriedenheit des Adels, abgetan, doch widersetzte sich niemand, weil die Wirkungen des Hasses bis jetzt noch keinen Einzelnen trafen.
(56) Kaum aber fanden die Tribunen nach Begründung der tribunizischen Macht und der Bürgerfreiheit den Angriff auf Einzelne sicher und zeitig, so bestimmten sie gleich zuerst den Verginius zum Ankläger und den Appius zum Beklagten. 2 Als Verginius den Appius vor Gericht geladen hatte, und Appius von jungen Adligen umgeben auf dem Markt sich einfand, erwachte bei allen, als sie ihn und seine Trabanten erblickten, die Erinnerung an die grässliche Gewalt. Darauf begann Verginius: 3 Die Reden sind für zweifelhafte Fälle erfunden. Ich werde also weder die Zeit damit verschwenden, den vor euch anzuklagen, von dessen Grausamkeit ihr euch selbst mit den Waffen befreit habt, noch dem Menschen gestatten, die Zahl seiner Gräueltaten durch eine unverschämte Verteidigung zu häufen. 4 Alles das, Appius Claudius, was du gottloser- und verruchterweise zwei Jahre lang eins nach dem andern dir erlaubt hast, erlasse ich dir. Nur wegen eines einzigen Klagepunktes lasse ich dich verhaften, wenn du nicht vor einem Richter nachweist, dass du nicht gesetzwidrig gegen eine freie Person auf Sklaverei erkannt habest. 5 Weder auf die Hilfe der Tribunen noch auf das Urteil des Volkes konnte Appius im Geringsten rechnen. Dennoch sprach er nicht nur die Tribunen an, sondern als ihr Amtsbote, weil sich keiner von ihnen ins Mittel schlug, Hand an ihn legte, rief er auch: Ich spreche das Volk an. 6 Dieses Wort, das Hauptrettungsmittel der Freiheit, als es jetzt aus demselben Mund erklang, der jüngst durch seinen Spruch Freiheit in Sklaverei umwandeln wollte, bewirkte eine allgemeine Stille. 7 Und während jeder nach seinen Empfindungen sich äußerte, endlich sehe man doch, dass es Götter gebe, und dass sie der Menschen Tun beachteten; auf Übermut und Grausamkeit folgten, wenngleich spät, doch nachdrückliche Strafen; 8 der spreche jetzt den Staat an, der die Ansprache aufgehoben habe; der flehe jetzt zum Volk um Schutz, der alle Rechte des Volkes niedergetreten habe, und des Rechts der Freiheit selbst bedürfend, werde jetzt gerade der zur Haft fortgeschleppt, der eine freie Person der Sklaverei zugesprochen habe. Unterdessen war im Gemurmel der Versammlung die Stimme des Appius hörbar, der das römische Volk um Erbarmen anrief. 9 Er erinnerte an die Verdienste seiner Vorfahren um den Staat im Frieden und im Krieg, an seinen unglücklichen Eifer für den römischen Bürgerstand, da er, um die Gesetze ausgleichen zu können, zum größten Anstoß für die Väter sein Konsulat aufgegeben habe, an seine Gesetze, bei deren fortdauernder Gültigkeit er, der Geber derselben, ins Gefängnis geführt werde. 10 Doch auf das, was sich für ihn insbesondere zu seinem Vorteil oder Nachteil sagen lasse, werde er es dann ankommen lassen, wenn ihm die Erlaubnis gegeben sei, sich zu verantworten. Vorläufig verlange er nur nach dem jedem Bürger zustehenden Recht, dass er als angeklagter römischer Bürger sich verteidigen und seine Sache der Entscheidung des römischen Volkes anheim stellen dürfe. 11 So sehr fürchte er den Hass noch nicht, dass er sich alle Hoffnung auf die Billigkeit und das Mitleid seiner Mitbürger versagen sollte, wolle man ihn unverhört ins Gefängnis führen, so spreche er abermals die Volkstribunen an und erinnere sie, nicht diejenigen nachzuahmen, die sie hassten. 12 Wenn aber die Tribunen eingestünden, dass sie sich ebenso durch einen Bund zur Aufhebung aller Ansprache verpflichtet hätten, wie sich dazu laut ihrer Beschuldigung die Dezemvirn verschworen haben sollten, so wende er sich an das Volk, so flehe er die Gesetze über die Ansprache an, die von Konsuln und von Tribunen erst in diesem Jahre gegeben seien. 13 Wer sich noch auf Ansprache einlassen könne, wenn es dem noch nicht Verurteilten, noch nicht Gehörten verwehrt werde? Welcher Bürgerliche, welcher geringe Mann bei den Gesetzen Schutz finden solle, wenn ihn ein Appius Claudius nicht fände? Er werde zum Beweis dienen, ob durch die neuen Gesetze Tyrannei oder Freiheit befestigt, und ob das Recht, gegen Kränkungen von oben Tribunen und Volk um Schutz anzusprechen, nur in toten Buchstaben vorgezeigt oder wirklich gegeben sei.
(57) Dagegen sagte Verginius, Appius Claudius sei der Einzige, der an Gesetzen, an bürgerlicher und menschlicher Verbindung keinen Teil habe. 2 Sie möchten zu seiner Richterbühne dort Hinblicken, dieser Burgfeste aller Verbrechen, wo jener immerwährende Dezemvir dem Eigentum, dem Rücken, dem Blut seiner Mitbürger auflauernd, jedem mit Ruten und Beilen drohend, 3 der Verächter aller Götter und Menschen, mit Henkern, nicht mit Gerichtsdienern umgeben, nachdem er endlich von Raub und Mord auf Unzucht verfallen sei, die frei geborene Tochter eines Bürgers im Angesicht des römischen Volkes als eine im Krieg erbeutete Sklavin aus den Umarmungen des Vaters weggerissen und einem Schützling, dem Lustdiener seines Schlafgemachs, zur Leibeignen gegeben habe. 4 Hier habe er durch seinen grausamen Spruch, durch seine unerhörte Zuerkennung die Hand des Vaters wider die Tochter bewaffnet. Hier habe er, mehr durch die gestörte Büßung seiner Lust als durch die Ermordung des Mädchens aufgebracht, den Befehl gegeben, ihren Bräutigam und Onkel, als sie die halbentseelte Leiche aufnahmen, ins Gefängnis zu führen. Das Gefängnis, das er so gern den Wohnort der römischen Bürgerlichen genannt habe, sei auch für ihn erbaut. 5 Sowie er also von Neuem und immer wieder das Volk anspreche, so werde er ihn von Neuem und immer wieder vor einen Richter fordern, vor dem er beweisen müsse, dass er nicht von Freiheit auf Sklaverei erkannt habe. Wolle er sich keinem Richter stellen, so werde er ihn als Verurteilten verhaften lassen.
6 So wurde Appius ins Gefängnis geworfen, was zwar niemand missbilligte, jedoch machte es auf alle einen tiefen Eindruck, und selbst den Bürgerlichen schien ihre Freiheit, die über einen so großen Mann die Todesstrafe verfügen konnte, zu weit gediehen. Verginius setzte die Entscheidung auf einen späteren Gerichtstag aus.
7 Unterdessen kamen von den Latinern und Hernikern Gesandte nach Rom, um den Vätern und Bürgern zu ihrer Eintracht Glück zu wünschen, und sie brachten dafür dem allmächtigen Jupiter ein Geschenk auf das Capitol, einen goldenen Kranz von mäßigem Gewicht, wie er damals sein musste, als man noch nicht reich war, und die Gottesverehrungen mehr mit Andacht als Pracht gefeiert wurden. 8 Durch ihre Aussage erfuhr man auch, dass sich die Aequer und Volsker mit aller Macht zum Krieg rüsteten. 9 Daher erhielten die Konsuln den Auftrag, sich in die Führung der Kriege zu teilen; dem Horatius bestimmte das Los die Sabiner, die Aequer und Volsker dem Valerius. Als sie die Aushebung für diese Kriege angesetzt hatten, meldeten sich aus Liebe zu ihnen nicht bloß die Bürger vom Dienstalter zur Einzeichnung ihrer Namen, sondern auch eine große Anzahl Freiwilliger, die schon über die Dienstjahre hinaus waren, und darum wurde das Heer nicht nur an Menge stärker, sondern auch durch den Wert der Truppen, unter denen so viele Veteranen dienten. 10 Ehe die Konsuln die Stadt verließen, ließen sie die in Erz gegrabenen Gesetze der Dezemvirn, welche den Namen der Zwölf Tafeln führen, öffentlich ausstellen. Einige melden, auf Befehl der Tribunen hätten die Ädilen dieses Geschäft besorgt.
(58) Caius Claudius – derselbe, welcher aus Abscheu gegen die Freveltaten der Dezemvirn, und vor allem erbittert wegen des Übermutes seines Brudersohnes, sich nach Regillum, seinem alten Stammort, zurückgezogen hatte –, dieser hochbetagte Mann war jetzt zurückgekehrt, um durch seine Fürbitte die Gefahr dessen abzuwenden, dessen Lastern er ausgewichen war. Er ging mit seinen Stammesgenossen und Schützlingen in Trauerkleidern auf dem Markte herum, drückte jedem Bürger die Hand und flehte, 2 sie möchten den Stamm der Claudier nicht dergestalt brandmarken, dass sie dessen Glieder des Kerkers und der Bande würdig erklärten. Der Mann, dessen Ahnenbild bei der Nachwelt von seiner höchsten Ehrenstelle zeugen werde, der Gesetzgeber und Stifter des römischen Rechts, liege gefesselt unter Dieben und Räubern. 3 Sie möchten einmal vom Zorn auf Untersuchung und Besinnung zurückkommen und lieber so vielen für ihn bittenden Claudiern den einen schenken, als aus Hass gegen den einen die Bitten so vieler zurückweisen. 4 Auch er tue dies bloß der Verwandtschaft und dem Namen zuliebe und habe sich noch nicht mit dem ausgesöhnt, dem er nur im Unglück habe helfen wollen. Durch Mut hätten sie die Freiheit wiedergewonnen, durch Milde könnten sie die Eintracht der Stände befestigen. 5 Einige rührte er, aber mehr durch sein eigenes Gefühl für die Seinen als durch die Sache dessen, für den er sprach. Allein Verginius bat, sie möchten sich vielmehr seiner erbarmen und seiner Tochter, und nicht auf die Bitten des claudischen Stammes hören, der in einer königlichen Macht über die Bürger seine Bestimmung fühle, sondern auf die Verwandten der Verginia und auf drei Tribunen, welche zum Schutz des Bürgerstandes