Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Siebentes Kapitel
Die Jagd war vorüber. Ganze Wagen voll erlegten Wildprets, unter welchem sich mehrere riesengroße Eber befanden, die Kambyses mit eigener Hand erlegt hatte, wurden den heimkehrenden Waidmännern nachgefahren. Vor den Pforten des Palastes zerstreuten sie sich, um in ihren Wohnungen das altpersische Jagdgewand von schlichtem Leder mit glänzenden modischen Hofkleidern zu vertauschen.
Während des Jagens hatte der König seinem Bruder mit mühsam zurückgehaltener Erregung den scheinbar freundlichen Befehl gegeben, am nächsten Tage aufzubrechen, um Sappho abzuholen und nach Persien zu geleiten. Er hatte ihm zu gleicher Zeit die Einkünfte der Städte Baktra, Rhagae und Sinope zur Erhaltung des neuen Hausstandes angewiesen und der jungen Frau, als sogenanntes Gürtelgeld, die Steuern ihrer väterlichen Heimath Phocaea geschenkt.
Bartja dankte dem freigebigen Bruder mit ungeheuchelter Wärme; Kambyses aber blieb eisig kalt, rief ihm einige kurze Abschiedsworte zu und wandte ihm, einen wilden Esel verfolgend, den Rücken.
Auf dem Heimzuge von der Jagd lud der junge Held seine Seelenfreunde375 Krösus, Darius, Zopyrus und Gyges zu einem Abschiedstrunke ein.
Krösus wollte sich später zu den Zechenden gesellen, denn er hatte versprochen, beim Aufgange des Tistarsterns mit den vornehmen Blumenfreunden dem Erblühen der blauen Lilie auf den hängenden Gärten beizuwohnen.
Als er Nitetis dort am frühen Morgen aufsuchen wollte, war er von den Wächtern entschieden abgewiesen worden; jetzt schien ihm die blaue Lilie eine neue Möglichkeit zu bieten, seinen geliebten Schützling, dessen gestriges Benehmen er sich kaum erklären konnte und dessen strenge Bewachung ihm große Besorgniß einflößte, zu sehen und zu sprechen.
Die jungen Achämeniden saßen, als es dämmerte, in einer schattigen Laube des königlichen Gartens, an deren Seite helle Springbrunnen plätscherten, in fröhlichen Gesprächen bei einander. – Araspes, ein vornehmer Perser und Freund des verstorbenen Cyrus, hatte sich zu den Plaudernden gesellt, und that sich gütlich an dem trefflichen Weine des Königssohnes.
»Glücklicher Bartja,« rief der alte Junggeselle, »Du ziehst fort in ein goldenes Land, um Dir das Weib Deiner Liebe heimzuholen, während ich armer Hagestolz, getadelt von aller Welt376, meinem Grabe entgegengehe, ohne Weiber und Kinder zu hinterlassen, welche mich beweinen und zu den Göttern für ein mildes Gericht über meine Seele bitten möchten.«
»Wer wird solche Gedanken hegen!« rief Zopyrus, den Becher schwingend. »Glaube mir, jeder Mann, der eine Frau heimführt, kommt durch sie wenigstens einmal täglich in die Lage zu bereuen, daß er nicht unverheirathet geblieben ist! Sei fröhlich, Väterchen, und denke, daß Du Dich über Deine eigene Schuld oder vielmehr über Deine Weisheit beklagst. Man wählt die Frauen doch nur wie die Nüsse nach dem Aussehen der Schale. Wer mag wissen, ob ein guter oder verdorbener oder gar kein Kern darin steckt. Ich spreche aus Erfahrung, denn wenn ich auch erst zweiundzwanzig Jahre zähle, so habe ich doch fünf stattliche Weiber und eine ganze Schaar von holden und unholden Sklavinnen in meinem Hause.«
Araspes lächelte bitter.
»Wer hindert Dich denn, heute noch zu heirathen?« rief Gyges. »Du bist zwar sechzig Jahre alt; aber Du nimmst es mit manchem Jüngeren auf, was Stattlichkeit, Kraft und Ausdauer anbetrifft. Du gehörst zu den edelsten Verwandten des Königs; ich sage Dir, Araspes, Du bekommst noch zwanzig schöne, junge Frauen!«
»Fege vor Deiner eigenen Thür,« gab der Hagestolz dem Sohne des Krösus zurück. »Wäre ich wie Du, so würd’ ich wahrhaftig nicht bis in meine dreißiger Jahre unbeweibt geblieben sein!«
»Ein Orakelspruch verbot mir zu heirathen.«
»Thorheiten! Wie kann sich ein verständiger Mann um Orakel kümmern. Nur in Träumen verkünden uns die Götter die Zukunft! Ich dächte doch, daß Du an Deinem leiblichen Vater gesehen haben müßtest, wie schändlich jene griechischen Priester ihre besten Freunde betrügen.«
»Das verstehst Du nicht, Araspes.«
»Und verlange es nicht zu verstehen, Knabe, der Du gerade deßwegen an die Orakel glaubst, weil Du sie nicht verstehst, und weil ihr in eurer Beschränktheit Alles, was ihr nicht begreift, Wunder nennt. Was euch aber wunderbar erscheint, dem vertraut ihr sicherer als der einfachen, auf der Hand liegenden Wahrheit. Das Orakel hat Deinen Vater betrogen und in’s Verderben gestürzt; aber das Orakel ist ein Wunder, und darum läßt auch Du Dich von ihm vertrauensvoll Deines Glückes berauben!«
»Du lästerst, Araspes. Ist es die Schuld der Götter, wenn wir ihre Sprüche falsch verstehen?«
»Ohne Zweifel, denn wenn sie uns nützen wollten, so würden sie uns mit ihren Worten die nöthige Einsicht schenken, sie zu begreifen. Was helfen mir schöne Reden, wenn sie mir in einer mir unverständlichen Sprache vorgetragen werden?«
»Laßt das unnütze Streiten!« rief Darius. »Erkläre uns lieber, Araspes, warum Du Dich so lange von den Priestern tadeln, bei den Festen zurücksetzen und von den Weibern schmähen ließest, um, obgleich Du jeden Bräutigam beglückwünschest, ein alter Junggeselle zu bleiben?«
Araspes blickte sinnend zu Boden, dann schüttelte er sich, that einen langen Zug aus dem Becher und sagte: »Ich habe meinen Grund, ihr Freunde; aber jetzt kann ich ihn euch nicht mittheilen.«
»Erzähle! erzähle!«
»Ich kann nicht, Kinder, ich kann nicht! Diesen Becher leere ich auf das Wohl Deiner holden Sappho, mein glücklicher Bartja, und diesen hier weihe ich Deinem Einstigen Glücke, mein Liebling Darius!«
»Ich danke!« rief Bartja, indem er freudig seinen Becher an die Lippen setzte.
»Du meinst es gut,« murmelte Darius, finster zu Boden schauend.
»Ei, ei, Du Sohn des Hystaspes,« rief der Alte, den ernsten Jüngling betrachtend; »so finstere Züge stehen dem Bräutigam, der auf das Wohl seiner Liebsten trinken soll, gar übel! Ist das Töchterchen des Gobryas nicht nach Atossa die vornehmste aller jungen Perserinnen! Ist sie nicht schön?«
»Artystone besitzt alle Vorzüge einer Achämenidin,« antwortete Darius, ohne die Falten seiner Stirn zu glätten.
»Nun, was verlangst Du denn noch mehr, Du Ungenügsamer?«
Darius erhob den Becher und schaute in den Wein.
»Der Knabe ist verliebt, so wahr ich Araspes heiße,« rief der Alte.
»Was ihr für närrische Leute seid,« unterbrach Zopyrus diese Ausrufungen. »Der Eine ist gegen alle persische Sitte Junggeselle geblieben, der Andere heirathet nicht, weil ein Orakel ihn beängstigt, Bartja will sich mit einem Weibe begnügen, und Darius sieht aus wie ein Destur, der die Sterbelieder singt, weil sein Vater ihm befiehlt, mit dem schönsten und vornehmsten Mädchen in ganz Persien glücklich zu werden!«
»Zopyrus hat Recht,« rief der Alte. »Darius ist undankbar gegen das Glück!«
Bartja verwandte keinen Blick von dem also getadelten Freunde. Er sah ihm an, daß die Scherze der Gefährten ihm mißfielen und drückte ihm, sein eigenes Glück doppelt fühlend, die Hand, indem er sagte: »Es thut mir leid, daß ich bei Deiner Hochzeit abwesend sein werde. Wenn ich wiederkomme, so hoff’ ich Dich mit der Wahl Deines Vaters ausgesöhnt zu finden.«
»Vielleicht,« antwortete Darius, »kann ich Dir bei Deiner Rückkehr noch eine zweite und dritte Frau zeigen.«
»Das mag Anahita377 geben!« rief Zopyrus. »Die Achämeniden würden bald aussterben, wenn alle handeln wollten wie Araspes und Gyges. Dein einziges Weib, Bartja, ist auch nicht der Rede