Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.mit Lügen umgehen!‹ Wir Beide sind so hoch geboren, daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich selbst zu zeugen vermagst.«
Kambyses sah nach diesen Worten weniger zornig auf seinen Bruder; dieser aber fuhr fort: »So beschwöre ich denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geistern meine Unschuld. Wenn ich seit meiner Heimkehr auf den hängenden Gärten gewesen bin, wenn mein Mund Dich jetzt belügt, dann soll mein Leben vergehen und mein Geschlecht aussterben!«
Bartja hatte diesen Eid mit so sicherer, überzeugender Stimme geleistet, daß Kambyses befahl, seine Ketten zu lösen. Dann sagte er nach kurzem Sinnen: »Ich will Dir glauben, denn ich vermag nicht, Dich für den verworfensten aller Menschen zu halten. Morgen wollen wir die Sternendeuter, Weissager und Priester befragen. Vielleicht vermögen sie die Wahrheit an den Tag zu bringen. Siehst Du ein Licht in dieser Finsterniß, Oropastes?«
»Dein Knecht vermuthet, daß ein Diw die Gestalt des Bartja angenommen habe, um Deinen Bruder zu verderben und Deine königliche Seele mit dem Blute des Sohnes Deines Vaters zu beflecken.«
Kambyses und alle Anwesenden nickten beifällig; ja Kambyses wollte eben seinem Bruder die Hand reichen, als ein Stabträger eintrat, welcher dem Könige ein Dolchmesser überreichte. Ein Eunuch hatte es unter dem Fenster des Schlafzimmers der Nitetis gefunden.
Kambyses schaute die Waffe, deren kostbarer Griff von Rubinen und Türkisen wimmelte, prüfend an, erblaßte und warf den Dolch plötzlich so heftig vor die Füße seines Bruders, daß die Edelsteine aus ihrer Fassung fielen.
»Dies ist Dein Dolch, Du Elender!« schrie er und brauste von neuem jähzornig auf. »Heute Morgen beim Jagen hast Du mit ihm dem Eber, den ich erlegte, den letzten Stoß gegeben. Auch Du, Krösus, mußt ihn kennen, denn mein Vater nahm ihn aus Deiner Schatzkammer zu Sardes. Jetzt bist Du überführt, Du Lügner und Betrüger! Die Diws brauchen keine Waffen, und Messer gleich diesem findet man nicht auf allen Wegen. Du faßt nach Deinem Gürtel? Du erbleichst? Dein Messer fehlt Dir?«
»Es ist fort. Ich muß es verloren, und ein Feind von mir . . .«
»Binde ihn, feßle ihn, Bischen! Führt den Verräther und die falschen Zeugen in den Kerker! Morgen werden sie erdrosselt! Tod ist die Strafe für den Meineid! Wenn sie entwischen, so fallen die Köpfe der Wächter. Kein Wort will ich hören; hinaus, ihr meineidigen Schurken. Du eilst auf die hängenden Gärten, Boges, und bringst die Aegypterin zu mir. Aber nein, ich will die Schlange nicht mehr sehen! Bald graut der Morgen. Zur Mittagszeit soll die Verrätherin durch die Stadt gepeitscht werden. Dann will ich . . .«
Weiter konnte der König nicht sprechen, denn er sank, einem neuen epileptischen Krampfe verfallend, auf den marmornen Fußboden der Halle nieder.
Während dieses Entsetzen erregenden Schauspiels trat die blinde Kassandane, geführt von dem greisen Feldherrn Megabyzus, in den Saal. Die Kunde des Geschehenen war in ihre einsamen Gemächer gedrungen; darum hatte sie sich, trotz der nächtlichen Stunde, aufgemacht, um die Wahrheit zu ergründen und ihren Sohn vor Uebereilungen zu warnen. Fest und unerschütterlich glaubte sie an die Unschuld Bartja’s und der Nitetis, wenn sie sich das Vorgefallene auch nicht erklären konnte. Zu mehreren Malen hatte sie versucht, sich mit der Aegypterin in Verbindung zu setzen, aber es war ihr nicht gelungen; denn die Wächter hatten die Kühnheit gehabt, ihr, als sie endlich in eigener Person zu den hängenden Gärten kam, den Eintritt zu untersagen.
Krösus eilte der hohen Frau entgegen, theilte ihr in schonender Weise das Vorgefallene mit, bestärkte sie in dem Glauben an die Unschuld der Angeklagten und führte sie zum Lager ihres Sohnes, des Königs.
Die Krämpfe desselben dauerten diesmal nicht lange. Erschöpft und bleich lag er auf seinem goldenen Bette unter Decken von purpurner Seide. Neben ihm saß seine blinde Mutter, am Fußende des Lagers stand Krösus mit Oropastes, und im Hintergrunde des Zimmers beriethen sich vier Leibärzte386, leise flüsternd, über den Zustand des Kranken.
Kassandane ermahnte ihren Sohn mit sanften Worten, sich vor leidenschaftlichem Aufbrausen zu hüten und zu bedenken, wie traurige Folgen jeder Ausbruch des Zorns für seine Gesundheit haben könnte.
»Du hast Recht, Mutter,« antwortete der König, bitter lächelnd. »Es wird nöthig sein,. daß ich Alles, was meinen Zorn erweckt, aus meinem Wege räume. Die Aegypterin muß sterben und mein verrätherischer Bruder seiner Buhlerin folgen!«
Kassandane brauchte ihre ganze Beredsamkeit, um für die Unschuld der Verurteilten zu sprechen und den Zorn des Königs zu besänftigen; aber weder Bitten, noch Thränen, noch mütterlich mahnende Worte vermochten den Entschluß des Kambyses, sich von den Mördern seines Glücks und seiner Ruhe zu befreien, umzustoßen.
Endlich unterbrach Kambyses die wehklagende Greisin und sagte: »Ich fühle mich tödtlich erschöpft und kann Dein Schluchzen und Deine Klagen nicht länger mit anhören. Die Schuld der Nitetis ist erwiesen. Ein Mann hat ihr Schlafzimmer nächtlicher Weile verlassen, und dieser Mann war kein Dieb, sondern der Schönste der Perser, an den sie sich gestern Abend einen Brief zu senden erfrechte.«
»Kennst Du den Inhalt dieses Schreibens?« fragte Krösus und näherte sich dem Lager.
»Nein; es war in griechischer Sprache geschrieben. Die Treulose wählt zu ihren frevelhaften Bestellungen Zeichen, welche niemand an diesem Hofe zu lesen vermag.«
»Gestattest Du mir, daß ich Dir den Brief übersetze?«
Kambyses deutete mit der Hand auf ein Kästchen von Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag und sagte: »Nimm und lies; verschweige mir aber kein Wort, denn morgen werde ich mir diesen Brief nochmals von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon wohnen, vorlesen lassen.«
Krösus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das Papier in die Hand. Als er es überlesen hatte, füllten sich seine Augen mit Thränen und seine Lippen murmelten: »Die Pandorasage ist dennoch wahr, und ich kann den Dichtern, welche die Weiber schmähen387, nicht mehr zürnen. Alle, alle sind falsch und treulos! O Kassandane, wie trügerisch sind die Götter. Sie schenken uns die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume, wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen, daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das, wovon wir Labung hofften, Gift sei!«
Kassandane weinte laut auf und zerriß ihr kostbares Gewand; Kambyses aber ballte die Fäuste, als Krösus mit bewegter Stimme folgende Worte las:
»Nitetis, Tochter des Amasis von Aegypten, an Bartja, den Sohn des großen Cyrus.
»Ich habe Dir, aber Dir allein, etwas Wichtiges zu sagen. Morgen hoffe ich Dich vielleicht bei Deiner Mutter zu sprechen. Es liegt in Deiner Hand, ein armes, liebendes Herz zu trösten und ihm vor seinem Verlöschen einen glücklichen Augenblick zu gewähren. Ich habe Dir viel und Trauriges zu erzählen und wiederhole Dir, daß ich Dich bald sprechen muß.«
Das verzweifelte Gelächter ihres Sohnes schnitt der Mutter in’s Herz. Sie beugte sich über ihn und wollte sein Angesicht küssen; Kambyses aber wehrte ihren Liebkosungen und sagte: »Es ist eine zweifelhafte Ehre, zu Deinen Lieblingen zu gehören. Bartja hat sich von der Verrätherin nicht zweimal rufen lassen und sich mit falschen Schwüren entehrt. Seine Freunde, die Blüthe unserer Jugend, haben sich für ihn mit unauslöschlicher Schande bedeckt, und Deine geliebteste Tochter ist durch ihn . . . . Aber nein, Bartja hat an der Verderbniß dieses Unholds, der die Gestalt einer Peri trägt, keine Schuld. Aus Heuchelei, Lüge und Trug bestand ihr Leben; ihr Tod soll euch beweisen, daß ich zu strafen verstehe. Jetzt verlaßt mich, denn ich muß allein sein.«
Kaum hatten sich die Anwesenden entfernt, als Kambyses aufsprang und wie ein Rasender umherlief, bis der heilige Vogel Parôdar388 den Tag erweckte. Als die Sonne aufgegangen war, legte er sich wiederum auf sein Lager und versank in einen der Erstarrung ähnlichen Schlaf.
Während dieser Vorgänge saßen die jungen gefangenen