Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Kurze Zeit darauf näherte sich Krösus der Laube. Die Jünglinge sprangen von ihren Sitzen, um den Greis zu bewillkommnen, welcher, wie vom Blitze getroffen, stehen blieb, als er Bartja’s vom hellen Mondlicht beschienenes Antlitz erkannte.
»Was ist Dir begegnet, Vater?« fragte Gyges, indem er die Hand des Krösus voller Besorgniß ergriff.
»Nichts, nichts,« stammelte dieser kaum hörbar, drängte seinen Sohn zur Seite, näherte sich Bartja und flüsterte ihm in’s Ohr: »Unseliger, Du bist noch hier? Säume nicht länger und fliehe! Die Peitschenträger, welche Dich verhaften sollen, folgen mir auf dem Fuße! Glaube mir, daß Du, wenn Du nicht eilst, Deine doppelte Unvorsichtigkeit mit dem Tode büßen mußt.«
»Aber, Krösus, ich habe –«
»Du hast das Gesetz dieses Landes, dieses Hofes verhöhnt und wenigstens dem Scheine nach die Ehre Deines Bruders gekränkt . . .«
»Du redest –«
»Fliehe, flieh’, sag’ ich Dir; denn wärest Du auch in unschuldiger Absicht auf den hängenden Gärten und bei der Aegypterin gewesen, so hast Du dennoch Alles zu fürchten! Wie konntest Du, der doch den Jähzorn des Kambyses kennt, sein ausdrückliches Gebot so freventlich verletzen!«
»Ich verstehe nicht . . .«
»Keine Entschuldigungen! Flieh’! Du weißt nicht, daß Dich Kambyses schon lange mit Eifersucht betrachtet, daß Dein nächtlicher Besuch bei der Aegypterin . . .«
»Ich habe, seitdem Nitetis hier ist, die hängenden Gärten mit keinem Fuße betreten!«
»Füge nicht zum Frevel die Lüge, ich . . .«
»Ich schwöre Dir . . .«
»Willst Du eine That des Leichtsinns durch Meineid zum Verbrechen machen? – Die Peitschenträger kommen schon, flieh’, flieh’!«
»Ich bleibe, denn ich beharre bei meinem Schwur.«
»Verblendeter! Wisse, daß ich selbst, Hystaspes und andere Achämeniden, Dich, noch ist es keine Stunde her, auf den hängenden Gärten gesehen haben . . .«
Bartja ließ sich in seinem Erstaunen halb willenlos von dem Greise fortführen; als er aber dessen letzte Behauptung vernommen hatte, blieb er stehen, rief seine Freunde herbei und sagte: »Krösus will mir vor weniger als einer Stunde auf den hängenden Gärten begegnet sein; ich aber bin, wie ihr wißt, seid dem Untergange der Sonne nicht von euch gewichen. Bestätigt ihm durch euer Zeugniß, daß hier ein böser Diw sein Spiel mit unserem Freund und seinen Begleitern getrieben haben muß.«
»Ich schwöre Dir, Vater,« rief Gyges, »daß Bartja seit vielen Stunden diesen Garten nicht verlassen hat.«
»Wir betheuern dasselbe,« stimmten Araspes, Zopyrus und Darius lebhaft ein.
»Ihr wollt mich betrügen?« brauste Krösus auf, Einen nach dem Andern vorwurfsvoll anblickend. »Glaubt ihr, ich sei blind oder sinnverwirrt? Meint ihr, daß euer Zeugniß die Aussage der edelsten Greise, des Hystaspes, Gobryas, Intaphernes und des Oberpriesters Oropastes entkräftigen werde? Bartja ist trotz eures falschen Zeugnisses, das keine Freundschaft entschuldigen kann, ein Kind des Todes, wenn er nicht flieht!«
»Angramainjus soll mich verderben,« rief, den geängstigten Greis unterbrechend, der alte Araspes, »wenn der Sohn des Cyrus vor zwei Stunden auf den hängenden Gärten gewesen ist.«
»Du magst mich nicht mehr Deinen Sohn nennen,« fügte Gyges hinzu, »wenn unser Zeugniß falsch war.«
»Bei den ewigen Sternen,« wollte Darius ausrufen, als Bartja die durcheinander Schreienden unterbrach und mit fester Stimme sagte: »Dort kommt eine Abtheilung der Leibwache in den Garten. Ich soll verhaftet werden und kann nicht fliehen, weil ich, der ich unschuldig bin, dadurch den Verdacht der Schuld auf mich laden würde. Bei der Seele meines Vaters, bei den blinden Augen meiner Mutter, bei dem reinen Lichte der Sonne schwöre ich Dir, Krösus, daß ich Dich nicht belüge.«
»Soll ich Dir gegen das Zeugniß meiner beiden hellen Augen glauben, die mich noch nie betrogen haben? Ich will es, Knabe, denn ich liebe und ehre Dich. Bist Du schuldig, bist Du unschuldig, ich weiß es nicht, ich will es nicht wissen; das aber weiß ich, daß Du fliehen mußt, eilig fliehen! Du kennst Kambyses! Mein Wagen wartet an der Pforte. Jage die Pferde todt, aber flieh’! Die Soldaten scheinen zu wissen, um was es sich handelt, denn es ist unzweifelhaft, daß sie so lange zaudern, um Dir, ihrem Lieblinge, Zeit zu lassen, Dich zu entfernen. Flieh’, flieh’, oder es ist um Dich geschehen!«
»Flieh’, Bartja,« rief auch Darius, seinen Freund vorwärts drängend, »und gedenke der Warnung, die Dir der Himmel selbst in Sternenschrift sandte.«
Bartja schüttelte schweigend sein schönes Haupt und sagte, die bangen Freunde zurückweisend: »Ich bin noch nie geflohen und gedenke auch heute Stand zu halten. Feigheit scheint mir schlimmer als Tod, und ich leide lieber Unrecht von Andern, als daß ich mich selbst beschimpfe. Da sind die Soldaten! Willkommen Bischen; Du sollst mich verhaften? Ja!? Warte nur einen Augenblick, bis ich den Freunden Lebewohl gesagt habe.«
Bischen, der also Angeredete, ein alter Feldhauptmann des Cyrus, der Bartja den ersten Unterricht im Pfeilschießen und Speerwerfen ertheilt, im Tapurenkriege an seiner Seite gefochten und ihn lieb hatte wie seinen eigenen Sohn, unterbrach den Jüngling und sagte: »Du brauchst von Deinen Freunden nicht Abschied zu nehmen, denn der König, der wie ein Rasender tobt, hat befohlen, ich sollte Dich und Jeden, den ich bei Dir finden würde, verhaften.«
Dann fügte er leise hinzu: »Der König ist außer sich vor Zorn und bedroht Dein Leben. Du mußt fliehen. Meine Leute gehorchen mir blindlings und werden Dich nicht verfolgen; ich aber bin alt und Persien verliert nur wenig, wenn mein Kopf fallen sollte.«
»Ich danke Dir, Freund,« erwiederte Bartja, ihm die Hand reichend, »aber ich kann Dein Opfer nicht annehmen, denn ich bin unschuldig und weiß, daß Kambyses wohl jähzornig, aber nicht ungerecht ist. Kommt, ihr Lieben; ich glaube, daß der König uns heute noch verhören wird.«
Achtes Kapitel
Zwei Stunden später stand Bartja mit seinen Begleitern vor dem Könige. Bleich und hohläugig saß der riesige Mann auf seinem goldenen Stuhle, hinter dem zwei Leibärzte, mit allerlei Gefäßen und Instrumenten in der Hand, warteten. Kambyses war erst vor wenigen Minuten wieder zu sich gekommen, nachdem er länger als eine Stunde in den Armen jener furchtbaren Krankheit gelegen hatte, welche Leib und Seele zerrüttet, und die wir mit dem Namen der fallenden Sucht oder Epilepsie bezeichnen.
Seit der Ankunft der Nitetis war er von diesem Uebel verschont geblieben, das ihn heut in Folge überwältigender Gemütsbewegungen mit unerhörter Heftigkeit ergriffen hatte382.
Wär’ er Bartja vor wenigen Stunden begegnet, so würde er ihn mit eigener Hand getödtet haben; der epileptische Anfall hatte aber seinen Zorn zwar nicht gebrochen, aber doch soweit besänftigt, daß er im Stande war, Kläger und Beklagte anzuhören.
Zur rechten Seite des Thrones standen Hystaspes, der greise Vater des Darius, Gobryas, sein zukünftiger Schwiegervater, der betagte Intaphernes, der Großvater jener Phädime, welche wegen der Ägypterin die Gunst des Königs verloren hatte, der Oberpriester Oropastes, Krösus und hinter diesem Boges, der Eunuchenoberst. Zur Linken verweilten Bartja, dessen Hände mit schweren Ketten gefesselt waren, Araspes, Darius, Zopyrus und Gyges. Im Hintergrunde standen mehrere hundert Würdenträger und Große.
Nach langem Schweigen erhob Kambyses seine Blicke, ließ sie vernichtend auf dem gefesselten Jüngling ruhen und sprach mit dumpfer Stimme. »Oberpriester, sage uns, was den erwartet, der seinen Bruder betrügt, den König entehrt und beleidigt und sein Herz mit schwarzen Lügen verfinstert!«
Oropastes