Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Tag; und an die ununterbrochene Furcht reihte sich unmittelbar das Unglück an, als sie die feindlichen Fahnen in die Tore rücken sahen.
Dennoch hatten sie in dieser Nacht und an dem ihr folgenden Tag durchaus nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit denen, die an der Allia so bestürzt geflohen waren. 9 Denn da keine Hoffnung war, mit den wenigen noch übrigen Kriegern die Stadt verteidigen zu können, beschloss man, die wehrhafte Mannschaft mit Frau und Kind und die Rüstigsten des Senates sollten sich auf die Burg und das Kapitol begeben, 10 sich mit Waffen und Lebensmitteln versehen und von diesem befestigten Punkt herab die Götter, Bürger und den Namen Roms verteidigen, 11 der Eigenpriester hingegen und die vestalischen Priesterinnen sollten die Heiligtümer des Staates vom Mord und Brand entfernen und deren Verehrung nicht eher aufhören, als bis keiner mehr da sei, der sie verehren könne. 12 Wenn aus der bevorstehenden Zertrümmerung der Stadt nur die Burg und das Kapitol, diese Wohnsitze der Götter, der Senat als Haupt der Staatsregierung und die dienstfähige Jugend gerettet würden, so sei der Verlust der Greise, dieses in der Stadt zurückgelassenen, ohnehin dem Tod preisgegebenen Haufens, leichter zu verschmerzen. 13 Und damit sich die Menge vom Bürgerstand um so gelassener darein ergeben möchte, erklärten die Greise, welche Triumphe gehalten und Konsulate verwaltet hatten, öffentlich, sie wollten mit ihnen sterben und mit ihren Leibern, mit denen sie keine Waffen tragen, kein Vaterland verteidigen könnten, die Not der Waffenfähigen nicht drückender machen.
(40) Dies waren die Trostgründe, welche sich die zum Tod bestimmten Greise einander selbst vorsagten. Dann richteten sie ihre Ermahnungen an den Zug der Jünglinge, den sie zum Kapitol und zur Burg begleiteten, und empfahlen ihrer Tapferkeit und Jugendkraft das ganze Schicksal der Stadt, was sie – seit 360 Jahren in allen Kriegen Siegerin! – noch zu erwarten haben möchte. 2 Und als nun die, welche alle Hoffnung und Hilfe mit sich nahmen, von denen schieden, die den Untergang der eroberten Stadt nicht zu überleben beschlossen hatten, so war dies Elend an und für sich sowie sein Anblick jammervoll genug; 3 allein das Weinen der Frauen, ihr ängstliches Hin- und Herlaufen, indem sie sich bald an diese, bald an jene anschlossen und unaufhörlich ihre Männer und ihre Söhne fragten, welchem Schicksal sie überlassen seien, erfüllte jedes Maß menschlicher Leiden. 4 Doch zog ein großer Teil von ihnen mit den Ihrigen in die Burg, ohne zurückgewiesen, ohne gerufen zu sein, denn was den Belagerten zur Verminderung der wehrlosen Menge heilsam gewesen wäre, vertrug sich nicht mit der Menschlichkeit. 5 Ein anderer Schwarm, hauptsächlich vom niederen Stand, den ein so kleiner Hügel weder fassen noch bei dem großen Mangel an Lebensmitteln nähren konnte, ging, wie in einem Zug hinausströmend, nach dem Janiculum. 6 Von da verliefen sie sich teils auf das Land, teils zogen sie in die benachbarten Städte ohne Führer, ohne Verabredung, jeder seiner eigenen Hoffnung, seinem eigenen Entschluss nach, und an gemeinsamen Maßregeln verzweifelnd.
7 Doch der Priester des Quirinus und die vestalischen Jungfrauen, die, ohne für ihr Eigentum zu sorgen, nur darüber berieten, welche Heiligtümer sie mitnehmen, welche sie – denn unmöglich konnten sie alle tragen – zurücklassen sollten, und welcher Ort diese in getreuer Hut bewahren würde, 8 hielten es für das Beste, sie, in kleine Gefäße gepackt, in der dem Haus des Quirinalischen Priesters zunächst gelegenen Kapelle, wo man jetzt nicht ausspeien darf, zu vergraben; in die übrigen teilten sie sich und trugen sie auf dem Weg, der über die Balkenbrücke zum Janiculum führt. 9 An dieser Höhe bemerkte sie Lucius Albinius, ein Römer vom Bürgerstand, der unter dem wehrlosen, die Stadt räumenden Haufen Frau und Kinder auf einem Wagen fuhr, und weil er es für sündlich hielt, die Priester des Staates zu Fuß gehen und die Heiligtümer des römischen Volkes tragen zu lassen, sich selbst aber mit den Seinigen auf einem Wagen zu zeigen – 10 so sehr behielt der Unterschied zwischen göttlichen und menschlichen Dingen selbst unter solchen Umständen seine Kraft! –, so ließ er seine Frau und Kinder absteigen, nahm die Jungfrauen mit den Heiligtümern auf den Wagen und fuhr sie, wohin der Weg der Priester ging, nach Caere.
(41) Unterdessen erwarteten zu Rom, wo man schon, so gut es in dieser Lage sich tun ließ, zur Behauptung der Burg die gehörigen Vorkehrungen getroffen hatte, alle Greise, zum Tod fest entschlossen, die Ankunft der Feinde. 2 Diejenigen, welche höhere Stellen bekleidet hatten, saßen, um in den Ehrenzeichen ihres ehemaligen Glückes, ihrer Ämter und Tapferkeit zu sterben, so feierlich gekleidet, als ob sie einen Aufzug der Götterwagen oder des Triumphes hielten, mitten im Vorhofe ihrer Häuser auf ihren elfenbeinernen Thronsesseln. 3 Einige berichten, sie hätten sich für das Vaterland und Roms Quiriten die Todesweihe geben lassen, wobei ihnen der Hohepriester Marcus Fabius die Formel vorgebetet habe.
4 Die Gallier, bei denen der Eintritt der Nacht die Kampfwut gemäßigt hatte, die auch weder in der Schlacht irgendeine Gefahr zu bestehen gehabt hatten, noch jetzt die Stadt durch Einbruch oder Sturm eroberten, zogen am folgenden Tag ohne alle Erbitterung und Wut in das offene Collinische Tor und rückten bis auf den Markt vor, wo sie ihre Blicke rund umher auf die Tempel der Götter und auf die Burg warfen, die allein ein kriegerisches Aussehen hatte. 5 Von hier verteilten sie sich mit Hinterlassung einer mäßigen Schar, um nicht in ihrer Zerstreuung von der Burg aus oder vom Kapitol überfallen zu werden, durch die menschenleeren Straßen zum Plündern, stürzten teils scharenweise in jedes nächste Haus, teils rannten sie zu den entfernteren, als ob nur diese noch unberührt und mit Beute angefüllt wären. Von hier kehrten sie wieder, selbst durch die Einöde zurückgeschreckt, 6 um nicht bei ihren Streifereien auf einen feindlichen Hinterhalt zu stoßen, in gedrängten Haufen auf den Markt und in dessen Nähe zurück; 7 und hier, wo sie die Bürgerhäuser verriegelt, die Vorhöfe der Großen aber offen sahen, fanden sie es fast bedenklicher, sich in die offenen als in die verschlossenen Häuser zu wagen, 8 ja nicht ohne Ehrfurcht betrachteten sie die in den Vorhäusern sitzenden Männer, denen bei ihrem Schmuck und Anstand, welcher sie über Menschen erhob, selbst die Hoheit, die aus ihren Zügen und dem Ernst des Antlitzes sprach, ein Aussehen von Göttern gab. 9 Indem sie so, zu ihnen wie zu Standbildern emporblickend, dastanden, brachte einer derselben, wie man sagt, Marcus Papirius, einen Gallier, der ihn am Bart zupfte – denn damals trugen alle lange Bärte –, dadurch in Zorn, dass er ihn mit seinem elfenbeinernen Stab auf den Kopf schlug; 10 und da das Morden damit seinen Anfang nahm, wurden auch die Übrigen auf ihren Stühlen erschlagen. Nach der Ermordung der Vornehmen wurde kein Mensch weiter geschont; die Häuser wurden geplündert und, wenn sie leer waren, angezündet.
(42) Weil indes entweder nicht alle Gallier an der Zerstörung der Stadt Gefallen fanden, oder ihre Häupter den Plan hatten, nur einige Feuer als Schreckmittel zu zeigen, um die Belagerten vielleicht durch die Liebe zu ihren Wohnplätzen zur Übergabe zu bewegen, 2 aber auch nicht alle Häuser niederzubrennen, um immer noch in dem Rest der Stadt ein Pfand zu behalten, das auf die Herzen der Feinde mit Rührung wirken könnte, so brannte es am ersten Tag – gegen das Schicksal eroberter Städte – weder allenthalben, noch ließen sie das Feuer sich weiter verbreiten.
3 Die Römer, welche von der Burg aus die Stadt voller Feinde sahen, die auf allen Straßen zerstreut umherliefen, konnten nicht allein, weil sich bald in dieser, bald in jener Gegend ein neues Unglück erhob, zu keiner Besinnung kommen, sondern sie trauten sogar ihren eigenen Augen und Ohren nicht mehr. 4 Wohin das Geschrei der Feinde, das Weinen der Frauen und Kinder, das Brausen der Flammen und das Krachen der einstürzenden Häuser sie rief, dahin richteten sie, nach jedem hinstarrend, Aufmerksamkeit, Antlitz und Auge, als hätte sie das Schicksal hierher gestellt, bei dem Untergang ihrer Vaterstadt Zuschauer zu sein und von allem ihrem Eigentum weiter nichts verteidigen zu können als ihre Personen, 5 um so beklagenswerter als alle, die je belagert wurden, weil sie als Belagerte, selbst ausgesperrt von ihrer Vaterstadt, alles Ihrige in der Gewalt der Feinde sahen. 6 Der so grauenvoll hingebrachte Tag wich einer nicht ruhigeren Nacht, auf die Nacht folgte ein unruhiger Tag, und es war kein Augenblick mehr, der von dem Anblick eines immer neuen Unglückes frei gewesen wäre.
7 Unter der Last und dem Druck so vieler Leiden begraben, verloren sie ihren Mut nicht – sollten sie auch alles durch Flammen und Trümmer dem Boden gleichgemacht sehen –, trotzdem den Hügel, den sie behaupteten, so ärmlich und klein er war, als den einzigen Zufluchtsort der Freiheit tapfer zu verteidigen. 8 Auch hatten sie sich, da es täglich dieselben Auftritte gab – der Übel gleichsam schon gewohnt –, aller Empfindung ihrer Not entfremdet und blickten nur auf ihre Waffen und auf das Schwert in ihrer Rechten, als die einzigen Überbleibsel ihrer Hoffnung.
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