Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Noch einmal danke ich Dir, Oropastes, und weil der Dank des Königs nicht in Worten allein bestehen darf, so ernenne ich Dich heute schon, für den Fall eines Krieges, zum Statthalter des gesammten Reichs. Ja, meine Freunde, wir werden nicht mehr lange in träger Ruhe unsere Zeit verträumen. Der Perser verliert seine Fröhlichkeit ohne die Lust des Krieges!«
Ein Murmeln des Beifalls zog durch die Reihen der Achämeniden. »Sieg dem Könige!« erklang es von neuem.
Schnell vergessen war der Groll wegen des gedemüthigten Weibes; Schlachtgedanken, Traume von unsterblichem Waffenruhm und Siegeskränzen, Rückerinnerungen an vergangene Großthaten hoben die Feststimmung der Schmausenden.
Der König selbst, an diesem Tage mäßiger als sonst, munterte seine Gäste zum Trinken auf und freute sich der lärmenden Heiterkeit und der überschäumenden Kampflust seiner Helden, mehr aber noch der zauberhaften Schönheit der Aegypterin, die, bleicher als sonst und gänzlich erschöpft von den Anstrengungen des vergangenen Morgens und der ungewohnten Last der hohen Tiara, an seiner Seite saß. So glücklich wie an diesem Tage hatte er sich noch nie gefühlt!
Was fehlte ihm auch, was konnte er noch wünschen, er, dem die Gottheit das Glück der Liebe zu allen Schätzen, welche das Herz zu begehren vermag, in den Schooß geworfen hatte? Sein Starrsinn schien sich in mildes Wohlwollen, seine strenge Härte in freundliche Nachgiebigkeit verwandelt zu haben, als er dem neben ihm sitzenden Bartja zurief. »Nun, Bruder, hast Du mein Versprechen vergessen? Weißt Du nicht mehr, daß Du heute, sicher der Gewährung, von mir erbitten darfst, was Dein Herz begehrt? So ist’s recht, leere den Becher und steigere Deinen Muth! Daß Du aber nichts Geringes forderst! Ich bin heute in der Stimmung, große Geschenke zu machen! Ah, Du willst mir im Geheimen sagen, was Du begehrst? So tritt näher! Ich bin doch neugierig zu erfahren, was der glücklichste Jüngling in meinem ganzen Reiche so sehnlich begehrt, daß er wie ein Mädchen erröthet, sobald man von seinem Wunsche spricht.«
Bartja, dessen Wangen in der That vor Erregung glühten, beugte sich lächelnd dem Ohre seines Bruders entgegen und erzählte ihm, leise flüsternd, in kurzen Worten die Geschichte seiner Liebe.
»Sappho’s Vater hatte geholfen, seine Vaterstadt Phocaea368 gegen die Heere des Cyrus zu vertheidigen.« Diesen Umstand hob der Jüngling klüglich hervor, nannte seine Geliebte der Wahrheit gemäß die Tochter eines hellenischen Streiters aus edlem Geschlechte und verschwieg369, daß derselbe durch kaufmännische Unternehmungen große Schätze erworben habe. Er schilderte seinem Bruder die Anmuth, hohe Bildung und Liebe seiner Braut und wollte sich eben auf das Zeugniß des Krösus berufen, als ihn Kambyses unterbrach und, seine Stirne küssend, ausrief: »Spare Deine Worte, mein Bruder, und folge der Sehnsucht Deines Herzens. Ich kenne die Macht der Liebe und will Dir helfen die Einwilligung unserer Mutter zu erringen.«
Bartja warf sich, von Glück und Dankbarkeit überwältigt, dem königlichen Bruder zu Füßen; dieser aber hob ihn freundlich auf und rief, sich besonders an Nitetis und Kassandane wendend. »Merkt auf, ihr Lieben! Der Stamm des Cyrus soll neue Blüthen treiben, denn unser Bruder Bartja hat sich entschlossen, seinem den Göttern mißliebigen Junggesellenleben370 ein Ende zu machen. In wenigen Tagen zieht der liebende Jüngling in Deine Heimath, Nitetis, und bringt den zweiten Edelstein vom Ufer des Nils nach unserer bergigen Heimath!«
»Was hast Du, Schwester?« rief, ehe Kambyses diese Worte vollendet hatte, die junge Atossa, indem sie die Stirn der Ägypterin, welche ohnmächtig in ihren Armen ruhte, mit Wein benetzte.
»Was war Dir?« fragte die blinde Kassandane, als die Braut des Königs nach wenigen Augenblicken zu neuem Leben erwachte.
»Die Freude, das Glück, Tachot,« stammelte Nitetis.
Kambyses war, wie seine Schwester, der Umsinkenden zu Hülfe gesprungen. Als dieselbe ihr volles Bewußtsein zurückerlangt hatte, bat er sie, sich durch einen Trunk zu stärken, reichte ihr selbst den Becher und fuhr, seinen ersten Bericht ergänzend, fort: »Bartja wird in Deine Heimath ziehen, meine Gattin, und sich die Enkelin einer gewissen Rhodopis, die Tochter eines edlen Kriegshelden, welcher dem männlichen Phocaea entstammt, aus Naukratis am Nil zum Weibe holen.«
»Was war das?« rief die blinde Mutter des Königs.
»Was ist Dir?« fragte die muntere Atossa in besorgtem, beinahe vorwurfsvollem Tone.
»Nitetis!« rief Krösus seinem Schützling mahnend zu.
Aber diese Warnung kam zu spät, denn schon war der Becher, welchen Kambyses seiner Geliebten überreicht hatte, ihren Händen entsunken und klirrend zu Boden gefallen.
Die Blicke aller Anwesenden hingen in ängstlicher Spannung an den Zügen des Königs, welcher, bleich wie der Tod, mit zitternden Lippen und krampfhaft geballter Faust abermals von seinem Sessel aufgesprungen war.
Nitetis schaute, um Nachsicht bittend, zu ihrem Geliebten empor; er aber wandte, den Zauber dieses Blickes fürchtend, sein Haupt und rief mit heiserer Stimme: »Führe die Frauen in ihre Gemächer, Boges! Ich will sie nicht mehr sehen . . . Das Trinkgelage soll beginnen . . . Schlafe wohl, meine Mutter, und hüte Dich, Nattern mit Deinem Herzblute zu säugen. Schlafe gut, Aegypterin, und bitte die Götter, daß sie Dir eine gleichmäßigere Verstellungskunst gewähren mögen. Ihr Freunde, morgen ziehen wir zum Jagen aus! Gib mir zu trinken, Schenk! Fülle den großen Becher; aber koste viel, sehr viel, denn heute fürcht’ ich mich vor Gift, heut zum Erstenmale! Hörst Du, Aegypterin; ich fürchte mich vor Gift, und alle Gifte und Arzeneien371, haha, das weiß ja ein jedes Kind, alle Gifte kommen ans Aegypten!«
Nitetis verließ die Halle, mehr taumelnd als gehend. Boges begleitete sie und befahl den Sänftenträgern, sich zu beeilen.
Bei den hängenden Gärten angelangt, übergab er die Aegypterin den Eunuchen, welche ihr Haus zu bewachen hatten, und verabschiedete sich von ihr, indem er, seine Hände reibend und leise kichernd, keineswegs ehrerbietig wie sonst, aber um so vertraulicher und freundlicher sagte. »Träume von dem schönen Bartja und seiner ägyptischen Liebsten, mein weißes Nilkätzchen! Hast Du nichts an den schönen Knaben, dessen Verliebtheit Dich so sehr erschreckt, zu bestellen? – Besinne Dich gut; der arme Boges will gern den Vermittler spielen, der verachtete Boges will Dir wohl, der demüthige Boges wird sich grämen, wenn er die stolze Palme von Sais fallen sieht, der Seher Boges verkündet Dir eine baldige Heimkehr nach Aegypten oder eine sanfte Ruhe in der schwarzen Erde von Babylon, der gute Boges wünscht Dir ruhigen Schlaf! Gehabe Dich wohl, mein geknicktes Blümchen, meine bunte Natter, die sich selbst verwundete, mein vom Baume gefallener Pinienapfel!«
»Unverschämter!« rief die entrüstete Königstochter.
»Ich danke Dir,« antwortete der lächelnde Unhold.
»Ich werde mich über Dein Betragen beschweren,« drohte Nitetis.
»Wie liebenswürdig Du bist!« erwiederte Boges.
»Fort aus meinen Augen!« rief die Aegypterin.
»Ich gehorche Deinen holden Winken,« flüsterte der Eunuch, als wenn er ihr ein Liebesgeheimnis in’s Ohr zu raunen habe.
Sie wich, angewidert und entsetzt über diesen Hohn, dessen Furchtbarkeit sie durchschaute, zurück und wandte Boges, indem sie dem Hause zueilte, den Rücken; er aber rief ihr nach: »Denke meiner, schöne Königin, denke mein! Alles, was Dir in den nächsten Tagen begegnen wird, ist eine Liebesgabe des armen verachteten Boges!«
Sobald die Aegypterin verschwunden war, änderte er seinen Ton und befahl den Wächtern in strenger, befehlshaberischer Weise, die hängenden Gärten sorgsam zu bewachen. »Wer von euch einem andern Menschen, wie mir, diesen Ort zu betreten gestattet, ist des Todes schuldig! Niemand, hört ihr, Niemand; am wenigsten aber Boten von der Mutter des Königs, von Atossa oder anderen Großen dürfen den Fuß auf diese Treppe setzen. Wenn Krösus