Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.und Trümmern der eroberten Stadt nichts weiter vor sich sahen als bewaffnete Feinde, die sie vergeblich durch so vielerlei Unglück geschreckt hatten, und die sich auch, ohne Gewalt zu gebrauchen, zur Übergabe nicht verstehen würden, beschlossen jetzt, das Äußerste zu wagen und einen Angriff auf die Burg zu unternehmen. 2 Bei Tagesanbruch stellte sich auf ein gegebenes Zeichen die ganze Masse auf dem Markt in Schlachtordnung auf, und nach erhobenem Geschrei rückten sie in geschlossenem Schilddach heran.
Die Römer, völlig besonnen und kaltblütig, verstärkten an allen Zugängen die Posten, stellten da, wo sie den Feind anrücken sahen, den Kern ihrer Männer ihm entgegen und ließen ihn heransteigen, weil sie ihn, je höher er sich den schroffen Felsen hinaufwagen würde, desto leichter am Abhänge hinabzustoßen hofften. 3 Etwa in der Mitte des Hügels leisteten sie Widerstand, und als sie jetzt von ihrer Höhe, die sie beinahe von selbst auf den Feind fallen ließ, den Angriff machten, häuften sich unter ihrem Schwert und durch den Herabsturz vom Berg bei den Galliern Leichen auf Leichen, so dass sie nie wieder, weder truppweise noch vereint, diese Art des Kampfes versuchten.
4 Da sie also die Hoffnung, durch Gewalt und Waffen heranzukommen, aufgaben, schickten sie sich zur Belagerung an; teils aber hatten sie selbst, ohne bis dahin daran zu denken, das Getreide bei den Einäscherungen der Häuser verbrannt, teils hatte man gerade in diesen Tagen alle Vorräte vom Land nach Veji geschafft. 5 Sie beschlossen also, mit geteiltem Heer dort bei den benachbarten Völkern zu rauben, hier die Burg eingeschlossen zu halten, um durch den auf dem Land plündernden Haufen den Belagerern Getreide zuzuführen.
6 Die von der Stadt aufbrechenden Gallier führte das Schicksal selbst, um ihnen von der römischen Tapferkeit eine Probe zu geben, nach Ardea, wo Camillus als Verbannter lebte. 7 Als er hier, betrübter über die Lage des Staates als über seine eigene, unter Klagen über Götter und Menschen sich abhärmte und es ebenso ärgerlich als unbegreiflich fand, dass jene Männer verschwunden sein sollten, die mit ihm Veji und Falerii erobert hätten, für die in anderen Kriegen die Tapferkeit immer mehr getan habe als das Glück, 8 da hörte er plötzlich, dass ein Heer von Galliern anrücke, und dass die Ardeaten voll Bestürzung hierüber berieten, und wie von göttlichem Geist angehaucht, eilte er mitten in die Versammlung, während er bisher dergleichen Zusammenkünfte gemieden hatte, und sprach:
(44) Ardeaten, meine alten Freunde, und jetzt auch, weil es eure Güte erlaubte und mein Schicksal so fügte, meine Mitbürger, glaube niemand unter euch, dass ich meiner Lage vergessend hier aufgetreten sei; allein die Umstände und die gemeinschaftliche Gefahr zwingen jeden, das ihm in dieser Not mögliche Rettungsmittel mitzuteilen. 2 Und wann könnte ich für eure so großen Verdienste um mich dankbar sein, wenn ich jetzt würde gezögert haben? Oder wo würdet ihr von mir Gebrauch machen können, wenn es nicht im Krieg sein sollte? Durch dieses Mittel behauptete ich meinen Posten im Vaterland und, unbesiegt im Krieg, bin ich im Frieden von undankbaren Mitbürgern vertrieben worden. 3 Euch aber, ihr Ardeaten, bietet sich jetzt das Glück, teils dem römischen Volk seine großen früheren Wohltaten, deren Wert euch nicht entgangen ist – und dem treuen Gedächtnis muss man sie nicht vorhalten –, zu vergelten, teils eurer Stadt die glänzende Ehre des Sieges über den gemeinschaftlichen Feind zu erwerben. 4 Die in schwärmenden Zügen Heranrückenden sind ein Volk, dem die Natur mehr große als feste Körper und Mut verlieh; darum treten sie zum Kampf mehr furchtbar als kraftvoll auf. 5 Den Beweis mag uns Roms Unglück geben. Die offene Stadt konnten sie erobern; von der Burg und dem Kapitol widersteht man ihnen mit einer Handvoll Leute. Dem Überdruss der Belagerung erliegend ziehen sie ab und streifen schwärmend auf dem Land umher. 6 Mit Speise und Wein, die sie im Raub verschlingen, angefüllt, werfen sie sich, wenn die Nacht hereinbricht, ohne Verschanzung, ohne Posten und Wachen, wie das Vieh ohne alle Ordnung an den Wasserbächen nieder, und jetzt im Glück noch weniger auf ihrer Hut als gewöhnlich. 7 Ist es euer Wille, eure Mauern zu schützen und nicht alles hier gallisch werden zu lassen, so greift zahlreich um die erste Nachtwache zu den Waffen, folgt mir zum Morden, nicht zum Kampf. Liefere ich sie euch nicht, vom Schlaf gefesselt, wie das Vieh zur Schlachtbank, so lasse ich mir zu Ardea dieselbe Wendung meines Schicksals gefallen, die ich in Rom erfahren habe.
(45) Freunde und Gegner waren überzeugt, dass das gegenwärtige Zeitalter nirgends einen so großen Feldherrn aufzuweisen habe. Nach aufgelöster Versammlung stärkten sie sich mit Speise, in gespannter Erwartung, ob das Zeichen gegeben werde; es erfolgte, und in der Stille der einbrechenden Nacht stellten sie sich an den Toren dem Camillus. 2 Sie rückten aus, und nicht weit von der Stadt überfielen sie das Lager der Gallier, das sie, wie er vorhergesagt hatte, ungeschützt und von allen Seiten vernachlässigt fanden, mit Geschrei. 3 Nirgends gab es Kampf, allenthalben Gemetzel; unbewehrt, vom Schlaf abgespannt, wurden die Gallier niedergehauen. Die am äußersten Ende Liegenden trieb der Schrecken, der sie von ihren Lagerstellen aufjagte, ohne zu wissen, von wem und von welcher Seite der Überfall komme, in die Flucht, und einige blindlings mitten in die Feinde. Ein großer Teil, der auf das Gebiet von Antium geraten war, wurde in seiner Zerstreuung durch einen Angriff aus der Stadt überfallen und niedergemacht.
4 Eine ähnliche Niederlage erlitten im Gebiet von Veji die Tusker, welche mit einer Stadt, die fast vierhundert Jahre ihre Nachbarin und jetzt von einem nie gesehenen, nie gehörten Feind überrumpelt war, so wenig Mitleid hatten, dass sie gerade jetzt in das römische Gebiet einbrachen und mit Beute beladen sich zu einem Angriff auf Veji, die dortige Besatzung und letzte Hoffnung der Römer, anschickten. 5 Die römischen Soldaten hatten gesehen, wie sie auf dem Land umherstreiften und in geschlossenem Zug die Beute vor sich hertrieben, und bemerkten jetzt ihr Lager in der Nähe von Veji. 6 Hier regte sich bei ihnen zuerst das Gefühl ihres Elends, dann der Unmut und durch diesen der Zorn, wenn nun gar Etrusker, von denen sie den Gallischen Krieg ab- und gegen sich selbst gewendet hätten, ihres Unglückes spotten sollten. 7 Kaum konnten sie es vor Erbitterung über sich gewinnen, nicht sogleich auf sie loszugehen; doch von dem Hauptmann Caedicius, den sie selbst zu ihrem Anführer gewählt hatten, zur Ruhe verwiesen, verschoben sie den Angriff auf die Nacht. 8 Bloß der Anführer war hier kein Camillus; übrigens ging alles denselben Gang und hatte denselben glücklichen Erfolg. Ja sie ließen sich von den Gefangenen, den Überbleibseln des nächtlichen Gemetzels, den Weg zu einer anderen Schar von Tuskern zeigen, die an den Salzgruben standen, richteten unter ihnen in der folgenden Nacht durch Überfall ein noch größeres Blutbad an und kehrten, über ihren Doppelsieg frohlockend, nach Veji zurück.
(46) Unterdessen ging die Belagerung Roms meistens sehr schläfrig fort, und von beiden Seiten verhielt man sich ruhig, weil die Gallier nur darauf bedacht waren, dass von den Feinden keiner zwischen ihren Posten durchschlüpfen möchte, als unerwartet ein junger Römer seiner Mitbürger und der Feinde Bewunderung auf sich zog. 2 Das Fabische Geschlecht hatte auf dem Quirinalischen Hügel alljährlich ein Opfer zu verrichten. Um dies zu bringen, stieg Caius Fabius Dorso, nach gabinischem Brauch aufgeschürzt, die Opfergeräte in seinen Händen, vom Kapitol herab, schritt mitten durch die feindlichen Posten, ohne auf Anruf oder Drohung zu achten, langte auf dem Quirinalischen Hügel an, 3 und nachdem er hier alles vorschriftsmäßig ausgerichtet hatte, ging er auf demselben Weg und mit demselben festen Blick und Schritt im Vertrauen auf den vollen Schutz der Götter, deren Verehrung er, selbst von der Furcht des Todes bedroht, nicht unterlassen hatte, auf das Kapitol zu den Seinigen zurück, es sei nun, dass die Gallier durch dieses Wunder der Kühnheit betroffen waren, oder dass die Ehrfurcht vor dem Heiligen auf sie wirkte, für welche dieses Volk keineswegs unempfänglich ist.
4 Zu Veji wuchs indes mit jedem Tag nicht bloß der Mut, sondern auch die Kräfte, weil sich hier nicht bloß Römer aus dem Land zusammenscharten, die nach der verlorenen Schlacht und dem Unglück der Eroberung Roms umhergeirrt waren, sondern auch aus Latium Freiwillige herbeiströmten, um an der Beute teilzunehmen. 5 Die Zeit schien da zu sein, die Vaterstadt wiederzuerobern und sie den Händen der Feinde zu entreißen, aber dem kraftvollen Körper fehlte es noch an einem Haupt. 6 Da erinnerte sie der Ort selbst an Camillus; auch waren hier unter den Soldaten viele, die unter seiner Anführung und Leitung mit Glück gekämpft hatten, und Caedicius erklärte, er werde es nicht abwarten, dass ihn irgendein anderer, Gott oder Mensch, seiner Befehlshaberstelle entsetze, bevor er sich nicht selbst, wie es sich für seinen Stand schicke, einen Feldherrn erbeten habe.
7 Allgemein wurde beschlossen, von Ardea Camillus kommen zu