Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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aller Art zu jedermanns Gebrauch öffentlich ausgelegt hatte, Bekannte und unbekannte Fremde ohne Unterschied als Gäste auf; man ließ sich mit seinen Feinden gütig und freundlich in ein Gespräch ein, vermied jeden Zank und Rechtsstreit, 8 nahm auch den Gefangenen für diese Tage die Fesseln ab und machte sich nachher ein Gewissen daraus, diejenigen wieder zu fesseln, welche die Götter selbst beschützt hätten.

      9 Inzwischen stieg vor Veji die Gefahr dadurch, dass sich drei Kriege in einen zusammenzogen. Denn da die Capenaten und Falisker unerwartet zum Entsatz heranrückten, begann wieder ebenso wie das vorige Mal, auf beiden Seiten der Belagerungswerke ein hartnäckiger Kampf gegen drei Feinde. 10 Die Erinnerung an die Verurteilung des Sergius und Verginius tat hier besonders das Ihrige. Ihr zufolge fiel sogleich aus dem größeren Lager, wo man das vorige Mal so saumselig war, eine Schar, die einen kurzen Umweg nahm, den Capenaten bei ihrem Sturm auf den römischen Wall in den Rücken. 11 Dieser Anfang der Schlacht setzte die Falisker in Schrecken, und in dieser Bestürzung jagte sie ein zu rechter Zeit angebrachter Ausfall aus dem Lager selbst in die Flucht. Die Sieger, die den Geschlagenen nachsetzten, hieben eine Menge von ihnen nieder, 12 und gleich nachher trafen sie bei ihren Verheerungen im Capenatischen zufällig auf den der Schlacht entronnenen Rest und vertilgten ihn. 13 Auch die Vejenter verloren bei ihrem flüchtigen Rückzug in die Stadt viele Leute an den Toren, weil sie aus Furcht, die Römer möchten zugleich mit eindringen, die Torflügel zuwarfen und die letzten der Ihrigen ausschlossen.

      (14) Dies geschah in diesem Jahr. Schon nahte der Tag der Kriegstribunenwahl heran, die den Vätern beinahe mehr Sorge als der Krieg machte, denn sie sahen ja, dass sie die höchste Gewalt nicht bloß mit dem Bürgerstand geteilt, sondern fast verloren hatten. 2 Obgleich sie also die angesehensten Männer, welche man zu übergehen sich schämen müsste, durch Verabredung aufgeboten hatten, sich um das Amt zu bewerben, nahmen sie gleichwohl, um auch für ihre Person nichts unversucht zu lassen, als bewürben sie sich sämtlich, nicht nur Menschen, 3 sondern auch Götter zu Hilfe, indem sie die seit zwei Jahren gehaltenen Wahlversammlungen zu einem Gegenstand religiöser Zweifel machten. Im ersten Jahr sei ein unerträglicher Winter eingetreten, den man nur mit der Andeutung göttlicher Strafgerichte vergleichen könne. Im letzten sei nicht als bloße Andeutung, sondern schon als Erfolg, eine Seuche über Stadt und Land ausgebrochen, ohne Zweifel durch den Zorn der Götter, 4 da man selbst in den Schicksalsbüchern gefunden habe, dass man sie, wenn sie die Pest abwenden sollten, versöhnen müsse. Die Götter hätten mit Missfallen bemerkt, dass auf den Wahlen, über die man doch die Vögel befrage, die Ämter an jedermann gegeben und die Unterschiede der Geschlechter außer Acht gelassen würden. 5 Das Volk, außer dem Eindruck, den die Würde der Bewerber machte, von frommer Angst erschüttert, wählte zu Kriegstribunen mit Konsulgewalt lauter Patrizier, größtenteils solche, die schon öfter die höchsten Stellen bekleidet hatten, den Lucius Valerius Potitus zum fünften Mal, den Marcus Valerius Maximus, den Marcus Furius Camillus zum dritten, Lucius Furius Medullinus zum dritten, Quintus Servilius Fidenas zum zweiten und Quintus Sulpicius Camerinus zum zweiten Mal. 6 Unter diesen Tribunen fiel bei Veji nichts Besonderes vor. Der ganze Krieg bestand in Verheerungen. 7 Die beiden obersten Feldherren, Potitus und Camillus, trieben große Beute zusammen, jener im Gebiet von Falerii, dieser von Capena, und ließen nichts verschont, was nur durch Feuer und Schwert vernichtet werden konnte.

      (15) Unterdessen wurden viele Schreckzeichen gemeldet, von denen man die meisten nicht recht glaubte oder achtete, teils weil sie von Einzelnen berichtet wurden, teils weil man bei dem Krieg mit den Etruskern keine Opferschauer hatte, durch die man sie hätte können abwenden lassen. 2 Eines aber erregte allgemeine Besorgnis, dass nämlich der See im Albanerwald ohne alle Regengüsse oder sonst einen Grund, welcher der Sache das wunderbare genommen hätte, zu einer ungewöhnlichen Höhe stieg. 3 Was die Götter durch dieses Zeichen ankündigen wollten, dies zu erfragen, schickte man Gesandte an das Delphische Orakel; 4 allein durch die Fügung des Schicksals musste sich ein näherer Ausleger finden, ein betagter Vejenter, der gegen die auf den Posten und Wachen sich neckenden römischen und etruskischen Soldaten im Ton eines Propheten verkündigte: Ehe nicht aus dem Albanischen See das Wasser abgelassen ist, werden die Römer Veji nie erobern.

      5 Anfangs beachtete man dies, weil nur so hingeworfen, gar nicht; dann wurde darüber hin und her gesprochen, bis endlich einer vom römischen Vorposten sich erkundigte – denn die Langwierigkeit des Krieges gestattete gegenseitige Unterredungen –, wer denn der sei, der sich so rätselhaft über den Albanersee äußere, 6 und auf die Nachricht, er sei ein Opferschauer, da er selbst gegen göttliche Dinge nicht gleichgültig war, den Propheten unter dem Vorwand, er werde ihn, falls er sich darauf einlassen wollte, über ein ihm selbst gewordenes Wunderzeichen zu Rate ziehen, zu einer Zusammenkunft herauslockte.

      7 Als sich nun beide wehrlos und ohne alles Misstrauen etwas weiter von den Ihrigen entfernt hatten, ergriff der kraftvolle junge Römer den schwachen Greis vor aller Augen rasch und trug ihn unter vergeblichem Lärm der Etrusker zu den Seinigen hinüber. Vor den Feldherrn geführt und dann nach Rom an den Senat geschickt, 8 gab dieser auf die Frage, wie das zu verstehen sei, was er vom Albanersee geweissagt habe, zur Antwort: 9 Ganz gewiss müssten die Götter an jenem Tag auf das vejentische Volk ungnädig gewesen sein, an dem sie ihm den Gedanken eingegeben hätten, die beschlossene Zerstörung seiner Vaterstadt kundzutun. 10 Was er also damals, von göttlicher Begeisterung erfüllt, geweissagt habe, das könne er teils durch keinen Widerruf ungesagt machen, teils würde er vielleicht durch Verschweigung dessen, was die unsterblichen Götter kundgetan wissen wollten, eine nicht geringere Sünde auf sich laden, als wenn er das zu Verschweigende aussagte. 11 So also laute die Überlieferung in den Schicksalsbüchern und in der etruskischen Lehre: Wenn einmal das Albanische Wasser steige und der Römer es gehörig ableite, dann sei ihm der Sieg über die Vejenter beschieden; bevor dies nicht geschehe, würden die Götter die Mauern der Vejenter nicht verlassen. 12 Und nun setzte er auseinander, wie die Ableitung gehörig anzustellen sei. Da aber die Väter sein Wort für zu unwichtig und in einer so bedeutenden Angelegenheit für zu unsicher hielten, beschlossen sie, die Gesandten und den Ausspruch des Pythischen Orakels abzuwarten.

      (16) Ehe aber die Gesandten von Delphi zurückkamen und man die Sühnung des albanischen Wunders gefunden hatte, kamen neue Kriegstribunen mit Konsulgewalt ins Amt: Lucius Julius Julus (2), Lucius Furius Medullinus zum vierten Mal, Lucius Sergius Fidenas, Aulus Postumius Regillensis, Publius Cornelius Maluginensis [zum zweiten Mal], Aulus Manlius [zum dritten Mal].

      2 In diesem Jahr traten die Tarquinier als neue Feinde auf. Da sie sahen, dass die Römer mit so vielen gleichzeitigen Kriegen beschäftigt waren, gegen die Volsker bei Anxur, wo diese die Besatzung eingeschlossen hielten, gegen die Aequer bei Lavici – hier bestürmten diese die römische Kolonie – und außer mit dem vejentischen Krieg mit dem gegen die Falisker und Capenaten, und dass in der Stadt selbst durch die Streitigkeiten der Väter und Bürger die Geschäfte nicht weniger gestört würden, 3 ließen sie einige leichte Kohorten zum Plündern in das römische Gebiet einrücken, in der Annahme, dass jetzt der beste Zeitpunkt zum Angriff sei. Denn entweder würden die Römer dieses Unrecht ungeahndet lassen, um sich nicht mit einem neuen Krieg zu belasten, oder sie würden mit einem kleinen, mithin zu schwachen Heer den Feind verfolgen.

      4 Die Römer erfüllte die Plünderung der Tarquinier mehr mit Unwillen als mit Besorgnis. Darum trafen sie weder bedeutende Gegenanstalten, noch verschoben sie die Sache länger. 5 Aulus Postumius und Lucius Julius boten eine Mannschaft ohne förmliche Aushebung auf – denn diese verhinderten die Volkstribunen –, sondern beinahe aus lauter Freiwilligen, denen sie durch ihre Ermunterungen Lust gemacht hatten, zogen auf Querwegen durch das Gebiet von Caere, überfielen die von ihren Plünderungen zurückkehrenden und mit Beute schwer beladenen Tarquinier, 6 hieben eine große Menge nieder, nahmen allen die Beute ab und kehrten mit dem wiedergewonnenen Raub ihres eigenen Landes nach Rom zurück. 7 Zwei Tage wurden den Eigentümern bewilligt, das Ihrige herauszufinden; was niemand anerkannte – dies war aber meistens feindliches Eigentum –, wurde am dritten Tag öffentlich versteigert und der Ertrag unter die Soldaten verteilt.

      8 Der Ausgang der übrigen Kriege, namentlich des vejentischen, blieb noch ungewiss. Ohne noch von menschlicher Macht etwas weiter zu erwarten, richteten die Römer ihren Blick auf das Schicksal und die Götter, als die Gesandten von Delphi mit dem Ausspruch des Orakels zurückkamen, der mit der Antwort des gefangenen Propheten


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