Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.seinem Strom in das Meer hinüberfließen. Lass es die Gefilde netzen, über die du es durch Kunst leitest, und tilge es, in Bäche zerteilt. 10 Dann steig du kühn die Mauern der Feinde hinauf, wohl wissend, dass dir über diese Stadt, die du seit Jahren schon umlagerst, laut dieser jetzt enthüllten Sprüche der Sieg beschieden sei. 11 Nach Beendigung des Krieges sollst du Sieger ein herrliches Geschenk zu meinem Tempel bringen und väterlichen Gottesdienst, den du versäumt hast, neu geweiht, nach seiner Weise verrichten.
(17) Nun bekam der gefangene Prophet ein großes Ansehen, und die Kriegstribunen Cornelius und Postumius zogen ihn zur Entsühnung des albanischen Wunderzeichens und gültigen Aussöhnung der Götter zu Rate. 2 Auch fand man endlich, in welche Beziehung die Götter über vernachlässigten Gottesdienst und unterlassene Gebräuche zu klagen hätten; es sei gewiss nichts anderes, als dass die fehlerhaft gewählten Obrigkeiten die Latinischen Feiertage und das Opfer auf dem Albanischen Berge nicht gehörig hätten ansagen können. 3 Das einzige Sühnungsmittel für alles dies bestehe darin, dass die Kriegstribunen ihr Amt niederlegten, das Recht der Vögelbefragung erneuert und eine Zwischenregierung angeordnet würde. 4 Dies alles wurde nach einem Senatsbeschluss vollzogen. Es folgten nacheinander drei Zwischenkönige, Lucius Valerius, Quintus Servilius Fidenas und Marcus Furius Camillus. 5 Dabei hörten die Unruhen niemals auf, weil die Volkstribunen die Wahlen untersagten, bis man darüber einig sei, dass der größere Teil der Kriegstribunen aus dem Bürgerstand gewählt werden solle.
6 Unterdessen sammelte sich Etrurien beim Heiligtum der Voltumna, und den Capenaten und Faliskern wurde auf ihren Antrag, dass alle Völkerschaften Etruriens einstimmig und einmütig zum Entsatz von Veji wirken möchten, die Antwort gegeben: 7 Sie hätten das schon früher den Vejentern abgeschlagen, weil diese da, wo sie in einer so wichtigen Sache keinen Rat verlangt hätten, auch keine Hilfe suchen dürften. 8 Und jetzt mache diese Hilfeleistung für ihren Teil ihr Verhältnis gerade auf dieser Seite Etruriens unmöglich. Ein nie gesehenes Volk, die Gallier, wären ihre neuen Nachbarn, mit denen sie weder sicheren Frieden noch ausgemachten Krieg hätten; 9 so viel aber wollten sie dem gemeinschaftlichen Blut und Namen und der dringenden Gefahr ihrer Verwandten nachgeben, dass sie von ihren jungen Leuten niemanden abhalten wollten, als Freiwilliger diesen Krieg mitzumachen. 10 In Rom ging das Gerücht, dass eine große Anzahl solcher Feinde gekommen sei, und wie gewöhnlich milderten sich bei der allgemeinen Gefahr die inneren Unruhen.
(18) Die Väter sahen es nicht ungern, dass die erste Zenturie den Publius Licinius Calvus, ohne dass er sich bewarb, zum Kriegstribun erwählte, einen Mann, dessen Mäßigung sie bei seiner vorigen Amtsführung kennengelernt hatten, der aber schon hochbetagt war; 2 und man sah, es würden alle seine damaligen Amtsgenossen der Reihe nach wiedergewählt werden, Lucius Titinius, Publius Maenius, Publius Maelius, Cnaeus Genucius und Lucius Atilius [alle jeweils zum zweiten Mal. Ehe aber ihre Namen den in der Reihe stimmenden Bezirken angezeigt wurden, trat Publius Licinius Calvus mit Erlaubnis des Zwischenkönigs auf und sprach: 3 Ich sehe, ihr Quiriten, ihr sucht in der Erneuerung des Andenkens an unser Amt für das folgende Jahr eine Vorbedeutung der Eintracht, dieser namentlich in der jetzigen Zeit so heilsamen Tugend. 4 Wenn ihr meine Amtsgenossen wiederwählt, so werdet ihr an ihnen Männer haben, die auch an Erfahrung gewannen, in mir aber seht ihr nicht mehr denselben, nur noch den übrig gebliebenen Schatten von Publius Licinius, nur noch den Namen, denn meine Körperkraft ist schwach, Sinne, Augen und Ohren sind abgestumpft, das Gedächtnis untreu, die Munterkeit des Geistes gelähmt. 5 Aber hier – so fuhr er fort und fasste seines Sohnes Hand –, hier zeige ich euch einen jungen Mann, das Ebenbild dessen, den ihr früher den ersten Kriegstribun vom Bürgerstand werden ließt. Ihn, in meinem Sinn erzogen, übergebe und weihe ich dem Staat als meinen Stellvertreter und bitte euch, Quiriten, die ohne meine Bitte mir angebotene Würde auf sein Gesuch und meine es begleitende Fürbitte ihm zu übertragen. 6 Man gewährte dies dem bittenden Vater, und sein Sohn Publius Licinius wurde mit den oben Erwähnten zum Kriegstribun mit konsularischer Gewalt gewählt.
7 Die Kriegstribunen Titinius und Genucius, welche gegen die Falisker und Capenaten auszogen und den Krieg mit mehr Mut als Vorsicht führten, gerieten in einen Hinterhalt. 8 Genucius fiel unter den Vordersten der Vorhut und büßte seine Unbesonnenheit mit einem ehrenvollen Tod. Titinius, der seine Soldaten aus der großen Unordnung auf einer Anhöhe zusammenzog, stellte die Linie wieder her, ließ sich aber nie in der Ebene mit dem Feind ein. 9 Der Verlust war nicht so groß wie die Schande, der aber beinahe in eine bedeutende Niederlage übergegangen wäre; so groß war der Schrecken, den er nicht bloß in Rom, wo das Gerücht vielfach übertrieben erscholl, sondern auch im Lager vor Veji erregte. 10 Hier ließen sich die Soldaten kaum von der Flucht zurückhalten, weil sich das Gerücht im Lager verbreitete, die siegreichen Capenaten und Falisker und Etruriens ganze Kriegsmacht hätten das Heer und die Feldherren niedergehauen und wären schon in der Nähe. 11 Noch beunruhigendere Nachrichten hatte man zu Rom geglaubt: Das Lager vor Veji werde schon bestürmt, schon rücke ein Teil der Feinde zum Angriff gegen die Stadt heran; man lief auf die Mauern, und die Frauen, die der allgemeine Schrecken aus den Häusern trieb, 12 verrichteten in den Tempeln feierliche Gebete und drangen flehend in die Götter, sie möchten doch nun auch Roms Häuser, Tempel und Mauern vor dem Untergang schützen und dieses Unglück auf Veji abwenden, da man die heiligen Gebräuche gehörig erneuert und die Sühnung der Schreckzeichen besorgt habe.
(19) Schon waren die Spiele der Latinischen Feiertage erneuert, schon aus dem Albanischen See das Wasser auf die Felder geleitet und das Schicksal zog über Veji heran. 2 Und so musste auch der vom Verhängnis zur Zerstörung dieser Stadt und zur Rettung seines Vaterlandes bestimmte Feldherr, Marcus Furius Camillus, zum Diktator ernannt werden, der den Publius Cornelius Scipio zu seinem Magister Equitum ernannte.
3 Mit der Änderung des Feldherrn änderte sich plötzlich alles. Es schien eine neue Hoffnung, ein neuer Mut bei den Leuten, und für die Stadt ein neues Glück aufzugehen. 4 Gleich zuerst bestrafte er die, welche in jenem Schrecken von Veji geflohen waren, nach Kriegsrecht und bewirkte dadurch, dass der Feind dem Soldaten nicht gerade das Furchtbarste war. Nachdem er darauf die Aushebung auf einen bestimmten Tag angesetzt hatte, eilte er selbst unterdessen, um den Soldaten Mut einzuflößen, nach Veji. 5 Von hier kam er nach Rom zur Werbung des neuen Heeres zurück, und niemand weigerte sich zu dienen. Auch fanden sich die jungen Leute aus dem Ausland ein, Latiner und Herniker, und versprachen zu diesem Krieg ihre Dienste. 6 Dafür dankte ihnen der Diktator im Senat, und als er mit allen Vorbereitungen zum Feldzug fertig war, gelobte er auf Befehl des Senates, nach der Eroberung von Veji große Spiele zu feiern und den Tempel der Mutter Matuta64, der schon vorher vom König Servius Tullius geweiht war, wiederherzustellen und zu weihen.
7 Mehr noch mit Erwartungen als bloßen Hoffnungen der Leute brach er mit seinem Heer aus der Stadt auf, und gleich im Gebiet von Nepete lieferte er den Faliskern und Capenaten eine Schlacht. 8 Hier begleitete seine durchaus mit größter Überlegung und planmäßig getroffenen Vorkehrungen das Glück, wie es zu geschehen pflegt. Er besiegte die Feinde nicht bloß, er nahm ihnen auch ihr Lager und gewann eine ansehnliche Beute, die aber größtenteils dem Schatzmeister abgeliefert wurde; der Soldat bekam nur wenig. 9 Von hier führte er das Heer vor Veji, ließ die Kastelle dichter bauen und gewöhnte die Soldaten durch das Verbot, dass keiner ohne Erlaubnis kämpfen solle, statt der planlosen Gefechte, die zwischen der Stadtmauer und seinem Wall so häufig vorfielen, an die Schanzarbeit. 10 Bei Weitem das wichtigste und mühevollste aller dieser Werke war eine Mine, die man zur Burg der Feinde hinanführte, 11 und um dieses Werk nicht unterbrechen zu lassen, noch auch durch die fortdauernde unterirdische Arbeit dieselben Leute aufzureiben, teilte er die Schanzgräber in sechs Abteilungen; sechs Stunden wurden abwechselnd zur Arbeit angewiesen; und sie ließen nicht nach, bei Tag und Nacht zu arbeiten, bis sie sich den Weg in die Burg gebahnt hatten.
(20) Als der Diktator den Sieg bereits in seinen Händen sah, und dass die reichste Stadt fallen und so viel Beute geben werde, wie man in allen früheren Kriegen zusammengenommen nicht gehabt hätte, da schrieb er, 2 um sich weder durch zu kärgliche Verteilung der Beute die Unzufriedenheit der Soldaten, noch durch eine zu reiche Spende einen Vorwurf von den Vätern zuzuziehen, an den Senat: 3 Durch die Gnade der unsterblichen Götter, durch seine Maßregeln und die Ausdauer der Soldaten werde Veji nächstens in der Gewalt des römischen Volkes sein, was sie nun über die Beute beschlössen? 4 Den Senat hielten zwei Meinungen geteilt; die